Heben Sie die Hand und seien Sie ehrlich,
ob Sie den Ausdruck
"Wahnsinns-Hektik" benutzen,
um Ihren Tag, Ihre Woche
oder Ihren Monat zu beschreiben.
Ich bin Notärztin
und den Ausdruck "Wahnsinns-Hektik"
werden Sie nie von mir hören.
Nach diesem Vortrag hoffe ich,
dass auch Sie ihn nicht mehr benutzen.
Sie können es sich nämlich nicht leisten,
das Wort "Wahnsinn"
im Kontext mit Ihrer Hektik zu verwenden.
Immer wenn man im
Wahnsinns-Hektik-Modus ist,
bekommt man die Hektik
weniger gut in den Griff.
Das sind die Folgen:
Der Stresspegel steigt und bleibt hoch,
die exekutiven Funktionen im
präfrontalen Kortex nehmen ab.
Gedächtnis, Urteilsvermögen
und Impulskontrolle verschlechtern sich
und die Gehirnareale für Wut
und Angst werden aktiviert.
Fühlen Sie das?
Die Sache ist so:
Auch mitten im Trubel
wie in einer Notaufnahme
muss man keine Wahnsinns-Hektik haben.
Wie geht das?
Nutzen Sie einfach unsere Taktiken.
Das Gehirn verarbeitet Stress
auf stets ähnliche elementare Weise.
Aber wie man darauf reagiert,
lässt sich laut Forschung verändern --
egal ob in Notfällen
oder einfach im Alltagsstress.
Vergleichen Sie den
Wahnsinns-Hektik-Modus
mit dem Bereitschafts-Modus
von uns Notärzten.
Bereitschaft für alles,
was durch die Tür kommt --
ob Massenkarambolage,
ein im Lift feststeckender Patient
mit Schmerzen in der Brust
oder ein anderer, dem ein Objekt,
irgendwo steckt, wo es nicht hingehört.
Sie würden jetzt zu gern wissen, wo ...
(Lachen)
Selbst an Tagen, wo wir schwören könnten,
dass uns jemand veralbert,
macht uns das keine Angst.
Denn wir wissen:
Wir können alles bewältigen,
was durch die Doppeltür
der Notaufnahme kommt.
Wir sind bereit.
Das ist der Bereitschafts-Modus.
Wir haben ihn antrainiert,
und das können Sie auch.
So geht es:
Schritt 1 vom Wahnsinn zur Bereitschaft
ist unerbittliche Selektion.
Im Wahnsinns-Modus ist man
immer hektisch und gestresst,
weil man auf jede Herausforderung
auf die gleiche Art reagiert.
Im Gegensatz dazu wird
im Bereitschafts-Modus selektiert --
wir entscheiden also nach Dringlichkeit.
Damit lassen sich nicht nur
To-Do-Listen leicht abarbeiten.
Dr. Robert Sapolsky weist nach:
Wer nicht zwischen Bedrohung
und Nicht-Bedrohung unterscheiden kann
und auf alles in gleicher Weise reagiert,
hat doppelt so viele Stresshormone.
Deshalb sollte man das als Erstes lernen.
Man kann und muss sich nicht
um alles zugleich kümmern,
weil man selektiert.
Rot: unmittelbar lebensbedrohlich.
Gelb: dringend, aber nicht
unmittelbar lebensbedrohlich
Grün: nebensächlich.
Schauen wir uns zuerst
die roten Aufgaben an.
Passen Sie auf:
Im Wahnsinns-Modus
reagieren Sie auf alles,
als wäre es rot.
Zunächst müssen Sie also
richtig selektieren.
Erkennen Sie die roten Aufgaben.
Sie sind am wichtigsten,
dort kann man am meisten bewirken.
Man lässt sich leicht von Lärm verwirren,
aber das Lauteste
ist nicht immer das Roteste.
Vielmehr sind schwere Asthmatiker
am meisten gefährdet, wenn sie ruhig sind.
Aber die Patientin, die will,
dass ich ihr Kaffeesahne bringe,
ist zwar laut -- aber nicht rot.
Hier ein Beispiel aus meinem Leben.
Im Frühjahr stand das Haus unter Wasser,
mein Jüngster kam in die Notaufnahme,
ich sollte Spenden für die Kita
meiner Vierjährigen sammeln
und das letzte Kapitel
meines Buchs war überfällig.
Ganz ohne Ironie,
das war das Kapitel über Stress.
(Lachen)
Meine roten Aufgaben waren
die Gesundheit des Kleinen und das Buch.
Das war's.
Denken Sie daran: unerbittliche Selektion!
Die Reparatur des Rohrbruchs?
Sobald wir ihn gestoppt
und den Schaden eingedämmt hatten,
war er nicht mehr rot.
Er fühlte sich rot an,
war aber eigentlich nur Lärm.
Und er war wirklich ziemlich laut.
Auf dem Bild rechts
benutze ich Ohrstöpsel,
um an meinem Buch zu arbeiten,
während der Fußboden
mechanisch getrocknet wird.
Erkennen Sie Ihre roten Aufgaben,
lassen Sie sich nicht
von den andersfarbigen ablenken.
Übrigens ist es befreiend,
bei einer grünen Aufgabe
hin und wieder zu denken:
"Das ist eine grüne Aufgabe.
Niemand wird sterben."
(Lachen)
Das ist in Ordnung, eigentlich perfekt.
Den letzten Grad der Selektion
wenden wir in den härtesten Fällen an.
Er ist schwarz.
Das sind die Patienten,
für die wir nichts mehr tun können,
die wir abhaken müssen.
Das ist zwar herzzerreißend,
aber ich erwähne es,
weil Sie alle in Ihrem Leben
schwarze Aufgaben haben.
Diese Aufgaben müssen Sie
von Ihrer Liste streichen.
Viele von Ihnen wissen, was ich meine.
Für mich war das die Spendenaktion.
Ich musste sie aufgeben.
Denn wir Notärzte wissen:
Wenn man versucht, alles zu machen,
bringt man unmöglich
alle roten Aufgaben durch.
Schritt 2 vom Wahnsinns-
in den Bereitschafts-Modus:
Erwarte und gestalte den Wahnsinn.
Der halbe Umgangs mit dem Wahnsinn
ist die Vorbereitung darauf.
Wenn wir also in Schritt 1 selektieren,
vereinfachen wir in Schritt 2
den Umgang mit diesen Aufgaben.
Die Wissenschaft zeigt:
Mehr Optionen bedeuten
längere Entscheidungen.
Mehr Entscheidungen belasten das Gehirn
und es ist weniger in der Lage,
gute Entscheidungen zu treffen.
Deshalb dient Schritt 2 dazu,
tägliche Entscheidungen zu reduzieren.
Hier sind 4 einfache Beispiele
für das Alltagsleben.
Planen Sie.
Planen Sie am Wochenende
den Wochen-Speiseplan,
so dass Sie am Mittwochabend,
wenn jeder hungrig
nach einer Pizza schreit,
problemlos ein gesundes Essen
auf den Tisch bringen.
Automatisieren Sie.
Belasten Sie Ihr Gedächtnis
nicht mit Automatisierbarem,
etwa wiederkehrenden Listen und Einkäufen.
Bündeln Sie.
Verstauen Sie alles nötige Zubehör
für gewisse Aktivitäten an einem Ort --
aufgeladen und einsatzbereit --,
sodass Sie nicht danach suchen müssen.
Reduzieren Sie Versuchungen --
für alle Naschkatzen.
Alle?
Sagen Sie: "Ja, nur zu."
Das ist eine eigene Form
des Wahnsinns-Modus
und seiner Selbstmedikation,
aber zwingen Sie sich zu nichts.
Räumen Sie um.
Liegen Lebensmittel so weit oben,
dass man auf einen Stuhl steigen muss --
das gilt auch für Schokolade --,
isst man laut einer Studie 70 % weniger,
ohne weiter darüber nachzudenken.
Ich weiß.
Lassen Sie das kurz sacken.
(Lachen)
Räumen Sie um und machen Sie
Ihre Entscheidungen einfacher.
Das bringt uns zu Schritt 3
vom Wahnsinns- zum Bereitschafts-Modus:
Durchbrechen Sie
den Teufelskreis Ihrer Gedanken.
Folgen Sie mir.
Andere Geschichte.
In die kleine Notaufnahme,
wo ich damals arbeitete,
kam eine Frau mit Wehen.
Die Nabelschnur war
nicht ein-, sondern zweimal
um den Hals des Babys gewickelt.
Ich war die einzige Ärztin.
Ich hatte Angst.
Doch das durfte mich
nicht aus der Bahn werfen.
Denn wir werden alle nervös.
Wir bekommen alle Angst,
aber es zählt, was wir als Nächstes tun.
Das erste Gefühl ist sekundär,
doch vielleicht ein wichtiger Hinweis.
Es darf uns nicht aus der Bahn werfen,
darf nicht den inneren Monolog starten,
zu Panik und zum Tunnelblick führen.
So denkt man im Wahnsinns-Modus
und so lässt sich kein Problem lösen.
Bevor ich zur Geschichte zurückkehre:
Wie durchbricht man
den Teufelskreis seiner Gedanken?
Dafür gibt es viele Taktiken.
Ich selbst fixiere mich
am liebsten auf jemand anderen.
Ich versuche, die Person vor mir
und mich selbst in ihrem Leben zu sehen:
Was braucht sie, wovor hat sie Angst,
was kann ich für sie tun?
Das klingt jetzt vielleicht zu rosarot,
ist es aber nicht.
Studien zeigen,
wenn man sein Gehirn grundsätzlich
auf Mitgefühl programmiert,
schaltet man Tunnelblick
und inneren Monolog aus.
Man erweitert die Wahrnehmung,
das Gehirn nimmt mehr Informationen auf,
sodass man mehr Möglichkeiten sieht
und bessere Entscheidungen trifft.
Versuchen Sie es.
Verstehen Sie, dass Ihr innerer Monolog
Sie aus der Bahn bringen kann.
Begreifen Sie, dass Sie sich
nicht länger im Weg stehen,
wenn Sie den Teufelskreis
Ihrer Gedanken durchbrechen.
Wie ging es mit dem Baby weiter?
Ich konzentrierte mich
nicht auf meine Angst,
sondern darauf, was Mutter und Baby
jetzt von mir brauchten.
Ich entfernte die Nabelschnur
vom Hals des Babys
und es kam gesund und schreiend zur Welt,
als der Vater vom Parkplatz hereinrannte.
"Sie haben einen Sohn, ich bin Dr. Darria.
Glückwunsch, wollen Sie
die Nabelschnur durchschneiden?"
Für einen Moment übertönte
das laute Schreien eines Neugeborenen
die normalen Geräusche der Notaufnahme:
Piepser und Sirenen.
Aber da war noch etwas anderes.
Als ich das Zimmer der Mutter verließ,
bemerkte ich in der Nähe
ein paar andere Patienten.
Trotz ihrer eigenen Probleme,
deretwegen sie in der Notaufnahme waren,
wollten sie dem Baby die Daumen drücken.
Jetzt freuten sie sich mit.
Das passiert, wenn Sie vom Wahnsinns-
in den Bereitschafts-Modus wechseln.
Andere merken es.
Sie wollen es, aber wissen nicht, wie --
sie brauchen nur ein Beispiel.
Das könnten Sie sein.
Beherrschen Sie die Hektik.
Aber hören Sie auf,
sie "wahnsinnig" zu nennen.
Das können Sie eigentlich schon immer.
Aber jetzt ...
sind Sie bereit dazu.
Danke.
(Applaus)