Vorspannmusik
Herald: Ich freue mich, dass ihr alle
wieder hier seid, so früh am Morgen.
Und ich freue mich umso mehr,
maha und Kai Biermann begrüßen zu dürfen.
Applaus
Hier ist „Nach bestem Wissen und Gewissen
– Floskeln in der Politik”. Ich habe
vollstes Vertrauen, dass die beiden uns
auch heute abend gut unterhalten werden.
Applaus
maha + Kai: Heute abend?
Guten Tag, meine sehr verehrten
Damen und Herren,
liebe Wählerinnen und Wähler,
liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer
des 32. Chaos Communication Congress,
liebe Vertreterinnen und Vertreter
gesellschaftlicher Gruppen,
liebe Zuschauerinnen und Zuschauer
an den neuartigen Empfangsgeräten.
Lachen
Liebe Freunde, ich freue mich, heute
hier in diesem Raum, vor Ihnen,
vor euch reden zu dürfen.
Irgendwie sehen wir alle
nicht aus wie Revolutionäre.
Jedenfalls nicht wie die, die
man sich so landläufig vorstellt.
Und trotzdem stecken wir
mittendrin in einer Revolution,
die wir einerseits beobachten,
die wir andererseits aber auch
in den unterschiedlichsten Rollen
am eigenen Leib erleben.
Die Frage vor der wir stehen ist:
Sind wir eigentlich Subjekte des
Wandels wie klassische Revolutionäre?
Bestimmen wir mit, wohin die Reise geht?
Oder werden wir Objekte der Mächte,
die auf immer neuen Feldern
diese Revolution für sich nutzen?
Es geht um die Grundlagen des Lebens
der Generationen, die nach uns kommen.
Wir wissen: wir müssen heute handeln.
maha: Ja...
Kai: Das muss der An...
das muss der Anspruch...
maha: Ja, gut, also.
Applaus
maha: Das war jetzt bis auf die Worte
„32. Chaos Communication Congress“
kein Text von Kai, sondern
Originaltexte von Angela Merkel.
Lachen
Applaus
Ja, auch das mit der Revolution.
Also wir merken schon, es geht
hier um Phrasen und Floskeln
und weil ja so‘n bisschen der
wissenschaftliche Anspruch da sein muss,
gibt‘s erst mal eine Definition.
Die Phraseologie ist ja bekanntlich
die Lehre von den Phraseologismen,
also von festen Wendungen.
Was wir hier machen ist neu,
das ist die Phrasologie, nämlich
die Lehre von den leeren Phrasen,
Floskeln und Gemeinplätzen.
Ja was sind das, Phrasen,
Floskeln, Gemeinplätze?
Man erkennt sie daran, dass sie wenig bis
gar keine neue Information enthalten.
Das ist nachher auch
ein wichtiges Kriterium,
wir wollen ja solche entdecken, in Texten.
Und eben genau diese Dinge, die eben
keine neue Information enthalten
sind irgendwie, ja, auffällig.
Sie klingen gut.
Gut das kann man jetzt weniger schlecht,
äh, weniger gut, genau, einordnen.
Und sie sind offensichtlich wahr.
Man kann auch vielleicht
von Blähsprech sprechen.
vereinzeltes Lachen
Ja, es wird gelacht
einzelnes Klatschen
und geklatscht.
Aber das heißt wirklich so,
nur auf griechisch.
Pleonasmus ist nichts
anderes als Blähsprech.
Lachen und Applaus
Ja, wir fangen an mit Hypothesen.
Ach, ich soll das machen?
Kai: Da steht maha.
maha: Ja, ok. Also, wir sind
noch nicht ganz wach.
Kai: Entschuldigung!
maha: Floskeln, Phrasen und Gemeinplätze
haben also eine Funktion in der
politischen Sprache, ist unsere Hypothese,
die sind nicht einfach nur so da, um
den Text länger zu machen.
Sie haben eine Aufgabe. Und das möchten
wir dann auch zeigen, an Beispielen.
Also Zusammenhänge
sollen verschleiert werden.
Das ist irgendwie sehr naheliegend.
Die Informationsdichte
soll verringert werden,
oder es soll überhaupt von geringer
Informationsmenge abgelenkt werden.
Wir haben nachher eine Presse-
Erklärung, da ist null Information drin.
Und das werden wir uns dann anschauen.
Sie sollen manchmal auch davon ablenken,
worum es eigentlich geht.
Auf der anderen Seite,
und das betrifft jetzt auch so‘n
bisschen den Journalismus,
sie sollen für zitierfähige Sätze sorgen,
ohne eine klare Position
erkennen zu lassen.
Und sie sollen bei möglichst vielen
Menschen den Eindruck hervorrufen,
dass eben diese Menschen gehört
haben, was sie hören wollen.
Das ist, diese Sätze sind
oft so semantisch offen,
dass man eben seinen eigenen Eindruck
da irgendwie reininterpretieren kann.
Wir werden das auch nachher
an einem Beispiel sehen,
wo jemand eine Pressekonferenz hält
und alle hören raus,
was sie raushören wollen.
Das ist wirklich... das ist
auch ein bekannter Text.
Ja, und dann geht es natürlich um
Schlagworte, und zwar um Schlagworte,
die bestimmte Leute hören wollen,
die sollen verwendet werden.
Und, ja, sie sollen
kontextualisiert werden
durch möglicherweise harmlosen Kontext.
Und jetzt kommt gleich das erste Beispiel,
weil das alles so abstrakt ist.
Und jetzt ist aber Kai...
Kai: Und wir haben natürlich ein
„heißes Eisen” mitgenommen,
um gleich eine solche
Floskel zu verwenden.
Sie hören gleich einen
bekannten Politiker.
Der spricht zum Thema Exporte
oder geplante Exporte
von Leopard-Panzern nach Saudi-Arabien.
Die sind ja nicht ganz unumstritten.
Und wir hören ihn in zwei Versionen.
Gabriel: Die Waffen, die Waffen,
bei denen Sie bereit sind,
das sie geliefert werden dürfen,
bedrohen nicht den Iran,
sondern die Demokratiebewegung.
Sie schützen nicht Israel,
sondern ein feudales Herrscherhaus
und sie gefährden, und das will
ich dann auch mal deutlich sagen,
im Zweifel dann auch irgendwann uns,
denn eine Lehre haben wir doch,
wenn wir im Westen in der
Vergangenheit gedacht haben,
amerikanische Außenpolitik nach dem Motto
„der Teufel den wir kennen, ist besser
als den, den wir nicht kennen“
dass sowas schnell schiefgehen kann.
Und erst Waffen schicken und dann
hinterher Bundeswehrsoldaten
um Friedens- oder
Kriegseinsätze zu machen,
diese Waffen denen wieder abzunehmen,
das ist auch keine besonders
kluge Außenpolitik,
sie ist gefährlich für unsere Soldatinnen
und Soldaten, meine Damen und Herren.
K: Hier nochmal der Text, so zum bisschen
nachlesen, meine Damen und Herren.
Das war relativ klar.
Natürlich hat er so ein
paar Phrasen benutzt
also zum Beispiel die, dass er etwas
besonders klar sagen will und so
aber in der Summe
war der Text relativ klar.
2011, man bemerke das Datum, Sigmar
Gabriel war damals in der Opposition.
Der gleiche Politiker, zum gleichen Thema,
mit der gleichen Grundhaltung: 2014.
G: Religiös, ethnisch und politisch
war der arabische Raum schon immer
eine der komplexesten Regionen der Welt,
das gilt heute vielleicht mehr denn je.
Viele dieser Konflikte werden
gewaltsam ausgetragen,
weitere Spannungen können sich über
kurz oder lang militärisch entladen.
So ist es spätestens jetzt
unausweichlich geworden,
Rüstungsgüter nur nach
sehr strengen Kriterien
und nach dem Grundsatz
größter Zurückhaltung
in diese Region auszuführen.
Gleichzeitig dürfen die
Massivität und die Komplexität
der Gewaltausbrüche
uns nicht dazu verleiten,
auf Differenzierungen, auch innerhalb
des arabischen Raums, zu verzichten.
Wir sollten jedenfalls in jedem Fall eine
sorgfältige Einzelfallabwägung treffen.
Die vielfach nachgefragte Lieferung
von Kampfpanzern Leopard
in den arabischen Raum,
oder auch in andere Regionen der Welt,
darf deshalb eben gerade nicht
unter wirtschaftspolitischen Interessen
entschieden werden, sondern auf der
Grundlage einer solch differenzierten
außen- und sicherheitspolitischen Analyse.
Ich komme bei dieser
Analyse zu dem Ergebnis,
dass sich die Lieferung
dieses Waffensystems
wie auch in den vergangenen
Jahrzehnten nicht rechtfertigen ließe.
Natürlich muss regelmäßig überprüft
werden, ob die getroffenen Beurteilungen
von denkbaren Exportländern noch zutreffen
oder sich verändert haben, aufgrund der
politischen und gesellschaftlichen
Veränderungen vor Ort.
Kai: Hier nochmal für alle, denen es zu
schnell ging oder zu viel war, der Text.
Nochmal. Das gleiche Thema.
Die gleiche Grundhaltung.
Ich hoffe, Sie haben es erkannt, dass
Sigmar Gabriel immer noch die Haltung hat,
dass er den Export von
Leopard-Panzern ablehnt.
Es klingt nur etwas anders.
2011 waren es Waffen,
und die waren gefährlich, für die
eigenen Soldatinnen und Soldaten
und überhaupt und eine dumme Idee.
2014 – Sigmar Gabriel ist
inzwischen in der Regierung –
sind es Waffensysteme, und ein Export
lässt sich nicht mehr rechtfertigen.
Muss aber regelmäßig überprüft
werden, ob das noch stimmt.
Sprache verschleiert hier sehr gut,
dass er immer noch
der gleichen Meinung ist,
aber es inzwischen nicht mehr so richtig
opportun ist, die so klar zu äußern.
maha: Genau. Wir kommen
jetzt zum Vorlesungsteil.
Ja, Typen von Phrasen,
Floskeln, was gibt‘s da?
Also ich hab die so kategorisiert.
Die echten Phraseologismen,
gleich kommen die Beispiele,
oder Kollokationen,
dann Gemeinplätze,
dann die bekannten Pleonasmen,
da besonders Hendiadyoin,
und bedeutungsleere Wörter.
Wir fangen an mit den
echten Phraseologismen,
da sind ein paar bekannte Beispiele:
Es wird sich immer gern „bekannt“,
das hatten wir im letzten
Jahr in der digitalen Agenda,
da wurde sich sehr viel
bekannt zum Breitbandausbau.
„Wir schaffen das“ ist so ähnlich,
also optimistische Grundhaltung,
aber was genau getan
wird, wissen wir nicht.
„Hochrangige Gespräche“,
klar, das ist irgendwie...
hochrangig und Gespräche,
das passt gut zusammen,
obwohl es keine niederrangigen Gespräche
gibt, da kommen wir gleich noch drauf.
„Deutscher Boden“ ist
auch jetzt sehr beliebt;
„auf deutschem Boden deutsches
Recht“ soll eingehalten werden
hat Pofalla damals gesagt.
Da gibt‘s ja, gab‘s ja auch noch einen
Vortrag über die Weltraumtheorie und so.
„Gute Arbeit“ wird geleistet,
schlechte Arbeit meistens nicht.
Die „Grenzen der Belastbarkeit“
ist so eine feste Wendung,
„der Auftrag des Wählers“,
„ist vom Tisch“ auch wieder Pofalla,
„die rote Linie“, „unter Hochdruck“,
kommen wir noch drauf.
Hier ein paar, hier nochmal
ein besonderes Beispiel
was uns aufgefallen ist, „sich
mit etwas zufrieden äußern“
eigentlich so eine Doppelprädikation,
also sich äußern und zufrieden sein,
hier sind also mal ein paar Beispiele
wer... mit was man sich alles
zufrieden äußern kann.
Ja, dann hab ich hier so eine
ganze Gruppe von Beispielen
die was mit klar, und
Klartext zu tun haben:
„Klar sagen“, „Klartext reden“,
„klare Worte“, „klar Stellung beziehen“.
Wie man unklar Stellung beziehen
kann, weiß ich auch nicht so genau.
Und Pofalla will sogar
„zusätzliche Klarheit“ haben.
Also, wenn schon alles klar ist,
was ist dann die zusätzliche
Klarheit, man weiß es nicht.
Dann die berühmten Gemeinplätze.
Ich hatte dieses T-Shirt schonmal an
und bin gefragt worden,
was das eigentlich bedeutet,
also „das Gras ist grün“
ist so ein Gemeinplatz.
Fällt auch auf, weil es hier rot ist,
das haben Hörer meiner Vorträge
entworfen für mich, dieses T-Shirt.
Oder Westerwelle „Nichts ist einfach,
vieles bleibt schwierig in Afghanistan.“
auch ein Beispiel, was wir
schon mal hatten. Lachen
Klar! Also ein Gemeinplatz
ist etwas, was schon
von vornherein klar ist.
„Die Lage ist ernst.“ De Maizière.
Oder auch de Maizière: „Wir
können nur etwas erreichen,
wenn alle ihren Beitrag leisten.“
Ja. Klar. Dann kann man was erreichen.
Und jetzt hier die Krönung
aller Gemeinplätze,
die jetzt sogar Mem-Status hat und,
ohne dass wir uns abgesprochen haben,
schon von Fefe gestern vorgeführt
wurde, wie ich gehört habe,
aber trotzdem. Es ist so schön:
De Maizière: „Irgendwelche Hacker mögen
immer irgendwas hacken können,
aber die Zuverlässigkeit und Sicherheit
des neuen Personalausweises
steht nicht in Frage.“
maha: Ja.
So. Nochmal speziell zu den Pleonasmen.
Die erkennt man daran
– ich hab‘s vorhin schon angedeutet –
dass man sie nicht verneinen kann. Also:
„Konstruktive Gespräche“:
„Unkonstruktive Gespräche“ klingt komisch.
„Geltendes Recht“: Nichtgeltendes
Recht ist irgendwie kaum denkbar.
„Unermüdlicher Einsatz“: Das Wort
„ermüdlich“ gibt‘s gar nicht im Deutschen.
Also es gibt nur unermüdlichen
Einsatz, ermüdlicher Einsatz
ist zwar vorstellbar, aber das
Wort „ermüdlich“ gibt‘s nicht.
„Künftige Gefährdungen“:
Das kommt von de Maizière
und naja. Gefährdung ist ja immer
etwas, was auf die Zukunft...
also die Gefahr ist in der Zukunft,
und künftige Gefährdungen,
also es wird erst künftig gefährlich,
ist irgendwie auch seltsam.
„Unschuldige Opfer“: also
schuldige Opfer... seltsam, ne?
Es wird auch immer nur von
„schwierigen Lagen“ gesprochen,
also „einfache Lage“...
hab ich noch nie gehört.
Kai: Aber es gibt inzwischen
die Lage allein als Lage.
maha: Als Lage. Klar.
Aber gern mit „schwierig“.
Aber „schwierig“ führt eben keine
zusätzliche Bedeutung hinzu.
„Ganz konkrete Einzelfälle“:
Lachen
...unkonkrete Einzelfälle
sind irgendwie seltsam.
Kai: Guck mal, ich mach‘
mal mein Hemd auf.
maha: Ich bin der... ah! „Bedauerliche...“
ja, die sind auch häufig, ja.
„Ich bin der festen Überzeugung“:
Man sagt selten: „ich bin nicht...“ also
ich bin vielleicht nicht der Überzeugung,
aber „ich bin einer unfesten Überzeugung“
ist nicht vorstellbar.
Oder „volles/vollstes Vertrauen“...
das mag ja was anderes bedeuten,
aber „halb leeres Vertrauen“
ist auch nicht denkbar. Und die
„nicht-volle Sympathie“ ist auch seltsam.
Also Verneinungen passen nicht. Und das
hängt eben damit zusammen, dass gerade
der erste Teil in diesem
Pleonasmus überflüssig ist,
er enthält keine Information.
Besonderer Fall, es ist eigentlich
auch eine Art von Pleonasmus,
ist das Hendiadyoin. Das ist Griechisch,
„Hen“ heißt eins, „dia“ durch,
„dyoin“ zwei.
Eins durch zwei. Also eine Sache
wird durch zwei ausgedrückt.
Und das haben wir dieses
Jahr ja häufig gehört,
„nach bestem Wissen und Gewissen“
etwas tun, handeln.
Wissen und Gewissen sind so ähnlich,
man kann den Unterschied
nicht so genau ausmachen.
Gewissen ist auch Wissen,
aber ein bisschen stärker,
da hängt noch so die moralische
Komponente mit drin.
Oder: „nach Recht und Gesetz“: Also
„nach Recht“ würde vielleicht reichen,
„nach Gesetz“ würde reichen, aber es wird
kombiniert, „nach Recht und Gesetz“.
Also zwei Dinge, die
eigentlich nur eins aussagen.
Oder: „offen und ehrlich.“
Nur „offen“ oder nur „ehrlich“
würde ja ausreichen.
Aber „offen und ehrlich“...
werden zwei Dinge gesagt.
Weil es einfach besser klingt, weil es
mehr Masse mit sich bringt... naja.
Das ist einfach dann nochmal verstärkt,
es ist nämlich einfach nicht nur
das Gewissen, sondern es ist auch das
Wissen. Und es ist nicht nur das Wissen,
sondern auch das Gewissen. Es klingt
einfach besser, wenn man zwei Dinge sagt.
Dann um Text aufzublähen sind natürlich
bedeutungsleere Wörter besonders schön,
die „Maßnahme“ haben wir schon
in unserem Blog vor langer Zeit gehabt.
Und neuerdings, das ist jetzt
vor allen Dingen de Maizière,
der hat dann gerne von
„Exekutivmaßnahme“ gesprochen,
was aber auch eine Maßnahme ist.
Klar, de Maizière gehört zur Exekutive,
also gibt‘s Exekutivmaßnahmen.
Dann „Verfahren“. Dann „Ereignis“,
oder „Lage“. Die Lage, die werden wir
nachher auch nochmal hören, von
de Maizière, da gibt‘s sehr viele Lagen.
„Die Arbeit“. Ne, sagt ja eigentlich auch
nichts aus. Es wird Arbeit verrichtet.
„Einrichtung“. „Bekennen“
hatten wir vorhin schon.
Und dann vor allen Dingen
Zusammensetzungen mit „Szene“.
Zum Beispiel die „Gefährderszene“.
Ja. Wir machen weiter.
Kai: Es gibt noch einen schönen
Bereich in diesem Theorieteil,
dann kommen wir gleich wieder zur Praxis:
die Neuschöpfungen.
Wörter, die es so nicht gibt,
die neu geschaffen wurden,
und das ist der Bereich über
den wir meistens bloggen,
wenn wir im Neusprech-Blog was schreiben,
oder im Podcast was podcasten.
Und ich glaube der Oberste ist
allen bekannt, sollte es zumindest,
das ist die Vorratsdatenspeicherung, die
es in vielen Iterationen inzwischen gibt.
Zur Zeit heißt sie
Verkehrsdatenspeicherung.
Immer wieder steht dahinter der Versuch,
nicht zu sagen worum es eigentlich geht,
oder zu sagen worum es geht, aber zu
verschweigen, was damit bewirkt wird.
Das Flughafenverfahren ne, es geht nicht
um die Abwicklung von Flughäfen,
sondern das Flughafenverfahren ist, wenn
Asylsuchende noch auf dem Flughafen
festgesetzt werden und den nicht mehr
verlassen dürfen, bis sie
wieder abgeschoben werden.
Ähnlich der Hotspot, da kommen sie
gar nicht erst bis zum Flughafen,
sondern bleiben gleich in dem
Land aus dem sie fliehen wollten.
Oder das Aufnahmezentrum, das
niemanden aufnehmen will,
sondern auch in erster Linie dazu
gebaut wird, um Leute abzuschieben.
Und jetzt eine Meisterin dieser
Neuschöpfungen, ihr kennt sie alle:
Merkel: Diejenigen, die keine
Bleibeperspektive haben,
müssen unser Land auch wieder verlassen
und deshalb haben wir darüber gesprochen,
Fehlanreize zu beseitigen.
Das heißt, Bargeldbedarf
in Erstaufnahmeeinrichtungen
soll so weit wie möglich durch
Sachleistungen ersetzt werden.
Die Geldleistungen sollen maximal einen
Monat im Voraus ausgezahlt werden.
Und Sozialleistungen für vollziehbar
Ausreisepflichtige werden reduziert.
Wer vollziehbar ausreisepflichtig ist,
muss unser Land auch verlassen.
Kai: Das ist ungeschnitten. Das
waren 30 Sekunden Angela Merkel,
Originaltext, bei einer Pressekonferenz,
und ich fand: eine erstaunliche
Häufung von diesen Neuschöpfungen.
„Keine Bleibeperspektive“ heißt:
Du kommst hier nicht rein.
„Fehlanreize“... eine ganz
interessante Theorie, die besagt:
Wer hier das Grundrecht auf Asyl
wahrnimmt, der bekommt Geld.
Das ist sozusagen Teil dieses Grundrechts.
Der bekommt ‘ne Grundleistung,
damit er nicht erstmal verhungert.
Und dieses Geld könnte ja ein Anreiz sein
für Leute, herzukommen. Also nicht etwa,
weil sie verfolgt werden, sondern
weil sie das Geld haben wollen nur.
Und das ist ja dann ein Fehlanreiz
und den muss man beseitigen.
Also man muss den Leuten
das Geld wegnehmen,
oder ihnen gar nicht erst anbieten.
Sagt auch das nächste: „Bargeldbedarf“
– meint eigentlich Geld –
durch „Sachleistungen“
– meint Lebensmittelgutscheine – ersetzen.
„Geldleistungen“: wieder ‘ne
Umschreibung für Geld.
„Sozialleistungen“: ‘ne Umschreibung
für alles wo nicht mehr ganz klar ist,
was kriegen die denn noch
und was nicht mehr?
Und das schönste:
„vollziehbar Ausreisepflichtige“.
Das heißt, dass eigentlich
jeder erkennen müsste,
dass er sowieso keine Chance hat, dieses
Grundrecht auf Asyl hier zu bekommen
und dass er doch dann bitte gleich
bleiben soll wo der Pfeffer wächst.
Der Witz daran ist: nur der
deutsche Staat kann erkennen,
dass diese Menschen ausreisepflichtig
sind, also wieder gehen müssen.
Diejenigen, die hier erstmal auf Asyl
hoffen, die sehen das gar nicht so.
Die kennen sich mit dem deutschen
Recht im Zweifel nicht so gut aus,
die wissen nur man kann
hier Asyl beantragen,
wenn man zu Hause Fassbomben
auf den Kopf kriegt.
Manche werden bitter enttäuscht.
Wir haben jetzt mal versucht,
ein bisschen zu sortieren,
wo diese Floskeln so herkommen,
was so die beliebtesten Bereiche sind,
aus denen sprachliche
Bilder gewählt werden.
Und da fiel uns zuerst mal das auf:
die maritimen Metaphern.
„Das Boot ist voll“:
alle schonmal gehört, ne?
Das Bild dahinter sagt: Ja im Boot, da
können nicht beliebig viele drin sitzen,
denn irgendwann kentert es ja und
dann säuft es ab und alle sterben.
Ne schöne Metapher um zu sagen:
„Du kommst hier nicht rein.“
Dann der „Flüchtlingsstrom“, der
zur Welle, zum Sturm, zur Flut,
ja zum „Flüchtlingstsunami“ werden kann.
Ja, ich find‘ das gar nicht so
lustig, ehrlich gesagt,
weil das Bild was dahinter
steht soll Angst machen.
Es soll Angst machen.
Jeder, der diesen Ausdruck benutzt, will,
dass Andere sich vor
Flüchtlingen fürchten.
John Oliver hat in Last Week Tonight
mal ein schönes Bild dafür gefunden,
auch ‘ne Metapher durch
‘nen Überschärfer ersetzt,
um‘s deutlich zu machen, funktionierte.
Er meinte: Naja, vor ‘nen paar Katzen,
wenn die auf mich zukommen,
da hock‘ ich mich hin
und will die kraulen.
Wenn ein Katzentsunami auf mich zukommt,
dann renn‘ ich auf 'en Berg,
nehm‘ ‘ne Schrotflinte
und fang‘ an zu schießen,
damit die mich nicht kriegen.
Und genau darum geht‘s: Angst machen.
„In einem Boot sitzen.“
Ne, ihr sitzt alle in einem Boot.
Ich sitz‘ im ander‘n, ich steh‘ hier oben.
Oder wir sitzen alle in einem Boot,
aber wir wollen dafür sorgen,
dass die, die von draußen kommen
nicht auch noch ‘rein kommen.
Auch darum geht‘s.
„Das Steuer herumreißen“:
wir können was tun,
wir sind aktiv, wir können das
alles in eine andere Richtung...
wir können die alle draußen halten.
„Der Lotse geht von Bord“, das ist so ‘ne
Floskel, die ist schon viele Jahrzehnte alt.
Wir verlieren jemand sehr wichtiges,
der das alles gesteuert hat
und herumgerissen hat.
Der nächste Bereich
– auch sehr beliebt –
Bellizismen:
Phrasen aus dem Bereich „Krieg“.
Alles schonmal gehört, ne?
„Zielgenau“, da „explodieren die Kassen“,
da „schlägt jemand Alarm“.
Da ist jemand „auf dem Vormarsch“.
Und auch die sind gerade
wieder sehr häufig
beim ganzen Themenkomplex „Flüchtlinge“.
Das ist nämlich plötzlich ein „Ansturm“.
Ansturm kommt ursprünglich
aus dem Militär, ne?
Da stürmte eine Front von Soldaten
auf eine andere Front zu
und versuchte, sie umzubringen.
Jetzt stürmen Flüchtlinge.
Das Problem ist,
hier seht ihr ein paar Verwendungen.
Das Problem dabei ist,
auch das soll Angst machen.
Das soll Angst machen vor den
Leuten die hier anstürmen
und nichts weiter zum Ziel haben,
als unser gutes und schönes und
ordentliches Deutschland zu vernichten.
„Zu ändern“ könnte man auch sagen.
Aber nein, es soll Angst übertragen werden
und wenn Medien das übernehmen
oder selbst nutzen
– hier seht ihr BILD, Focus und n-tv,
also durchaus Massenmedien –
dann sagt das was.
Nichts Gutes, wie wir finden.
Der nächste Bereich, sehr beliebt zum
Thema Internet auch, Verkehrsmetaphern.
Die „Leitplanken“, die im Internet
eingezogen werden müssen –
haben sicher alle schon mal gehört.
die „Weichen“ will man „stellen“, da wird
jemand „aufs Abstellgleis geschoben“.
Oder irgendein Internetkonzern
wie die Telekom
befindet sich auf der „Überholspur“,
„drückt aufs Tempo“
– und drosselt andere.
Da wird „auf die Bremse gedrückt“,
oder „die Preisbremse gezogen“,
oder „grünes Licht gegeben“.
Was uns wichtig dabei ist:
es geht nicht darum zu lügen.
Diese Metaphern haben nicht
die Idee, Lügen zu verbreiten.
Es geht eher darum, nicht so ganz
zu sagen, worum es eigentlich geht.
Um ‘nen schönen,
plakativen Begriff zu haben,
und das eigentliche Problem
nicht anzusprechen.
Es gibt noch weitere Bereiche:
„Technik und Physik“, auch sehr beliebt.
Da werden Dinge „auf Eis gelegt“ –
kein schöner Gedanke eigentlich –,
„luftdicht abgeriegelt“, „hermetisch“,
auch kein schöner Gedanke.
Da gibt es „Gewaltspiralen“
und „hitzige Debatten“.
Der nächste Bereich wär‘ der Sport.
Auch da gibt es viel.
Was bleibt... ist maha.
Ein Gedanke noch dazu: Wie
gesagt, es geht nicht um Lüge,
das ist der eine Punkt der uns
wichtig ist und der zweite Punkt ist,
das Zuhören lohnt!
Das ist nicht Rauschen.
Wenn Leute solche Metaphern
nutzen, das ist nicht Rauschen
was man überhören sollte, sondern
darin verstecken sich Informationen.
Und um die geht es uns,
dass man da hinhört
und sich diese Informationen ‘rausfiltert.
maha: Ja. Wir haben jetzt mal versucht,
‘was herauszufinden was bleibt,
wenn man den gesamten Blähsprech,
die Pleonasmen usw. abzieht.
Und was zunächst mal hier bleibt,
ist zum Beispiel „Landesverrat“.
Wir erinnern uns an die Vorkommnisse,
und eigentlich wussten wir alle
schon gut Bescheid, Anfang August,
als sich dann Herr Range,
der Generalbundesanwalt,
auch noch mal zu Wort gemeldet hat
mit einer Pressekonferenz.
Der Text ist sehr kurz, den hören wir uns
jetzt mal an, und dann schauen wir mal an,
was da wirklich an Information kam.
Range: Zur Wahrung und Sicherung
der Objektivität der Ermittlungen,
habe ich am 19. Juni 2015 ein externes
Gutachten in Auftrag gegeben.
Der unabhängige
Sachverständige sollte klären,
ob es sich bei den veröffentlichten
Dokumenten um ein Staatsgeheimnis handelt.
Der Sachverständige
teilte mir gestern mit,
dass es sich nach seiner
vorläufigen Bewertung
bei den am 15. April 2015
veröffentlichten Dokumenten
um ein Staatsgeheimnis handelt.
Der Sachverständige hat damit die
Rechtsauffassung der Bundesanwaltschaft
und des Bundesamtes für Verfassungsschutz
insoweit vorläufig bestätigt.
Die Bewertung des
unabhängigen Sachverständigen
habe ich dem Bundesministerium der Justiz
gestern unverzüglich mitgeteilt.
Mir wurde die Weisung erteilt,
das Gutachten sofort zu stoppen
und den Gutachtenauftrag zurückzuziehen.
Dieser Weisung habe ich Folge geleistet.
Meine Damen und Herren,
die Presse- und Meinungsfreiheit
ist ein hohes Gut.
Dieses Freiheitsrecht gilt aber nicht
– auch nicht im Internet – schrankenlos.
Das entbindet die Journalisten
nicht von der Einhaltung der Gesetze.
Über die Einhaltung der Gesetze
zu wachen ist Aufgabe der Justiz.
Diese Aufgabe kann sie nur erfüllen,
wenn sie frei von politischer
Einflussnahme ist.
Daher ist die Unabhängigkeit der Justiz
von der Verfassung ebenso geschützt,
wie die Presse- und Meinungsfreiheit.
Auf Ermittlungen Einfluss zu nehmen,
weil deren mögliches Ergebnis
politisch nicht opportun erscheint,
ist ein unerträglicher Eingriff
in die Unabhängigkeit der Justiz.
Mit Blick auf diese im
Raum stehenden Vorwürfe
und die anderen Vorwürfe habe
ich mich auch gehalten gesehen,
die Öffentlichkeit heute
darüber zu informieren.
Vielen Dank.
maha: Ja. Hier ist der gesamte Text,
und ich hab‘ jetzt mal diese Stellen,
die Informationen, also neue – also
nicht neu, wir wussten das eh alle –
die Informationen enthalten, sind
jetzt hier farblich hervorgehoben.
Und der ganze Rest
ist eigentlich überflüssig.
Also es fängt damit an,
dass hier z. B. das Adjektiv
– naja gut, der Anfang mit „zur Wahrung und
Sicherung der Objektivität der Ermittlungen“,
das ist... ja. Das muss er sowieso tun.
Dann „unabhängige Sachverständige“
– ja was denn sonst?
Also wenn die nicht unabhängig sind,
dann handelt es sich
nicht um Sachverstand,
also „unabhängig“ ist
da sicher überflüssig.
Nach seiner „vorläufigen Bewertung“:
Ich hab‘ nur das „vorläufig“ dringelassen,
weil das wichtig ist.
Das wird dann mehrmals wiederholt,
dann ist es natürlich weiß,
wenn „vorläufig“ nochmal vorkommt.
Und dann eben die eigentliche Information:
dass die vermeintlichen
Dokumente „vorläufig
nach Meinung des Sachverständigen
ein Staatsgeheimnis“ beinhalten.
Und dann hat er diese Bewertung
dem Bundesministerium mitgeteilt,
und das hat Weisung erteilt, den
Gutachtenauftrag zurückzuziehen,
und Range hat Folge geleistet.
Der ganze zweite Teil ist dann nur noch
voll mit Phrasen bzw. mit Gemeinplätzen.
Denn niemand bezweifelt, dass „die Presse-
und Meinungsfreiheit ein hohes Gut“ ist,
da macht man keine Pressekonferenz
um das mitzuteilen.
Dieses „Freiheitsrecht gilt aber nicht
– auch nicht im Internet – schrankenlos“.
Klar. Ist auch Konsens.
Es „entbindet Journalisten nicht von
der Einhaltung der Gesetze“. Ja auch.
Das ist völlig klar. Also der ganze
Rest ist eigentlich überflüssig.
Aber so ganz überflüssig
ist er dann doch nicht,
denn es wird da noch gesagt,
dass die Einflussnahme unerträglich ist.
Er sagt nicht, dass Einfluss
genommen worden ist,
er sagt nur „eine Einflussnahme
ist unerträglich“.
Und am Ende sagt er dann: „Mit Blick
auf die im Raum stehenden Vorwürfe“,
er hat aber keine Vorwürfe gemacht.
Die kann man sich jetzt nur noch denken.
Also wenn er sagt „eine
Einflussnahme ist unerträglich“,
dann kann man daraus interpretieren,
wenn dann von Vorwurf die Rede ist,
dass er das irgendwie sagt.
Er hat es aber nicht gesagt.
Naja, er ist eben Jurist
und möchte sich nicht angreifbar machen.
Und viele haben eben ‘rausgelesen,
dass er den Vorwurf macht,
dass da Einfluss genommen worden ist.
Auf der anderen Seite ist natürlich klar,
die Bundesanwaltschaft ist weisungs-
gebunden, also Weisungen sind ganz normal,
vielleicht ist die
Einflussnahme unerträglich,
aber die wird auch
nicht wirklich vorgeworfen.
Dann kommt am Ende dieser Satz
„Ich habe mich gehalten gesehen, die
Öffentlichkeit hierüber zu informieren.“
Ja worüber eigentlich zu informieren?
Über Dinge, die man schon weiß,
oder darüber dass die Presse- und
Meinungsfreiheit ein hohes Gut ist?
Also man weiß es nicht.
Und dieser Text lässt einen am
Ende doch irgendwie ratlos zurück,
und wahrscheinlich – also man
kann da nur interpretieren –
hat Range sich schon das
Szenario so ausgedacht,
dass er dann irgendwie entlassen wird,
und hier so ‘nen Text
ohne wirklichen Vorwurf,
aus dem man aber einen Vorwurf
vielleicht herauslesen kann.
Ein etwas anderes Beispiel,
etwas martialischer,
Thomas de Maizière auf
der BKA-Herbsttagung,
hier auch sehr schön zu sehen auf
dem Bild unter der Überschrift
„Terror in Europa“.
Das illustriert hier den
Terror in Europa, okay.
Wir hören uns den Text
einfach mal an, zunächst.
Das Wort „Lage“ habe ich schonmal
erwähnt, das kommt hier häufig vor.
De Maizière: Nun gibt es eine Debatte,
wie gehen wir da mit der Öffentlichkeit um?
Und ich will ganz kurz noch mal
meine Position dazu erörtern.
Wir können nicht jeden Hinweis dieser Art
in der Öffentlichkeit diskutieren.
Weder vor einer Lage,
erst Recht nicht während einer Lage
– auch nicht durch Presseaktivität –
und allermeistens auch
nicht nach einer Lage.
Warum ist das so?
Der erste Punkt: Viele dieser Hinweise
kommen von Institutionen,
Einrichtungen, Menschen, die wollen nicht,
dass die Tatsache dass sie den
Hinweis geben bekannt wird.
Wenn das passiert, besteht die Gefahr,
dass sie vielleicht in Zukunft
keinen Hinweis mehr geben.
Weil sie, oder die Quelle von
der sie die Information haben,
vielleicht sogar gefährdet wird.
Und es wäre dann nicht in unserem
Interesse – ich sag‘s ganz ernst –
nicht im nationalen Interesse,
solche Hinweisgeber dazu zu veranlassen,
in Zukunft uns nicht mehr mit
solchen Hinweisen auszustatten.
maha: Hier ist der Text.
Wie gesagt: Unserer Meinung nach ist
lediglich an Informationen herauszulesen,
dass die Gefahr besteht, dass es
in Zukunft keine Hinweise mehr gibt,
weil die Quellen vielleicht
sogar gefährdet sind.
Naja das kann man sich fast auch denken.
Also so richtig informationsvoll
ist das nicht.
Aber der ganze Rest sind Gemeinplätze.
Also insbesondere, dass man vor der Lage,
nach der Lage, hinter der Lage
– ja also nie – was sagen kann, ist jetzt
irgendwie nicht besonders informativ.
Das Meiste hätte er sich
eigentlich schenken können.
Auch so eine Frage: „Warum ist das so?“
Das ist eigentlich das,
was er beantworten soll,
das soll er nicht fragen.
Wir können ja immer sagen,
das sind hier so Gelegenheitstexte.
Da ist jetzt so ‘ne Tagung,
da hält er mal ‘nen Vortrag und so.
Das ist alles nicht so richtig
offiziell für die Geschichte.
Was aber offiziell für die Geschichte ist,
ist eine Regierungserklärung.
Da sollte vor allen Dingen
etwas drin stehen,
was dann auch in die
Geschichtsbücher eingehen kann.
Und es sollte eigentlich wenig
drumherum geredet werden.
Wir schauen uns mal an, wie es real ist:
Kai: Angela Merkel ist wie ich finde
eine Meisterin dieser politischen Sprache,
und wir sehen kurz - wir hören nicht das
wär‘ zu lang - die Regierungserklärung
die sie gehalten hat zu einer der Fragen,
die in den letzten Monaten
ich glaube die meisten Menschen
in diesem Land beschäftigt hat,
nämlich: Was ist der
Plan der Bundesregierung
mit einer Million oder mehr
Flüchtlingen umzugehen?
Das ist der Text der Regierungserklärung.
Der Komplette.
Muss man jetzt nicht lesen können,
da kommen gleich noch ein paar Beispiele.
Es geht nur darum, das war die gesamte
Menge. Die hat sie im Bundestag gehalten,
hat relativ lange gedauert. Das
waren 5237 Wörter zum Thema
„Wie will die Bundesregierung
mit Flüchtlingen umgehen?“
So sieht der Text aus,
wenn man den ganzen Quatsch ‘rausnimmt.
Wenn man alle Dopplungen,
alle „ich sage jetzt mal konkret“,
oder „ich möchte hier betonen“ ‘rausnimmt,
wenn man alle Floskeln entfernt.
Der Witz ist, dass sich der Rest
immer noch sehr gut lesen lässt.
Das wäre ‘ne gute Rede.
Da steht durchaus was drin.
So wurde sie aber nicht gehalten.
Das war ungefähr die Quote.
Ich geb‘ zu, man könnte streiten
über unsere Streichungen.
Applaus
Man könnte streiten über unsere
Streichungen, bei einigen könnte man
argumentieren „ja, da ist ja vielleicht
doch noch ‘ne Information drin
und vielleicht muss man dafür
was anderes streichen“ und so,
aber ich glaube die Quote stimmt ungefähr.
Regierungserklärung!
maha: Wir haben ja uns
darüber lange unterhalten,
also das ist ja schon diskutiert worden.
Kai: Der Witz war: je öfter wir
den Text gelesen haben,
desto mehr haben wir gestrichen.
Lachen
Ein paar Beispiele: Angela Merkel.
Merkel: Liebe Kolleginnen und Kollegen.
Polizei und Nachrichtendienste arbeiten
in Deutschland unter Hochdruck
an der Aufklärung der grausamen Anschläge
und Aufdeckung ihrer
terroristischen Strukturen.
Auch in Deutschland ist
die Bedrohungslage hoch.
Wir gehen allen Hinweisen nach,
und müssen natürlich
– das haben wir letzte Woche
Dienstag gesehen – immer wieder
eine schwierige Abwägung treffen,
zwischen Freiheit und Sicherheit.
Ich will hier ausdrücklich sagen,
auch im Namen der ganzen Bundesregierung,
wir haben Vertrauen in
unsere Sicherheitsbehörden,
dass sie mit Augenmaß handeln.
Und sie brauchen unsere
politische Unterstützung
und die haben sie auch.
Denn anders können
Sicherheitsbehörden nicht handeln.
Applaus im gezeigten Video
Zwei Dinge sind mir sehr wichtig.
Erstens – und da möchte ich mich auch
beim deutschen Bundestag,
bei seiner Mehrheit bedanken –
wir müssen wachsam und wehrhaft sein
und deshalb war es richtig
– und das haben wir schon vor
den Anschlägen beschlossen –
dass wir eine personelle
und technische Verstärkung
unserer Sicherheitsbehörden haben werden.
Kai: Jetzt kommt der Inhalt.
Merkel: Es gibt 1000 neue Planstellen
im Jahr 2016 für die Bundespolizei,
insgesamt bis 2018
3000 zusätzliche Stellen.
Es werden so genannte
„robuste Einsatzeinheiten“
bei der Bundespolizei aufgebaut,
die so ausgebildet und
ausgestattet sein werden,
dass sie terroristischen
Lagen begegnen können,
und damit unsere Möglichkeiten
in solchen Fällen deutlich erweitern,
über das, was die Landespolizeien
und die GSG9 heute schon kann.
Wir stärken unsere Nachrichtendienste,
investieren unter anderem
in Modernisierung der
technischen Ausstattung,
verstärken das Bundesamt
für Verfassungsschutz
und den Bundesnachrichtendienst
auch personell.
Kai: Hier nochmal der Text.
Was steht da drin?
Ich hab‘s jetzt nicht farblich markiert
um‘s schwerer zu machen.
Da steht drin: „Wir verstärken Polizei
und Nachrichtendienste, und übrigens:
wir haben das schon beschlossen, bevor
diese Terroranschläge in Paris waren.“
Was das jetzt alles mit der Regierungs-
erklärung zur Flüchtlingskrise zu tun hat?
Keine Ahnung.
Wurde aber darin ausführlich besprochen.
Da sind dann so schöne Worte drin wie
„robuste Einsatzeinheiten
der Bundespolizei,
die so ausgebildet und ausgestattet sein
werden, dass sie terroristischen Lagen...“
– da sind sie wieder –
„...begegnen können“.
Das hoffe ich doch, dass sie das können.
Weil sonst wären sie ja sinnlos,
bei terroristischen Lagen.
Wie gesagt: es geht um Flüchtlinge, wir
machen mal weiter, vielleicht kommen wir
ja noch dazu, was die Regierung jetzt
eigentlich zum Thema Flüchtlinge
machen will, weil ich glaube es
interessiert wirklich Menschen.
Weil da kommen viele Leute
und „wie ist denn eigentlich der Plan?“
Also weiter im Text:
Merkel: Sie haben einen
klaren Anspruch darauf,
zu wissen, nach welcher Agenda,
nach welchem Plan die Bundesregierung
an der Bekämpfung der Fluchtursachen,
an den europäischen Maßnahmen
und an den nationalen Maßnahmen arbeitet.
Beginnen müssen wir bei der
Bekämpfung der Fluchtursachen.
Es herrscht in vielen Regionen
Krieg und Terror, Staaten zerfallen,
viele Jahre haben wir es gelesen,
wir haben es gehört,
wir haben es im Fernsehen gesehen,
aber wir haben damals noch
nicht ausreichend verstanden,
dass das was in Aleppo
und Mossul passiert,
für Essen oder Stuttgart
relevant sein kann.
Und damit müssen wir umgehen.
Das wird Veränderungen in
unserer Politik mit sich bringen,
zugunsten der Außenpolitik,
zugunsten der Entwicklungspolitik,
weil wir uns immer fragen müssen:
Was bedeutet welche Maßnahme
für uns hier zu Hause?
Applaus im Video
Ich glaube es ist klar, dass wir dazu
einen langen Atem und Geduld brauchen.
Wir brauchen vor allen
Dingen auch Partner.
Kai: So! Was ist der Plan der
Bundesregierung zum Umgang
mit mehr als einer Million Flüchtlinge?
Sie haben einen klaren Anspruch
darauf, das zu wissen.
Lachen
Ja, Sie lachen!
Da verstecken sich Informationen.
Sehr gut!
Da steht: wir müssen irgendwas tun,
wir müssen irgendwas im Ausland tun,
wir müssen irgendwas mit
unserer Flüchtlingspolitik tun.
Das wird irgendwas an
unserer Politik verändern,
wir brauchen Geduld dazu und
wir schaffen‘s nicht alleine.
Das ist die Information.
Gut verpackt.
Wie gesagt: Es geht nicht um Lügen.
Es geht nur darum, Dinge so zu sagen,
dass jeder das Gefühlt hat,
er hat irgendwas gehört,
was für ihn irgendwo passt
und er kann irgendwie zustimmen,
und muss nicht widersprechen und ablehnen.
Haben wir noch Zeit? Ja.
Hier ein kurzes Beispiel,
das schon viel älter ist,
was nur zeigen soll, wie sehr man
sich in sowas verlaufen kann:
Christian Ruck war ein Unionspolitiker,
der hat 2001 diesen schönen Satz gesagt
zum Thema Terrorismus:
„Bin Laden und andere
Terroristen sind nicht arm,
aber die sozialen Sprengsätze
der Welt sind der Scheiterhaufen
für die Lunte, die die Terroristen
anzünden wollen.“
Ist ‘ne Reihung von Phrasen,
und der arme Mann ist völlig verwirrt. Er
weiß selber nicht mehr, was er da sagt.
Nur ein kleines Beispiel als Witz.
Weil eigentlich gibt‘s
‘nen ernsten Hintergrund.
In Floskeln verstecken sich Informationen.
Die kann man sehen. Das hier
– übrigens die Daten dazu verdanken wir
der Floskelwolke, herzlichen Dank dafür –
Floskelwolke, falls es jemand von Ihnen...
Applaus
...ist ein Projekt von zwei Journalisten,
die Google News systematisch scannen,
nach z. Zt. ca. 130 Phrasen und Floskeln
und die jeden Tag eine Auswertung machen,
welche davon wie häufig genannt werden.
Gibt‘s als Twitter-Account und ne Website,
die Daten davon – gibt‘s als API – kann
man sich runterladen, wir haben die Daten
mal für das Jahr 2015
genommen, für ein paar
im Jahr 2015 wichtige Probleme
und haben die visualisiert.
Und da sieht man ein
paar interessante Dinge.
Zum Beispiel sieht man, das in der Mitte
– kann man die Begriffe lesen?
Sehr klein, tut mir leid,
es ging nicht anders.
Das in der Mitte, was so durchläuft,
wo überall Ausschläge sind,
das ist „alternativlos“.
Lachen
Applaus
Das ist sowas wie der Nullwert
der politischen Kommunikation.
Das kann man immer sagen.
Lachen
Passt immer. Und wie man
sieht ist es völlig sinnlos, weil
alles ist alternativlos. Im Zweifel ist
alternativlos, dass wir hier oben stehen,
weil dann wär‘ hier kein Vortrag und Sie
würden sich langweilen, wär‘ auch schade.
Man sieht aber noch mehr.
Der erste Begriff der da
auftaucht: „Überfremdung“.
Der taucht nur im Dezember auf, ganz kurz,
weil ein, zwei sagen wir vorsichtig, sehr
konservative Medien ihn benutzt haben
als Beschimpfung für
das Flüchtlingsproblem.
Der zweite Begriff da drunter:
„menschliche Katastrophe“.
Relativ viele Ausschläge
verteilt über das ganze Jahr,
jedes Kästchen ist übrigens ein Tag.
Relativ viele Ausschläge
über das ganze Jahr, menschliche
Katastrophen gab‘s also ‘ne Menge.
Interessanterweise nehmen
sie zum Ende des Jahres ab.
Das heißt, das Thema
Flüchtlinge wird am Anfang
auch unter menschliche Katastrophe
subsummiert, später dann nicht mehr.
Da nehmen dann die Angst-Metaphern zu,
das sehen wir auch gleich noch.
Da drunter „die Lage eskaliert“,
da eskaliert viel,
vor allem im zweiten Teil des Jahres,
das ist in erster Linie der Syrien-
Bürgerkrieg, den man da sieht.
Da gibt‘s mehrere Ausschläge.
Sieht man auch an dem Begriff da drunter:
die „Luftschläge“.
Auch ‘ne schöne Floskel.
Niemand schlägt in die Luft,
sondern es geht um Bombardierungen.
Auch die beziehen sich in erster
Linie auf den Bürgerkrieg in Syrien
und man sieht: im zweiten Teil
des Jahres wurden die wichtiger.
Dann hatten wir „alternativlos“,
da drunter ist der „Sozialtourismus“,
der spielt immer nur kurz
‘ne Rolle, zu Beginn,
also als diese Flüchtlingsdebatten
sehr heiß liefen,
da gab‘s mal kurz den Vorwurf, glaube
der CSU, das wäre ja nur Sozialtourismus.
Machen sie gerne mal, wie man am Anfang
des Jahres sieht, da gab‘s das auch kurz,
spielt aber nicht so ‘ne große Rolle.
Interessanter schon die
beiden danach folgenden,
das sind die „Asylgegner“
und die „Asylkritiker“.
Das sind ja beides Umschreibungen
für Pegida-Demonstrationen,
die sind gegen Asyl,
relativ lautstark sogar,
und mit relativ hässlichen Parolen.
Man kann die, wenn man unbedingt will
als Asylgegner oder -kritiker bezeichnen,
das wurde auch relativ oft getan.
Dann gab‘s Kritik an den Begriffen und
sie hören auf. Sie schleichen sich aus,
wie man sieht am Ende des Jahres. Auch
interessant, das heißt es gibt durchaus
eine Debatte um Floskeln und man kann die
beeinflussen, auch das ist wichtig.
Dann kommen die „Bootsmigranten“,
da gibt‘s einen Ausschlag im Frühjahr,
das ist der Beginn der Mittelmeersaison.
Das ist der Beginn der Zeit, wo relativ
viele Leute versuchen, mit selbstgebauten
Booten, Schlauchbooten und so, über‘s
Mittelmeer nach Europa zu kommen.
Die wurden anfangs als
Bootsmigranten bezeichnet,
dann hat man gesehen, was deren
Schicksale bedeuten und hat‘s gelassen.
Und dann kommt der „Flüchtlingstsunami“,
der immer mal wieder gerne benutzt wurde,
offensichtlich, in der gesamten Debatte,
gerade so im Herbst und Winter.
Und dann kommt der Bellizismus,
den wir vorhin schon hatten,
der „Flüchtlingsansturm“.
Der ist neu. Der ist relativ neu,
den gibt‘s nur so im November/Dezember,
dafür aber relativ konstant.
Was man an dem ganzen Bild sieht:
Die Wahrnehmung von Leid nimmt
ab und die Angst nimmt zu.
Und dann die letzte Debatte, die das ja
auch zeigt: „Das Boot ist voll“.
Kommt auch erst am Ende. „Wir
haben genug von euch, es reicht.“
Am Anfang haben wir ja noch gesagt:
„Okay, es tut uns leid, wer ihr seid,
und dass ihr dabei sterbt,
wenn ihr herkommen wollt,
aber langsam reicht‘s. Das
Boot ist voll. Nimmt zu.“
Das heißt: Floskeln enthalten
Informationen. Man kann sie sehen.
Und deswegen finden wir
es wichtig, zuzuhören.
Das Problem ist nur, dass man
eine Filterleistung erbringen muss,
um dahinter zu kommen,
was eigentlich gemeint ist.
maha: Hängt schon mit
dem nächsten zusammen,
nämlich die Frage der Kontextualisierung
kann man hier auch nochmal schön sehen.
Ganz am Ende diese ganz krassen Sachen,
wie Überfremdung und eben
auch Flüchtlingsansturm,
auch die Kriegsmetapher
die da drin steckt.
Wenn sowas verwendet wird,
dann gewöhnen sich die Leute
an das Reden über
Konflikt und Krieg, und das
ist natürlich auch gefährlich.
Deshalb sollte man tunlichst...
...oder solltet ihr
tunlichst solche Begriffe
oder Wortprägungen vermeiden.
Wir sind nochmal bei unseren Hypothesen:
In den Naturwissenschaften
möchte man ja immer falsifizieren,
wir müssen jetzt hier als
Geisteswissenschaftler Dinge verifizieren.
Zusammenhänge werden verschleiert,
ich glaube das ist deutlich geworden,
das ist besonders glaube ich am Beispiel
Merkel und am Beispiel de Maizière
deutlich geworden. Die
Informationsdichte wird verringert,
oder von geringer Informationsmenge
wird abgelenkt,
das ist mit Sicherheit bei Range so,
er hat eigentlich nichts gesagt,
aber wollte trotzdem ‘ne Pressekonferenz
machen. Also: Informationsmenge auffüllen
mit Phrasen. Es wird abgelenkt davon,
worum es eigentlich geht.
Das war, glaube ich, bei Merkel
sehr deutlich, es ging ja offensichtlich
eigentlich nur um die Stärkung
der Sicherheitsdienste
und das wurde da irgendwie eingebettet.
Der Anlass waren Flüchtlinge und dann
sagt sie es gibt jetzt robuste Einheiten.
Also militärische Materialien
für die Polizei.
Zitierfähige Sätze ohne klare Position,
bei Range ganz deutlich.
Die Offenheit konnte man glaube ich
auch besonders bei Range sehen,
aber auch natürlich bei
de Maizière, und letztlich auch bei Merkel
also semantische Offenheiten waren
glaube ich in allen Beispielen zu finden.
Und Schlagworte, die hatten wir eben auch,
bis hin zu den terroristischen
Lagen, sogar im Plural.
Und die Kontextualisierung,
das haben wir ja zum Schluss nochmal
bei der Flüchtlingswolke gezeigt,
dass gewisse Dinge manchmal
harmlos kontextualisiert werden
und manchmal weniger harmlos. Bzw.
eigentlich schlimme Dinge
auch harmlos dargestellt werden.
Anders nochmal formuliert
worum es eigentlich geht:
Kai: Nur kurz zusammengefasst:
Die lügen nicht.
Und wer das sagt, hat nicht verstanden,
worum es dabei eigentlich geht.
Das Problem ist: Die wollen
euch nicht vor den Kopf stoßen.
Die wollen nicht, dass ihr sagt: „Was?
Damit kann ich mich ja überhaupt nicht
einverstanden erklären, das find‘
ich doof, die wähle ich nicht mehr.“
Das ist ihre größte Angst.
In Politik geht es vor Allem darum,
wiedergewählt zu werden,
sonst kann man ja keine Politik mehr
machen und der Lebensinhalt ist weg.
Und man muss sich ‘nen anderen
suchen, das ist verständlich.
Also der Versuch, möglichst
viele Leute mitzunehmen,
damit sie sich damit
identifizieren können.
Wir sind ‘ne Mehrheitsgesellschaft,
wir verhandeln unsere Ideale
und unsere Werte.
Und das ist der Hintergrund.
Das heißt, es ist nicht per se böse.
Aber man kann es ändern, indem man
(A) das rausfiltert, was man da hört, und
(B) vielleicht auch mit Meinungen,
die einem nicht so passen
sich auseinandersetzt. Und die Leute
nicht zwingt, so‘n Quatsch zu reden.
Das wars.
Applaus
Wir haben noch ein paar
Minuten für Fragen.
Herald: So ist es. Wir haben ein
paar Fragen aus dem Internet,
und ansonsten haben wir die
Mikrophone hier im Saal,
sechs Stück an der Zahl,
wo Ihr euch jetzt aufstellen könnt,
um Eure Frage möglichst kurz und präzise,
ohne viele Worthülsen...
Kai: Wir antworten natürlich in Floskeln.
Herald: So, bis dahin, aus
dem Internet eine Frage?
Signal Angel: Ja, aus dem IRC:
Legt ihr bei euren Analysen
auch Wert auf die Mimik
und Gestik der Politiker?
Kai: Bisher nicht.
maha: Bisher nicht. Man
sollte es vielleicht tun.
Gerade bei de Maizière ist
das ja sehr ausdrucksstark,
Merkels Mimik ist eher
nicht so ausdrucksstark.
lacht
Aber bei de Maizière kann
man das sehr schön sehen.
Kai: Auch Frau von der Leyen, übrigens,
ist sehr stark. Die agiert immer sehr viel
mit den Händen und mit ihren
strahlenden blauen Augen
und so, also es fällt bei
manchen schon sehr auf,
aber ehrlich gesagt beschränken
wir uns auf die Sprache.
maha: Ich hab‘ kürzlich bei
einer anderen Gelegenheit,
bei einem Vortrag in Darmstadt,
den es glaube ich auch im Internet
inzwischen gibt, auch
de Maizière nochmal
mehr Aufmerksamkeit geschenkt, also
dieser berühmten Pressekonferenz,
wo er diesen Satz sagt, die Bevölkerung
könnte es verunsichern, was er sagt.
Da ist sehr viel Mimik drin.
Er guckt immer so zu dem Jäger
‘rüber, und der Jäger zu ihm,
also der Innenminister, so
als seien sie gute Kumpels,
oder dann auch der Fußballmensch,
der dann auch die Mikrofone
immer zu de Maizière schiebt,
da ist sehr viel Ausdruckskraft in der
ganzen Gestik und in der Mimik drin.
Also da könnte man
wirklich was dazu machen.
Werd‘ ich mir mal vornehmen
für die Zukunft. Danke!
Herald: Vielen Dank. Mikrofon Nr.2, bitte.
Frage: Ja, da möchte ich anschließen.
Die Sache mit... Die Art der Präsentation,
z.B. der Range hat die
ganze Zeit runtergeschaut,
damit er das Wort gleich runterbekommt,
diesen ersten Teil des Textes.
Weil da sehr viele
Spezialfloskeln drin sind,
oder Spezialformulierungen
drinnen waren,
die auf einen Spezialwortschatz,
nämlich das Juridische zurückgreifen.
Und da zum Beispiel wäre
mir das Wort „Weisung“
auch noch als wichtig erschienen,
weil ein Beamter, der eine
Weisung nicht unterstützt,
kann über Remonstratio fordern,
dass sie ihm schriftlich gegeben wird,
und damit muss er sie zwar befolgen,
kann aber damit dokumentieren,
dass er das nicht möchte.
Das ist einfach ein riesiger Disclaimer...
Kai: Vielen Dank. Wir nehmen
sowas gerne als Hinweis an.
Tweet, Mail, etc. und das findet
sich im Blog, herzlichen Dank.
Frage: Passt! Danke!
Herald: Okay, also Hinweise
per Email, Fragen jetzt: Mikrofon Nr.1.
Frage: Sorry, das ist ein ganz
kleines bisschen Off-Topic,
aber ich hab‘ trotzdem
den Drang, das zu sagen:
Und zwar find ich den eigentlichen
Skandal an der Merkel-Rede doch,
dass sie uns eigentlich
ihre Außenpolitik erklärt,
indem sie sagt, dass es mit der
Bekämpfung der Fluchtursachen beginnt,
und dass sie uns allen ins Gesicht sagt,
dass sie schon früher angefangen hätten,
diese Ursachen zu bekämpfen,
wenn sie gewusst hätte,
dass es einen Impact auf
Stuttgart und Essen gehabt hätte...
Kai: Abslolut!
Frage: ...das heißt, mit anderen Worten,
wie es in Syrien aussieht juckt
uns gar nicht, so lange uns hier
niemand damit auf die Füße tritt
und das finde ich das eigentliche Thema.
Applaus
Kai: Vielen Dank.
Herald: Dann bitte Mikrofon Nr.3.
Frage: Sehr ihr die Abnahme der
Informationsdichte als Reaktion darauf,
dass immer mehr Leute Sprache
analysieren, also sowas machen wie ihr?
Kai: lacht
Schön wär‘s.
Nein, ich glaube das ist tatsächlich
ein politischer Zwang,
je ausgebildeter die
politische Landschaft ist,
und je mehr es im Parteienspektrum
gibt, die sich da tummeln...
es ist ein Zwang, möglichst
viele Menschen zu vereinen,
der Versuch der Union zum Beispiel,
die so genannte Mitte anzusprechen,
was immer das ist, kein Mensch weiß das.
Vorher hat‘s die SPD versucht,
jetzt versucht‘s die Union.
Das hat weniger mit uns oder anderen
zu tun – wie die Floskelwolke –
die Sprache analysieren. Ich glaube,
es geht eher um politische Zwecke.
maha: Und das wird
sehr trickreich gemacht,
es gibt ja die berühmte
Pressekonferenz von Seehofer,
bei der alle hinterher dachten,
er will die Flüchtlinge rausschmeißen.
Oder erschießen an der Grenze oder so.
Wenn man aber genau guckt was er sagt,
dann spricht er am Anfang von
Flüchtlingen und dann spricht er aber
von der Zuwanderung. Also
wenn es um Begrenzung geht,
geht‘s immer nur um die Begrenzung
der Zuwanderung, was ‘was anderes ist,
als die Aufnahme von Flüchtlingen.
Und das ist ganz interessant.
Durch den Kontext denkt
der Stammtischhörer
in Bayern: Endlich tut mal einer
was gegen die Flüchtlinge.
Er hat es aber so formuliert, dass man
das eigentlich nicht rauslesen kann,
sondern es geht ihm um die
Begrenzung der Zuwanderung,
was ein bisschen ein anderer Aspekt ist,
als Flüchtlinge auszusperren.
Aber dennoch nimmt er
die Stammtische da mit.
Das heißt, er möchte eigentlich zu allen
reden und alle auf seine Seite bringen,
also einmal natürlich die Stammtische,
das geschieht durch den Kontext,
und dann diejenigen die vielleicht genauer
hinhören, die kann er auch noch mitnehmen,
weil er sagt „wir sind ja eigentlich nicht
gegen die Aufnahme von Flüchtlingen“.
Die CDU versteht das möglicherweise auch.
Und das ist eigentlich im Grunde
– ich will das jetzt nicht bewundern –
aber es ist schon sehr geschickt,
weil er es eben schafft,
irgendwie was zu sagen
wo die Stammtischbrüder und
-schwestern dann alle sagen „Jawoll“,
und die Anderen sagen „naja gut,
damit können wir auch leben.“
Das ist gerade der Trick daran.
Herald: Danke schön. Mikrofon Nr.2, bitte.
Frage: Im IRC hat jemand den ersten
Foundation Roman aufgebracht,
mit diesen Abgesandten des Imperiums,
die nach drei Tagen Palaverns
nichts gesagt haben, was aber erst
nach viel Analyse und mit viel Technik
herausgefunden wird. Denkt ihr,
man kann eure Bullshit-Analyse, die
Streichungen, irgendwie automatisieren,
damit man das einfach durch
‘nen Filter laufen lassen kann?
Lachen und Applaus
Kai: Wir haben darüber nachgedacht,
wir treffen uns im Januar
mit der Floskelwolke,
die ja einen Algorithmus haben, ob
man sowas nicht mal machen kann.
Es ist nicht so leicht, weil
der Kontext sehr wichtig ist.
maha: Aber ein paar Sachen kann
man sicherlich automatisieren, also z.B.
wenn etwas schon mal gesagt worden ist.
Bei Range kommt ja dreimal „unabhängig“
und zweimal „Sachverständiger“ vor.
Das merkt dann auch
jeder Computer sehr leicht.
Aber...
wenn die gleichen Sachen nochmal
ein bisschen anders wiederholt werden,
wird es dann schwieriger. Aber ich
glaube, da gibt‘s Möglichkeiten.
Wir werden da weiter drüber nachdenken
und eine gewisse Automatisierung
ist sicherlich möglich.
Herald: Dankeschön. Mikrofon Nr.1, bitte.
Frage: Diese Floskeln
werden ja zum Teil auch
von Leuten, ohne dass sie es wollen,
aufgegriffen und in Gesprächen benutzt,
auch von Leuten, die einem nahestehen.
Meine Frage ist: Wie geht man damit um?
Klar kann ich jetzt anfangen,
mit diesen Leuten über
die Floskeln zu reflektieren,
aber dann ist wahrscheinlich
relativ schnell das Gespräch kaputt.
Kai: Also hauen und schütteln
wäre meine Variante, aber...
Lachen
Nein, im Gegenteil...
F: Entschuldigung, ich meinte Leute,
die mir nahe stehen! Ernsthaft!
Kai: Ja ja, schon klar. Ich auch.
Lachen, Applaus
Ich finde den Ansatz sehr gut.
Reflektieren über diese Floskeln.
Ich glaube, dass man auch auf friedliche
Art und Weise in einer Diskussion
sagen kann „Hey, was hast Du da
eigentlich gesagt? Was macht das mit Dir,
wenn Du sowas sagst, oder was macht das
mit mir, wenn Du sowas sagst?“
Ich finde das sehr wichtig, so eine
Debatte zu führen und darüber zu reden.
Ich weiß, dass man damit aneckt
und im familiären Zusammenhang
die Augen gerollt werden, aber...
ja um Gottes Willen! Bitte!
Debattiert über solche Begriffe.
Frage: Danke!
Kai: Danke auch!
Herald: Vielen Dank! Wir kommen
zur letzten Frage, Mikrofon 4, bitte.
Frage: Hallo! Ich fand Eure Visualisierung
von dieser Floskelwolke sehr schön,
vielen Dank dafür. Da ist ja zu
sehen, dass bestimmte Floskeln,
bestimmte Phrasen
ganz plötzlich auftauchen.
Habt Ihr Euch mal die Mühe gemacht die
Mechanismen anzugucken, wie das passiert,
von welchen Menschen oder Institutionen
das ausgeht, wie auch diese Ausschläge,
also ob die am Anfang hoch sind
und dann langsam runter gehen,
oder ob irgendwie mal in ‘nem
Blog der Begriff auftaucht
und dann langsam übernommen wird,
was da genau abläuft?
Kai: Floskelwolke analysiert Google News.
Und Google News wertet
ja Nachrichtenquellen aus.
Also Blogs und Medien.
Das sind keine Politikeraussagen per se,
sondern nur indirekt, die darin
zitiert werden. Und ja, es stimmt.
Z.B. Überfremdung war ein Begriff,
den kann man nachvollziehen.
Das war ein AfD-nahes Blog, das den zuerst
aufgebracht hat und dann war es irgendeine
– ich glaube Junge Freiheit oder so – eine
Zeitung, die das weiter verbreitet hat.
Aber auch sowas spiegelt sich in Google
News wider, auch in Zitationen,
weil andere das dann zitieren und sagen
„die haben geschrieben, dass“ und sowas.
Im Zweifel kann man das nachvollziehen,
ist allerdings sehr mühsam.
maha: Wir haben das ja vor ein paar Jahren
mal versucht mit dem „Rettungsschirm“,
und da kann man zumindest gut den
Zeitpunkt und die ersten Verwender sehen.
Was man manchmal ermitteln kann,
ist ob es eher aus der Politik kommt
oder eher aus dem Journalismus.
Das kriegt man ganz gut hin.
Das hängt natürlich immer vom
Wort ab. Aber das ist in der Tat
‘ne interessante Frage, wo das
herkommt und wer das aufbringt.
Kai: Beim „Rettungsschirm“ übrigens war‘s
Medien, die Financial Times Deutschland,
glaube ich, die hat‘s zuerst geschrieben.
Und machte dann ziemlich Konjunktur,
der Begriff, und wurde letztlich sogar
von der Politik übernommen, also
vom Wirtschaftsministerium und vom
Bundestag, findet sich dann auch
in Bundestagsreden wieder, aber
erstmal, der Anfang war in den Medien.
Es gibt umgekehrte Floskeln,
wie „Vorratsdatenspeicherung“,
die kommen aus der Politik,
finden sich dann in den Medien wieder.
Das ist ein Kreislauf.
Herald: Vielen, vielen Dank.
Applaus
Abspannmusik
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