Vorspannmusik Herald: Ich freue mich, dass ihr alle wieder hier seid, so früh am Morgen. Und ich freue mich umso mehr, maha und Kai Biermann begrüßen zu dürfen. Applaus Hier ist „Nach bestem Wissen und Gewissen – Floskeln in der Politik”. Ich habe vollstes Vertrauen, dass die beiden uns auch heute abend gut unterhalten werden. Applaus maha + Kai: Heute abend? Guten Tag, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Wählerinnen und Wähler, liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 32. Chaos Communication Congress, liebe Vertreterinnen und Vertreter gesellschaftlicher Gruppen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer an den neuartigen Empfangsgeräten. Lachen Liebe Freunde, ich freue mich, heute hier in diesem Raum, vor Ihnen, vor euch reden zu dürfen. Irgendwie sehen wir alle nicht aus wie Revolutionäre. Jedenfalls nicht wie die, die man sich so landläufig vorstellt. Und trotzdem stecken wir mittendrin in einer Revolution, die wir einerseits beobachten, die wir andererseits aber auch in den unterschiedlichsten Rollen am eigenen Leib erleben. Die Frage vor der wir stehen ist: Sind wir eigentlich Subjekte des Wandels wie klassische Revolutionäre? Bestimmen wir mit, wohin die Reise geht? Oder werden wir Objekte der Mächte, die auf immer neuen Feldern diese Revolution für sich nutzen? Es geht um die Grundlagen des Lebens der Generationen, die nach uns kommen. Wir wissen: wir müssen heute handeln. maha: Ja... Kai: Das muss der An... das muss der Anspruch... maha: Ja, gut, also. Applaus maha: Das war jetzt bis auf die Worte „32. Chaos Communication Congress“ kein Text von Kai, sondern Originaltexte von Angela Merkel. Lachen Applaus Ja, auch das mit der Revolution. Also wir merken schon, es geht hier um Phrasen und Floskeln und weil ja so‘n bisschen der wissenschaftliche Anspruch da sein muss, gibt‘s erst mal eine Definition. Die Phraseologie ist ja bekanntlich die Lehre von den Phraseologismen, also von festen Wendungen. Was wir hier machen ist neu, das ist die Phrasologie, nämlich die Lehre von den leeren Phrasen, Floskeln und Gemeinplätzen. Ja was sind das, Phrasen, Floskeln, Gemeinplätze? Man erkennt sie daran, dass sie wenig bis gar keine neue Information enthalten. Das ist nachher auch ein wichtiges Kriterium, wir wollen ja solche entdecken, in Texten. Und eben genau diese Dinge, die eben keine neue Information enthalten sind irgendwie, ja, auffällig. Sie klingen gut. Gut das kann man jetzt weniger schlecht, äh, weniger gut, genau, einordnen. Und sie sind offensichtlich wahr. Man kann auch vielleicht von Blähsprech sprechen. vereinzeltes Lachen Ja, es wird gelacht einzelnes Klatschen und geklatscht. Aber das heißt wirklich so, nur auf griechisch. Pleonasmus ist nichts anderes als Blähsprech. Lachen und Applaus Ja, wir fangen an mit Hypothesen. Ach, ich soll das machen? Kai: Da steht maha. maha: Ja, ok. Also, wir sind noch nicht ganz wach. Kai: Entschuldigung! maha: Floskeln, Phrasen und Gemeinplätze haben also eine Funktion in der politischen Sprache, ist unsere Hypothese, die sind nicht einfach nur so da, um den Text länger zu machen. Sie haben eine Aufgabe. Und das möchten wir dann auch zeigen, an Beispielen. Also Zusammenhänge sollen verschleiert werden. Das ist irgendwie sehr naheliegend. Die Informationsdichte soll verringert werden, oder es soll überhaupt von geringer Informationsmenge abgelenkt werden. Wir haben nachher eine Presse- Erklärung, da ist null Information drin. Und das werden wir uns dann anschauen. Sie sollen manchmal auch davon ablenken, worum es eigentlich geht. Auf der anderen Seite, und das betrifft jetzt auch so‘n bisschen den Journalismus, sie sollen für zitierfähige Sätze sorgen, ohne eine klare Position erkennen zu lassen. Und sie sollen bei möglichst vielen Menschen den Eindruck hervorrufen, dass eben diese Menschen gehört haben, was sie hören wollen. Das ist, diese Sätze sind oft so semantisch offen, dass man eben seinen eigenen Eindruck da irgendwie reininterpretieren kann. Wir werden das auch nachher an einem Beispiel sehen, wo jemand eine Pressekonferenz hält und alle hören raus, was sie raushören wollen. Das ist wirklich... das ist auch ein bekannter Text. Ja, und dann geht es natürlich um Schlagworte, und zwar um Schlagworte, die bestimmte Leute hören wollen, die sollen verwendet werden. Und, ja, sie sollen kontextualisiert werden durch möglicherweise harmlosen Kontext. Und jetzt kommt gleich das erste Beispiel, weil das alles so abstrakt ist. Und jetzt ist aber Kai... Kai: Und wir haben natürlich ein „heißes Eisen” mitgenommen, um gleich eine solche Floskel zu verwenden. Sie hören gleich einen bekannten Politiker. Der spricht zum Thema Exporte oder geplante Exporte von Leopard-Panzern nach Saudi-Arabien. Die sind ja nicht ganz unumstritten. Und wir hören ihn in zwei Versionen. Gabriel: Die Waffen, die Waffen, bei denen Sie bereit sind, das sie geliefert werden dürfen, bedrohen nicht den Iran, sondern die Demokratiebewegung. Sie schützen nicht Israel, sondern ein feudales Herrscherhaus und sie gefährden, und das will ich dann auch mal deutlich sagen, im Zweifel dann auch irgendwann uns, denn eine Lehre haben wir doch, wenn wir im Westen in der Vergangenheit gedacht haben, amerikanische Außenpolitik nach dem Motto „der Teufel den wir kennen, ist besser als den, den wir nicht kennen“ dass sowas schnell schiefgehen kann. Und erst Waffen schicken und dann hinterher Bundeswehrsoldaten um Friedens- oder Kriegseinsätze zu machen, diese Waffen denen wieder abzunehmen, das ist auch keine besonders kluge Außenpolitik, sie ist gefährlich für unsere Soldatinnen und Soldaten, meine Damen und Herren. K: Hier nochmal der Text, so zum bisschen nachlesen, meine Damen und Herren. Das war relativ klar. Natürlich hat er so ein paar Phrasen benutzt also zum Beispiel die, dass er etwas besonders klar sagen will und so aber in der Summe war der Text relativ klar. 2011, man bemerke das Datum, Sigmar Gabriel war damals in der Opposition. Der gleiche Politiker, zum gleichen Thema, mit der gleichen Grundhaltung: 2014. G: Religiös, ethnisch und politisch war der arabische Raum schon immer eine der komplexesten Regionen der Welt, das gilt heute vielleicht mehr denn je. Viele dieser Konflikte werden gewaltsam ausgetragen, weitere Spannungen können sich über kurz oder lang militärisch entladen. So ist es spätestens jetzt unausweichlich geworden, Rüstungsgüter nur nach sehr strengen Kriterien und nach dem Grundsatz größter Zurückhaltung in diese Region auszuführen. Gleichzeitig dürfen die Massivität und die Komplexität der Gewaltausbrüche uns nicht dazu verleiten, auf Differenzierungen, auch innerhalb des arabischen Raums, zu verzichten. Wir sollten jedenfalls in jedem Fall eine sorgfältige Einzelfallabwägung treffen. Die vielfach nachgefragte Lieferung von Kampfpanzern Leopard in den arabischen Raum, oder auch in andere Regionen der Welt, darf deshalb eben gerade nicht unter wirtschaftspolitischen Interessen entschieden werden, sondern auf der Grundlage einer solch differenzierten außen- und sicherheitspolitischen Analyse. Ich komme bei dieser Analyse zu dem Ergebnis, dass sich die Lieferung dieses Waffensystems wie auch in den vergangenen Jahrzehnten nicht rechtfertigen ließe. Natürlich muss regelmäßig überprüft werden, ob die getroffenen Beurteilungen von denkbaren Exportländern noch zutreffen oder sich verändert haben, aufgrund der politischen und gesellschaftlichen Veränderungen vor Ort. Kai: Hier nochmal für alle, denen es zu schnell ging oder zu viel war, der Text. Nochmal. Das gleiche Thema. Die gleiche Grundhaltung. Ich hoffe, Sie haben es erkannt, dass Sigmar Gabriel immer noch die Haltung hat, dass er den Export von Leopard-Panzern ablehnt. Es klingt nur etwas anders. 2011 waren es Waffen, und die waren gefährlich, für die eigenen Soldatinnen und Soldaten und überhaupt und eine dumme Idee. 2014 – Sigmar Gabriel ist inzwischen in der Regierung – sind es Waffensysteme, und ein Export lässt sich nicht mehr rechtfertigen. Muss aber regelmäßig überprüft werden, ob das noch stimmt. Sprache verschleiert hier sehr gut, dass er immer noch der gleichen Meinung ist, aber es inzwischen nicht mehr so richtig opportun ist, die so klar zu äußern. maha: Genau. Wir kommen jetzt zum Vorlesungsteil. Ja, Typen von Phrasen, Floskeln, was gibt‘s da? Also ich hab die so kategorisiert. Die echten Phraseologismen, gleich kommen die Beispiele, oder Kollokationen, dann Gemeinplätze, dann die bekannten Pleonasmen, da besonders Hendiadyoin, und bedeutungsleere Wörter. Wir fangen an mit den echten Phraseologismen, da sind ein paar bekannte Beispiele: Es wird sich immer gern „bekannt“, das hatten wir im letzten Jahr in der digitalen Agenda, da wurde sich sehr viel bekannt zum Breitbandausbau. „Wir schaffen das“ ist so ähnlich, also optimistische Grundhaltung, aber was genau getan wird, wissen wir nicht. „Hochrangige Gespräche“, klar, das ist irgendwie... hochrangig und Gespräche, das passt gut zusammen, obwohl es keine niederrangigen Gespräche gibt, da kommen wir gleich noch drauf. „Deutscher Boden“ ist auch jetzt sehr beliebt; „auf deutschem Boden deutsches Recht“ soll eingehalten werden hat Pofalla damals gesagt. Da gibt‘s ja, gab‘s ja auch noch einen Vortrag über die Weltraumtheorie und so. „Gute Arbeit“ wird geleistet, schlechte Arbeit meistens nicht. Die „Grenzen der Belastbarkeit“ ist so eine feste Wendung, „der Auftrag des Wählers“, „ist vom Tisch“ auch wieder Pofalla, „die rote Linie“, „unter Hochdruck“, kommen wir noch drauf. Hier ein paar, hier nochmal ein besonderes Beispiel was uns aufgefallen ist, „sich mit etwas zufrieden äußern“ eigentlich so eine Doppelprädikation, also sich äußern und zufrieden sein, hier sind also mal ein paar Beispiele wer... mit was man sich alles zufrieden äußern kann. Ja, dann hab ich hier so eine ganze Gruppe von Beispielen die was mit klar, und Klartext zu tun haben: „Klar sagen“, „Klartext reden“, „klare Worte“, „klar Stellung beziehen“. Wie man unklar Stellung beziehen kann, weiß ich auch nicht so genau. Und Pofalla will sogar „zusätzliche Klarheit“ haben. Also, wenn schon alles klar ist, was ist dann die zusätzliche Klarheit, man weiß es nicht. Dann die berühmten Gemeinplätze. Ich hatte dieses T-Shirt schonmal an und bin gefragt worden, was das eigentlich bedeutet, also „das Gras ist grün“ ist so ein Gemeinplatz. Fällt auch auf, weil es hier rot ist, das haben Hörer meiner Vorträge entworfen für mich, dieses T-Shirt. Oder Westerwelle „Nichts ist einfach, vieles bleibt schwierig in Afghanistan.“ auch ein Beispiel, was wir schon mal hatten. Lachen Klar! Also ein Gemeinplatz ist etwas, was schon von vornherein klar ist. „Die Lage ist ernst.“ De Maizière. Oder auch de Maizière: „Wir können nur etwas erreichen, wenn alle ihren Beitrag leisten.“ Ja. Klar. Dann kann man was erreichen. Und jetzt hier die Krönung aller Gemeinplätze, die jetzt sogar Mem-Status hat und, ohne dass wir uns abgesprochen haben, schon von Fefe gestern vorgeführt wurde, wie ich gehört habe, aber trotzdem. Es ist so schön: De Maizière: „Irgendwelche Hacker mögen immer irgendwas hacken können, aber die Zuverlässigkeit und Sicherheit des neuen Personalausweises steht nicht in Frage.“ maha: Ja. So. Nochmal speziell zu den Pleonasmen. Die erkennt man daran – ich hab‘s vorhin schon angedeutet – dass man sie nicht verneinen kann. Also: „Konstruktive Gespräche“: „Unkonstruktive Gespräche“ klingt komisch. „Geltendes Recht“: Nichtgeltendes Recht ist irgendwie kaum denkbar. „Unermüdlicher Einsatz“: Das Wort „ermüdlich“ gibt‘s gar nicht im Deutschen. Also es gibt nur unermüdlichen Einsatz, ermüdlicher Einsatz ist zwar vorstellbar, aber das Wort „ermüdlich“ gibt‘s nicht. „Künftige Gefährdungen“: Das kommt von de Maizière und naja. Gefährdung ist ja immer etwas, was auf die Zukunft... also die Gefahr ist in der Zukunft, und künftige Gefährdungen, also es wird erst künftig gefährlich, ist irgendwie auch seltsam. „Unschuldige Opfer“: also schuldige Opfer... seltsam, ne? Es wird auch immer nur von „schwierigen Lagen“ gesprochen, also „einfache Lage“... hab ich noch nie gehört. Kai: Aber es gibt inzwischen die Lage allein als Lage. maha: Als Lage. Klar. Aber gern mit „schwierig“. Aber „schwierig“ führt eben keine zusätzliche Bedeutung hinzu. „Ganz konkrete Einzelfälle“: Lachen ...unkonkrete Einzelfälle sind irgendwie seltsam. Kai: Guck mal, ich mach‘ mal mein Hemd auf. maha: Ich bin der... ah! „Bedauerliche...“ ja, die sind auch häufig, ja. „Ich bin der festen Überzeugung“: Man sagt selten: „ich bin nicht...“ also ich bin vielleicht nicht der Überzeugung, aber „ich bin einer unfesten Überzeugung“ ist nicht vorstellbar. Oder „volles/vollstes Vertrauen“... das mag ja was anderes bedeuten, aber „halb leeres Vertrauen“ ist auch nicht denkbar. Und die „nicht-volle Sympathie“ ist auch seltsam. Also Verneinungen passen nicht. Und das hängt eben damit zusammen, dass gerade der erste Teil in diesem Pleonasmus überflüssig ist, er enthält keine Information. Besonderer Fall, es ist eigentlich auch eine Art von Pleonasmus, ist das Hendiadyoin. Das ist Griechisch, „Hen“ heißt eins, „dia“ durch, „dyoin“ zwei. Eins durch zwei. Also eine Sache wird durch zwei ausgedrückt. Und das haben wir dieses Jahr ja häufig gehört, „nach bestem Wissen und Gewissen“ etwas tun, handeln. Wissen und Gewissen sind so ähnlich, man kann den Unterschied nicht so genau ausmachen. Gewissen ist auch Wissen, aber ein bisschen stärker, da hängt noch so die moralische Komponente mit drin. Oder: „nach Recht und Gesetz“: Also „nach Recht“ würde vielleicht reichen, „nach Gesetz“ würde reichen, aber es wird kombiniert, „nach Recht und Gesetz“. Also zwei Dinge, die eigentlich nur eins aussagen. Oder: „offen und ehrlich.“ Nur „offen“ oder nur „ehrlich“ würde ja ausreichen. Aber „offen und ehrlich“... werden zwei Dinge gesagt. Weil es einfach besser klingt, weil es mehr Masse mit sich bringt... naja. Das ist einfach dann nochmal verstärkt, es ist nämlich einfach nicht nur das Gewissen, sondern es ist auch das Wissen. Und es ist nicht nur das Wissen, sondern auch das Gewissen. Es klingt einfach besser, wenn man zwei Dinge sagt. Dann um Text aufzublähen sind natürlich bedeutungsleere Wörter besonders schön, die „Maßnahme“ haben wir schon in unserem Blog vor langer Zeit gehabt. Und neuerdings, das ist jetzt vor allen Dingen de Maizière, der hat dann gerne von „Exekutivmaßnahme“ gesprochen, was aber auch eine Maßnahme ist. Klar, de Maizière gehört zur Exekutive, also gibt‘s Exekutivmaßnahmen. Dann „Verfahren“. Dann „Ereignis“, oder „Lage“. Die Lage, die werden wir nachher auch nochmal hören, von de Maizière, da gibt‘s sehr viele Lagen. „Die Arbeit“. Ne, sagt ja eigentlich auch nichts aus. Es wird Arbeit verrichtet. „Einrichtung“. „Bekennen“ hatten wir vorhin schon. Und dann vor allen Dingen Zusammensetzungen mit „Szene“. Zum Beispiel die „Gefährderszene“. Ja. Wir machen weiter. Kai: Es gibt noch einen schönen Bereich in diesem Theorieteil, dann kommen wir gleich wieder zur Praxis: die Neuschöpfungen. Wörter, die es so nicht gibt, die neu geschaffen wurden, und das ist der Bereich über den wir meistens bloggen, wenn wir im Neusprech-Blog was schreiben, oder im Podcast was podcasten. Und ich glaube der Oberste ist allen bekannt, sollte es zumindest, das ist die Vorratsdatenspeicherung, die es in vielen Iterationen inzwischen gibt. Zur Zeit heißt sie Verkehrsdatenspeicherung. Immer wieder steht dahinter der Versuch, nicht zu sagen worum es eigentlich geht, oder zu sagen worum es geht, aber zu verschweigen, was damit bewirkt wird. Das Flughafenverfahren ne, es geht nicht um die Abwicklung von Flughäfen, sondern das Flughafenverfahren ist, wenn Asylsuchende noch auf dem Flughafen festgesetzt werden und den nicht mehr verlassen dürfen, bis sie wieder abgeschoben werden. Ähnlich der Hotspot, da kommen sie gar nicht erst bis zum Flughafen, sondern bleiben gleich in dem Land aus dem sie fliehen wollten. Oder das Aufnahmezentrum, das niemanden aufnehmen will, sondern auch in erster Linie dazu gebaut wird, um Leute abzuschieben. Und jetzt eine Meisterin dieser Neuschöpfungen, ihr kennt sie alle: Merkel: Diejenigen, die keine Bleibeperspektive haben, müssen unser Land auch wieder verlassen und deshalb haben wir darüber gesprochen, Fehlanreize zu beseitigen. Das heißt, Bargeldbedarf in Erstaufnahmeeinrichtungen soll so weit wie möglich durch Sachleistungen ersetzt werden. Die Geldleistungen sollen maximal einen Monat im Voraus ausgezahlt werden. Und Sozialleistungen für vollziehbar Ausreisepflichtige werden reduziert. Wer vollziehbar ausreisepflichtig ist, muss unser Land auch verlassen. Kai: Das ist ungeschnitten. Das waren 30 Sekunden Angela Merkel, Originaltext, bei einer Pressekonferenz, und ich fand: eine erstaunliche Häufung von diesen Neuschöpfungen. „Keine Bleibeperspektive“ heißt: Du kommst hier nicht rein. „Fehlanreize“... eine ganz interessante Theorie, die besagt: Wer hier das Grundrecht auf Asyl wahrnimmt, der bekommt Geld. Das ist sozusagen Teil dieses Grundrechts. Der bekommt ‘ne Grundleistung, damit er nicht erstmal verhungert. Und dieses Geld könnte ja ein Anreiz sein für Leute, herzukommen. Also nicht etwa, weil sie verfolgt werden, sondern weil sie das Geld haben wollen nur. Und das ist ja dann ein Fehlanreiz und den muss man beseitigen. Also man muss den Leuten das Geld wegnehmen, oder ihnen gar nicht erst anbieten. Sagt auch das nächste: „Bargeldbedarf“ – meint eigentlich Geld – durch „Sachleistungen“ – meint Lebensmittelgutscheine – ersetzen. „Geldleistungen“: wieder ‘ne Umschreibung für Geld. „Sozialleistungen“: ‘ne Umschreibung für alles wo nicht mehr ganz klar ist, was kriegen die denn noch und was nicht mehr? Und das schönste: „vollziehbar Ausreisepflichtige“. Das heißt, dass eigentlich jeder erkennen müsste, dass er sowieso keine Chance hat, dieses Grundrecht auf Asyl hier zu bekommen und dass er doch dann bitte gleich bleiben soll wo der Pfeffer wächst. Der Witz daran ist: nur der deutsche Staat kann erkennen, dass diese Menschen ausreisepflichtig sind, also wieder gehen müssen. Diejenigen, die hier erstmal auf Asyl hoffen, die sehen das gar nicht so. Die kennen sich mit dem deutschen Recht im Zweifel nicht so gut aus, die wissen nur man kann hier Asyl beantragen, wenn man zu Hause Fassbomben auf den Kopf kriegt. Manche werden bitter enttäuscht. Wir haben jetzt mal versucht, ein bisschen zu sortieren, wo diese Floskeln so herkommen, was so die beliebtesten Bereiche sind, aus denen sprachliche Bilder gewählt werden. Und da fiel uns zuerst mal das auf: die maritimen Metaphern. „Das Boot ist voll“: alle schonmal gehört, ne? Das Bild dahinter sagt: Ja im Boot, da können nicht beliebig viele drin sitzen, denn irgendwann kentert es ja und dann säuft es ab und alle sterben. Ne schöne Metapher um zu sagen: „Du kommst hier nicht rein.“ Dann der „Flüchtlingsstrom“, der zur Welle, zum Sturm, zur Flut, ja zum „Flüchtlingstsunami“ werden kann. Ja, ich find‘ das gar nicht so lustig, ehrlich gesagt, weil das Bild was dahinter steht soll Angst machen. Es soll Angst machen. Jeder, der diesen Ausdruck benutzt, will, dass Andere sich vor Flüchtlingen fürchten. John Oliver hat in Last Week Tonight mal ein schönes Bild dafür gefunden, auch ‘ne Metapher durch ‘nen Überschärfer ersetzt, um‘s deutlich zu machen, funktionierte. Er meinte: Naja, vor ‘nen paar Katzen, wenn die auf mich zukommen, da hock‘ ich mich hin und will die kraulen. Wenn ein Katzentsunami auf mich zukommt, dann renn‘ ich auf 'en Berg, nehm‘ ‘ne Schrotflinte und fang‘ an zu schießen, damit die mich nicht kriegen. Und genau darum geht‘s: Angst machen. „In einem Boot sitzen.“ Ne, ihr sitzt alle in einem Boot. Ich sitz‘ im ander‘n, ich steh‘ hier oben. Oder wir sitzen alle in einem Boot, aber wir wollen dafür sorgen, dass die, die von draußen kommen nicht auch noch ‘rein kommen. Auch darum geht‘s. „Das Steuer herumreißen“: wir können was tun, wir sind aktiv, wir können das alles in eine andere Richtung... wir können die alle draußen halten. „Der Lotse geht von Bord“, das ist so ‘ne Floskel, die ist schon viele Jahrzehnte alt. Wir verlieren jemand sehr wichtiges, der das alles gesteuert hat und herumgerissen hat. Der nächste Bereich – auch sehr beliebt – Bellizismen: Phrasen aus dem Bereich „Krieg“. Alles schonmal gehört, ne? „Zielgenau“, da „explodieren die Kassen“, da „schlägt jemand Alarm“. Da ist jemand „auf dem Vormarsch“. Und auch die sind gerade wieder sehr häufig beim ganzen Themenkomplex „Flüchtlinge“. Das ist nämlich plötzlich ein „Ansturm“. Ansturm kommt ursprünglich aus dem Militär, ne? Da stürmte eine Front von Soldaten auf eine andere Front zu und versuchte, sie umzubringen. Jetzt stürmen Flüchtlinge. Das Problem ist, hier seht ihr ein paar Verwendungen. Das Problem dabei ist, auch das soll Angst machen. Das soll Angst machen vor den Leuten die hier anstürmen und nichts weiter zum Ziel haben, als unser gutes und schönes und ordentliches Deutschland zu vernichten. „Zu ändern“ könnte man auch sagen. Aber nein, es soll Angst übertragen werden und wenn Medien das übernehmen oder selbst nutzen – hier seht ihr BILD, Focus und n-tv, also durchaus Massenmedien – dann sagt das was. Nichts Gutes, wie wir finden. Der nächste Bereich, sehr beliebt zum Thema Internet auch, Verkehrsmetaphern. Die „Leitplanken“, die im Internet eingezogen werden müssen – haben sicher alle schon mal gehört. die „Weichen“ will man „stellen“, da wird jemand „aufs Abstellgleis geschoben“. Oder irgendein Internetkonzern wie die Telekom befindet sich auf der „Überholspur“, „drückt aufs Tempo“ – und drosselt andere. Da wird „auf die Bremse gedrückt“, oder „die Preisbremse gezogen“, oder „grünes Licht gegeben“. Was uns wichtig dabei ist: es geht nicht darum zu lügen. Diese Metaphern haben nicht die Idee, Lügen zu verbreiten. Es geht eher darum, nicht so ganz zu sagen, worum es eigentlich geht. Um ‘nen schönen, plakativen Begriff zu haben, und das eigentliche Problem nicht anzusprechen. Es gibt noch weitere Bereiche: „Technik und Physik“, auch sehr beliebt. Da werden Dinge „auf Eis gelegt“ – kein schöner Gedanke eigentlich –, „luftdicht abgeriegelt“, „hermetisch“, auch kein schöner Gedanke. Da gibt es „Gewaltspiralen“ und „hitzige Debatten“. Der nächste Bereich wär‘ der Sport. Auch da gibt es viel. Was bleibt... ist maha. Ein Gedanke noch dazu: Wie gesagt, es geht nicht um Lüge, das ist der eine Punkt der uns wichtig ist und der zweite Punkt ist, das Zuhören lohnt! Das ist nicht Rauschen. Wenn Leute solche Metaphern nutzen, das ist nicht Rauschen was man überhören sollte, sondern darin verstecken sich Informationen. Und um die geht es uns, dass man da hinhört und sich diese Informationen ‘rausfiltert. maha: Ja. Wir haben jetzt mal versucht, ‘was herauszufinden was bleibt, wenn man den gesamten Blähsprech, die Pleonasmen usw. abzieht. Und was zunächst mal hier bleibt, ist zum Beispiel „Landesverrat“. Wir erinnern uns an die Vorkommnisse, und eigentlich wussten wir alle schon gut Bescheid, Anfang August, als sich dann Herr Range, der Generalbundesanwalt, auch noch mal zu Wort gemeldet hat mit einer Pressekonferenz. Der Text ist sehr kurz, den hören wir uns jetzt mal an, und dann schauen wir mal an, was da wirklich an Information kam. Range: Zur Wahrung und Sicherung der Objektivität der Ermittlungen, habe ich am 19. Juni 2015 ein externes Gutachten in Auftrag gegeben. Der unabhängige Sachverständige sollte klären, ob es sich bei den veröffentlichten Dokumenten um ein Staatsgeheimnis handelt. Der Sachverständige teilte mir gestern mit, dass es sich nach seiner vorläufigen Bewertung bei den am 15. April 2015 veröffentlichten Dokumenten um ein Staatsgeheimnis handelt. Der Sachverständige hat damit die Rechtsauffassung der Bundesanwaltschaft und des Bundesamtes für Verfassungsschutz insoweit vorläufig bestätigt. Die Bewertung des unabhängigen Sachverständigen habe ich dem Bundesministerium der Justiz gestern unverzüglich mitgeteilt. Mir wurde die Weisung erteilt, das Gutachten sofort zu stoppen und den Gutachtenauftrag zurückzuziehen. Dieser Weisung habe ich Folge geleistet. Meine Damen und Herren, die Presse- und Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Dieses Freiheitsrecht gilt aber nicht – auch nicht im Internet – schrankenlos. Das entbindet die Journalisten nicht von der Einhaltung der Gesetze. Über die Einhaltung der Gesetze zu wachen ist Aufgabe der Justiz. Diese Aufgabe kann sie nur erfüllen, wenn sie frei von politischer Einflussnahme ist. Daher ist die Unabhängigkeit der Justiz von der Verfassung ebenso geschützt, wie die Presse- und Meinungsfreiheit. Auf Ermittlungen Einfluss zu nehmen, weil deren mögliches Ergebnis politisch nicht opportun erscheint, ist ein unerträglicher Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz. Mit Blick auf diese im Raum stehenden Vorwürfe und die anderen Vorwürfe habe ich mich auch gehalten gesehen, die Öffentlichkeit heute darüber zu informieren. Vielen Dank. maha: Ja. Hier ist der gesamte Text, und ich hab‘ jetzt mal diese Stellen, die Informationen, also neue – also nicht neu, wir wussten das eh alle – die Informationen enthalten, sind jetzt hier farblich hervorgehoben. Und der ganze Rest ist eigentlich überflüssig. Also es fängt damit an, dass hier z. B. das Adjektiv – naja gut, der Anfang mit „zur Wahrung und Sicherung der Objektivität der Ermittlungen“, das ist... ja. Das muss er sowieso tun. Dann „unabhängige Sachverständige“ – ja was denn sonst? Also wenn die nicht unabhängig sind, dann handelt es sich nicht um Sachverstand, also „unabhängig“ ist da sicher überflüssig. Nach seiner „vorläufigen Bewertung“: Ich hab‘ nur das „vorläufig“ dringelassen, weil das wichtig ist. Das wird dann mehrmals wiederholt, dann ist es natürlich weiß, wenn „vorläufig“ nochmal vorkommt. Und dann eben die eigentliche Information: dass die vermeintlichen Dokumente „vorläufig nach Meinung des Sachverständigen ein Staatsgeheimnis“ beinhalten. Und dann hat er diese Bewertung dem Bundesministerium mitgeteilt, und das hat Weisung erteilt, den Gutachtenauftrag zurückzuziehen, und Range hat Folge geleistet. Der ganze zweite Teil ist dann nur noch voll mit Phrasen bzw. mit Gemeinplätzen. Denn niemand bezweifelt, dass „die Presse- und Meinungsfreiheit ein hohes Gut“ ist, da macht man keine Pressekonferenz um das mitzuteilen. Dieses „Freiheitsrecht gilt aber nicht – auch nicht im Internet – schrankenlos“. Klar. Ist auch Konsens. Es „entbindet Journalisten nicht von der Einhaltung der Gesetze“. Ja auch. Das ist völlig klar. Also der ganze Rest ist eigentlich überflüssig. Aber so ganz überflüssig ist er dann doch nicht, denn es wird da noch gesagt, dass die Einflussnahme unerträglich ist. Er sagt nicht, dass Einfluss genommen worden ist, er sagt nur „eine Einflussnahme ist unerträglich“. Und am Ende sagt er dann: „Mit Blick auf die im Raum stehenden Vorwürfe“, er hat aber keine Vorwürfe gemacht. Die kann man sich jetzt nur noch denken. Also wenn er sagt „eine Einflussnahme ist unerträglich“, dann kann man daraus interpretieren, wenn dann von Vorwurf die Rede ist, dass er das irgendwie sagt. Er hat es aber nicht gesagt. Naja, er ist eben Jurist und möchte sich nicht angreifbar machen. Und viele haben eben ‘rausgelesen, dass er den Vorwurf macht, dass da Einfluss genommen worden ist. Auf der anderen Seite ist natürlich klar, die Bundesanwaltschaft ist weisungs- gebunden, also Weisungen sind ganz normal, vielleicht ist die Einflussnahme unerträglich, aber die wird auch nicht wirklich vorgeworfen. Dann kommt am Ende dieser Satz „Ich habe mich gehalten gesehen, die Öffentlichkeit hierüber zu informieren.“ Ja worüber eigentlich zu informieren? Über Dinge, die man schon weiß, oder darüber dass die Presse- und Meinungsfreiheit ein hohes Gut ist? Also man weiß es nicht. Und dieser Text lässt einen am Ende doch irgendwie ratlos zurück, und wahrscheinlich – also man kann da nur interpretieren – hat Range sich schon das Szenario so ausgedacht, dass er dann irgendwie entlassen wird, und hier so ‘nen Text ohne wirklichen Vorwurf, aus dem man aber einen Vorwurf vielleicht herauslesen kann. Ein etwas anderes Beispiel, etwas martialischer, Thomas de Maizière auf der BKA-Herbsttagung, hier auch sehr schön zu sehen auf dem Bild unter der Überschrift „Terror in Europa“. Das illustriert hier den Terror in Europa, okay. Wir hören uns den Text einfach mal an, zunächst. Das Wort „Lage“ habe ich schonmal erwähnt, das kommt hier häufig vor. De Maizière: Nun gibt es eine Debatte, wie gehen wir da mit der Öffentlichkeit um? Und ich will ganz kurz noch mal meine Position dazu erörtern. Wir können nicht jeden Hinweis dieser Art in der Öffentlichkeit diskutieren. Weder vor einer Lage, erst Recht nicht während einer Lage – auch nicht durch Presseaktivität – und allermeistens auch nicht nach einer Lage. Warum ist das so? Der erste Punkt: Viele dieser Hinweise kommen von Institutionen, Einrichtungen, Menschen, die wollen nicht, dass die Tatsache dass sie den Hinweis geben bekannt wird. Wenn das passiert, besteht die Gefahr, dass sie vielleicht in Zukunft keinen Hinweis mehr geben. Weil sie, oder die Quelle von der sie die Information haben, vielleicht sogar gefährdet wird. Und es wäre dann nicht in unserem Interesse – ich sag‘s ganz ernst – nicht im nationalen Interesse, solche Hinweisgeber dazu zu veranlassen, in Zukunft uns nicht mehr mit solchen Hinweisen auszustatten. maha: Hier ist der Text. Wie gesagt: Unserer Meinung nach ist lediglich an Informationen herauszulesen, dass die Gefahr besteht, dass es in Zukunft keine Hinweise mehr gibt, weil die Quellen vielleicht sogar gefährdet sind. Naja das kann man sich fast auch denken. Also so richtig informationsvoll ist das nicht. Aber der ganze Rest sind Gemeinplätze. Also insbesondere, dass man vor der Lage, nach der Lage, hinter der Lage – ja also nie – was sagen kann, ist jetzt irgendwie nicht besonders informativ. Das Meiste hätte er sich eigentlich schenken können. Auch so eine Frage: „Warum ist das so?“ Das ist eigentlich das, was er beantworten soll, das soll er nicht fragen. Wir können ja immer sagen, das sind hier so Gelegenheitstexte. Da ist jetzt so ‘ne Tagung, da hält er mal ‘nen Vortrag und so. Das ist alles nicht so richtig offiziell für die Geschichte. Was aber offiziell für die Geschichte ist, ist eine Regierungserklärung. Da sollte vor allen Dingen etwas drin stehen, was dann auch in die Geschichtsbücher eingehen kann. Und es sollte eigentlich wenig drumherum geredet werden. Wir schauen uns mal an, wie es real ist: Kai: Angela Merkel ist wie ich finde eine Meisterin dieser politischen Sprache, und wir sehen kurz - wir hören nicht das wär‘ zu lang - die Regierungserklärung die sie gehalten hat zu einer der Fragen, die in den letzten Monaten ich glaube die meisten Menschen in diesem Land beschäftigt hat, nämlich: Was ist der Plan der Bundesregierung mit einer Million oder mehr Flüchtlingen umzugehen? Das ist der Text der Regierungserklärung. Der Komplette. Muss man jetzt nicht lesen können, da kommen gleich noch ein paar Beispiele. Es geht nur darum, das war die gesamte Menge. Die hat sie im Bundestag gehalten, hat relativ lange gedauert. Das waren 5237 Wörter zum Thema „Wie will die Bundesregierung mit Flüchtlingen umgehen?“ So sieht der Text aus, wenn man den ganzen Quatsch ‘rausnimmt. Wenn man alle Dopplungen, alle „ich sage jetzt mal konkret“, oder „ich möchte hier betonen“ ‘rausnimmt, wenn man alle Floskeln entfernt. Der Witz ist, dass sich der Rest immer noch sehr gut lesen lässt. Das wäre ‘ne gute Rede. Da steht durchaus was drin. So wurde sie aber nicht gehalten. Das war ungefähr die Quote. Ich geb‘ zu, man könnte streiten über unsere Streichungen. Applaus Man könnte streiten über unsere Streichungen, bei einigen könnte man argumentieren „ja, da ist ja vielleicht doch noch ‘ne Information drin und vielleicht muss man dafür was anderes streichen“ und so, aber ich glaube die Quote stimmt ungefähr. Regierungserklärung! maha: Wir haben ja uns darüber lange unterhalten, also das ist ja schon diskutiert worden. Kai: Der Witz war: je öfter wir den Text gelesen haben, desto mehr haben wir gestrichen. Lachen Ein paar Beispiele: Angela Merkel. Merkel: Liebe Kolleginnen und Kollegen. Polizei und Nachrichtendienste arbeiten in Deutschland unter Hochdruck an der Aufklärung der grausamen Anschläge und Aufdeckung ihrer terroristischen Strukturen. Auch in Deutschland ist die Bedrohungslage hoch. Wir gehen allen Hinweisen nach, und müssen natürlich – das haben wir letzte Woche Dienstag gesehen – immer wieder eine schwierige Abwägung treffen, zwischen Freiheit und Sicherheit. Ich will hier ausdrücklich sagen, auch im Namen der ganzen Bundesregierung, wir haben Vertrauen in unsere Sicherheitsbehörden, dass sie mit Augenmaß handeln. Und sie brauchen unsere politische Unterstützung und die haben sie auch. Denn anders können Sicherheitsbehörden nicht handeln. Applaus im gezeigten Video Zwei Dinge sind mir sehr wichtig. Erstens – und da möchte ich mich auch beim deutschen Bundestag, bei seiner Mehrheit bedanken – wir müssen wachsam und wehrhaft sein und deshalb war es richtig – und das haben wir schon vor den Anschlägen beschlossen – dass wir eine personelle und technische Verstärkung unserer Sicherheitsbehörden haben werden. Kai: Jetzt kommt der Inhalt. Merkel: Es gibt 1000 neue Planstellen im Jahr 2016 für die Bundespolizei, insgesamt bis 2018 3000 zusätzliche Stellen. Es werden so genannte „robuste Einsatzeinheiten“ bei der Bundespolizei aufgebaut, die so ausgebildet und ausgestattet sein werden, dass sie terroristischen Lagen begegnen können, und damit unsere Möglichkeiten in solchen Fällen deutlich erweitern, über das, was die Landespolizeien und die GSG9 heute schon kann. Wir stärken unsere Nachrichtendienste, investieren unter anderem in Modernisierung der technischen Ausstattung, verstärken das Bundesamt für Verfassungsschutz und den Bundesnachrichtendienst auch personell. Kai: Hier nochmal der Text. Was steht da drin? Ich hab‘s jetzt nicht farblich markiert um‘s schwerer zu machen. Da steht drin: „Wir verstärken Polizei und Nachrichtendienste, und übrigens: wir haben das schon beschlossen, bevor diese Terroranschläge in Paris waren.“ Was das jetzt alles mit der Regierungs- erklärung zur Flüchtlingskrise zu tun hat? Keine Ahnung. Wurde aber darin ausführlich besprochen. Da sind dann so schöne Worte drin wie „robuste Einsatzeinheiten der Bundespolizei, die so ausgebildet und ausgestattet sein werden, dass sie terroristischen Lagen...“ – da sind sie wieder – „...begegnen können“. Das hoffe ich doch, dass sie das können. Weil sonst wären sie ja sinnlos, bei terroristischen Lagen. Wie gesagt: es geht um Flüchtlinge, wir machen mal weiter, vielleicht kommen wir ja noch dazu, was die Regierung jetzt eigentlich zum Thema Flüchtlinge machen will, weil ich glaube es interessiert wirklich Menschen. Weil da kommen viele Leute und „wie ist denn eigentlich der Plan?“ Also weiter im Text: Merkel: Sie haben einen klaren Anspruch darauf, zu wissen, nach welcher Agenda, nach welchem Plan die Bundesregierung an der Bekämpfung der Fluchtursachen, an den europäischen Maßnahmen und an den nationalen Maßnahmen arbeitet. Beginnen müssen wir bei der Bekämpfung der Fluchtursachen. Es herrscht in vielen Regionen Krieg und Terror, Staaten zerfallen, viele Jahre haben wir es gelesen, wir haben es gehört, wir haben es im Fernsehen gesehen, aber wir haben damals noch nicht ausreichend verstanden, dass das was in Aleppo und Mossul passiert, für Essen oder Stuttgart relevant sein kann. Und damit müssen wir umgehen. Das wird Veränderungen in unserer Politik mit sich bringen, zugunsten der Außenpolitik, zugunsten der Entwicklungspolitik, weil wir uns immer fragen müssen: Was bedeutet welche Maßnahme für uns hier zu Hause? Applaus im Video Ich glaube es ist klar, dass wir dazu einen langen Atem und Geduld brauchen. Wir brauchen vor allen Dingen auch Partner. Kai: So! Was ist der Plan der Bundesregierung zum Umgang mit mehr als einer Million Flüchtlinge? Sie haben einen klaren Anspruch darauf, das zu wissen. Lachen Ja, Sie lachen! Da verstecken sich Informationen. Sehr gut! Da steht: wir müssen irgendwas tun, wir müssen irgendwas im Ausland tun, wir müssen irgendwas mit unserer Flüchtlingspolitik tun. Das wird irgendwas an unserer Politik verändern, wir brauchen Geduld dazu und wir schaffen‘s nicht alleine. Das ist die Information. Gut verpackt. Wie gesagt: Es geht nicht um Lügen. Es geht nur darum, Dinge so zu sagen, dass jeder das Gefühlt hat, er hat irgendwas gehört, was für ihn irgendwo passt und er kann irgendwie zustimmen, und muss nicht widersprechen und ablehnen. Haben wir noch Zeit? Ja. Hier ein kurzes Beispiel, das schon viel älter ist, was nur zeigen soll, wie sehr man sich in sowas verlaufen kann: Christian Ruck war ein Unionspolitiker, der hat 2001 diesen schönen Satz gesagt zum Thema Terrorismus: „Bin Laden und andere Terroristen sind nicht arm, aber die sozialen Sprengsätze der Welt sind der Scheiterhaufen für die Lunte, die die Terroristen anzünden wollen.“ Ist ‘ne Reihung von Phrasen, und der arme Mann ist völlig verwirrt. Er weiß selber nicht mehr, was er da sagt. Nur ein kleines Beispiel als Witz. Weil eigentlich gibt‘s ‘nen ernsten Hintergrund. In Floskeln verstecken sich Informationen. Die kann man sehen. Das hier – übrigens die Daten dazu verdanken wir der Floskelwolke, herzlichen Dank dafür – Floskelwolke, falls es jemand von Ihnen... Applaus ...ist ein Projekt von zwei Journalisten, die Google News systematisch scannen, nach z. Zt. ca. 130 Phrasen und Floskeln und die jeden Tag eine Auswertung machen, welche davon wie häufig genannt werden. Gibt‘s als Twitter-Account und ne Website, die Daten davon – gibt‘s als API – kann man sich runterladen, wir haben die Daten mal für das Jahr 2015 genommen, für ein paar im Jahr 2015 wichtige Probleme und haben die visualisiert. Und da sieht man ein paar interessante Dinge. Zum Beispiel sieht man, das in der Mitte – kann man die Begriffe lesen? Sehr klein, tut mir leid, es ging nicht anders. Das in der Mitte, was so durchläuft, wo überall Ausschläge sind, das ist „alternativlos“. Lachen Applaus Das ist sowas wie der Nullwert der politischen Kommunikation. Das kann man immer sagen. Lachen Passt immer. Und wie man sieht ist es völlig sinnlos, weil alles ist alternativlos. Im Zweifel ist alternativlos, dass wir hier oben stehen, weil dann wär‘ hier kein Vortrag und Sie würden sich langweilen, wär‘ auch schade. Man sieht aber noch mehr. Der erste Begriff der da auftaucht: „Überfremdung“. Der taucht nur im Dezember auf, ganz kurz, weil ein, zwei sagen wir vorsichtig, sehr konservative Medien ihn benutzt haben als Beschimpfung für das Flüchtlingsproblem. Der zweite Begriff da drunter: „menschliche Katastrophe“. Relativ viele Ausschläge verteilt über das ganze Jahr, jedes Kästchen ist übrigens ein Tag. Relativ viele Ausschläge über das ganze Jahr, menschliche Katastrophen gab‘s also ‘ne Menge. Interessanterweise nehmen sie zum Ende des Jahres ab. Das heißt, das Thema Flüchtlinge wird am Anfang auch unter menschliche Katastrophe subsummiert, später dann nicht mehr. Da nehmen dann die Angst-Metaphern zu, das sehen wir auch gleich noch. Da drunter „die Lage eskaliert“, da eskaliert viel, vor allem im zweiten Teil des Jahres, das ist in erster Linie der Syrien- Bürgerkrieg, den man da sieht. Da gibt‘s mehrere Ausschläge. Sieht man auch an dem Begriff da drunter: die „Luftschläge“. Auch ‘ne schöne Floskel. Niemand schlägt in die Luft, sondern es geht um Bombardierungen. Auch die beziehen sich in erster Linie auf den Bürgerkrieg in Syrien und man sieht: im zweiten Teil des Jahres wurden die wichtiger. Dann hatten wir „alternativlos“, da drunter ist der „Sozialtourismus“, der spielt immer nur kurz ‘ne Rolle, zu Beginn, also als diese Flüchtlingsdebatten sehr heiß liefen, da gab‘s mal kurz den Vorwurf, glaube der CSU, das wäre ja nur Sozialtourismus. Machen sie gerne mal, wie man am Anfang des Jahres sieht, da gab‘s das auch kurz, spielt aber nicht so ‘ne große Rolle. Interessanter schon die beiden danach folgenden, das sind die „Asylgegner“ und die „Asylkritiker“. Das sind ja beides Umschreibungen für Pegida-Demonstrationen, die sind gegen Asyl, relativ lautstark sogar, und mit relativ hässlichen Parolen. Man kann die, wenn man unbedingt will als Asylgegner oder -kritiker bezeichnen, das wurde auch relativ oft getan. Dann gab‘s Kritik an den Begriffen und sie hören auf. Sie schleichen sich aus, wie man sieht am Ende des Jahres. Auch interessant, das heißt es gibt durchaus eine Debatte um Floskeln und man kann die beeinflussen, auch das ist wichtig. Dann kommen die „Bootsmigranten“, da gibt‘s einen Ausschlag im Frühjahr, das ist der Beginn der Mittelmeersaison. Das ist der Beginn der Zeit, wo relativ viele Leute versuchen, mit selbstgebauten Booten, Schlauchbooten und so, über‘s Mittelmeer nach Europa zu kommen. Die wurden anfangs als Bootsmigranten bezeichnet, dann hat man gesehen, was deren Schicksale bedeuten und hat‘s gelassen. Und dann kommt der „Flüchtlingstsunami“, der immer mal wieder gerne benutzt wurde, offensichtlich, in der gesamten Debatte, gerade so im Herbst und Winter. Und dann kommt der Bellizismus, den wir vorhin schon hatten, der „Flüchtlingsansturm“. Der ist neu. Der ist relativ neu, den gibt‘s nur so im November/Dezember, dafür aber relativ konstant. Was man an dem ganzen Bild sieht: Die Wahrnehmung von Leid nimmt ab und die Angst nimmt zu. Und dann die letzte Debatte, die das ja auch zeigt: „Das Boot ist voll“. Kommt auch erst am Ende. „Wir haben genug von euch, es reicht.“ Am Anfang haben wir ja noch gesagt: „Okay, es tut uns leid, wer ihr seid, und dass ihr dabei sterbt, wenn ihr herkommen wollt, aber langsam reicht‘s. Das Boot ist voll. Nimmt zu.“ Das heißt: Floskeln enthalten Informationen. Man kann sie sehen. Und deswegen finden wir es wichtig, zuzuhören. Das Problem ist nur, dass man eine Filterleistung erbringen muss, um dahinter zu kommen, was eigentlich gemeint ist. maha: Hängt schon mit dem nächsten zusammen, nämlich die Frage der Kontextualisierung kann man hier auch nochmal schön sehen. Ganz am Ende diese ganz krassen Sachen, wie Überfremdung und eben auch Flüchtlingsansturm, auch die Kriegsmetapher die da drin steckt. Wenn sowas verwendet wird, dann gewöhnen sich die Leute an das Reden über Konflikt und Krieg, und das ist natürlich auch gefährlich. Deshalb sollte man tunlichst... ...oder solltet ihr tunlichst solche Begriffe oder Wortprägungen vermeiden. Wir sind nochmal bei unseren Hypothesen: In den Naturwissenschaften möchte man ja immer falsifizieren, wir müssen jetzt hier als Geisteswissenschaftler Dinge verifizieren. Zusammenhänge werden verschleiert, ich glaube das ist deutlich geworden, das ist besonders glaube ich am Beispiel Merkel und am Beispiel de Maizière deutlich geworden. Die Informationsdichte wird verringert, oder von geringer Informationsmenge wird abgelenkt, das ist mit Sicherheit bei Range so, er hat eigentlich nichts gesagt, aber wollte trotzdem ‘ne Pressekonferenz machen. Also: Informationsmenge auffüllen mit Phrasen. Es wird abgelenkt davon, worum es eigentlich geht. Das war, glaube ich, bei Merkel sehr deutlich, es ging ja offensichtlich eigentlich nur um die Stärkung der Sicherheitsdienste und das wurde da irgendwie eingebettet. Der Anlass waren Flüchtlinge und dann sagt sie es gibt jetzt robuste Einheiten. Also militärische Materialien für die Polizei. Zitierfähige Sätze ohne klare Position, bei Range ganz deutlich. Die Offenheit konnte man glaube ich auch besonders bei Range sehen, aber auch natürlich bei de Maizière, und letztlich auch bei Merkel also semantische Offenheiten waren glaube ich in allen Beispielen zu finden. Und Schlagworte, die hatten wir eben auch, bis hin zu den terroristischen Lagen, sogar im Plural. Und die Kontextualisierung, das haben wir ja zum Schluss nochmal bei der Flüchtlingswolke gezeigt, dass gewisse Dinge manchmal harmlos kontextualisiert werden und manchmal weniger harmlos. Bzw. eigentlich schlimme Dinge auch harmlos dargestellt werden. Anders nochmal formuliert worum es eigentlich geht: Kai: Nur kurz zusammengefasst: Die lügen nicht. Und wer das sagt, hat nicht verstanden, worum es dabei eigentlich geht. Das Problem ist: Die wollen euch nicht vor den Kopf stoßen. Die wollen nicht, dass ihr sagt: „Was? Damit kann ich mich ja überhaupt nicht einverstanden erklären, das find‘ ich doof, die wähle ich nicht mehr.“ Das ist ihre größte Angst. In Politik geht es vor Allem darum, wiedergewählt zu werden, sonst kann man ja keine Politik mehr machen und der Lebensinhalt ist weg. Und man muss sich ‘nen anderen suchen, das ist verständlich. Also der Versuch, möglichst viele Leute mitzunehmen, damit sie sich damit identifizieren können. Wir sind ‘ne Mehrheitsgesellschaft, wir verhandeln unsere Ideale und unsere Werte. Und das ist der Hintergrund. Das heißt, es ist nicht per se böse. Aber man kann es ändern, indem man (A) das rausfiltert, was man da hört, und (B) vielleicht auch mit Meinungen, die einem nicht so passen sich auseinandersetzt. Und die Leute nicht zwingt, so‘n Quatsch zu reden. Das wars. Applaus Wir haben noch ein paar Minuten für Fragen. Herald: So ist es. Wir haben ein paar Fragen aus dem Internet, und ansonsten haben wir die Mikrophone hier im Saal, sechs Stück an der Zahl, wo Ihr euch jetzt aufstellen könnt, um Eure Frage möglichst kurz und präzise, ohne viele Worthülsen... Kai: Wir antworten natürlich in Floskeln. Herald: So, bis dahin, aus dem Internet eine Frage? Signal Angel: Ja, aus dem IRC: Legt ihr bei euren Analysen auch Wert auf die Mimik und Gestik der Politiker? Kai: Bisher nicht. maha: Bisher nicht. Man sollte es vielleicht tun. Gerade bei de Maizière ist das ja sehr ausdrucksstark, Merkels Mimik ist eher nicht so ausdrucksstark. lacht Aber bei de Maizière kann man das sehr schön sehen. Kai: Auch Frau von der Leyen, übrigens, ist sehr stark. Die agiert immer sehr viel mit den Händen und mit ihren strahlenden blauen Augen und so, also es fällt bei manchen schon sehr auf, aber ehrlich gesagt beschränken wir uns auf die Sprache. maha: Ich hab‘ kürzlich bei einer anderen Gelegenheit, bei einem Vortrag in Darmstadt, den es glaube ich auch im Internet inzwischen gibt, auch de Maizière nochmal mehr Aufmerksamkeit geschenkt, also dieser berühmten Pressekonferenz, wo er diesen Satz sagt, die Bevölkerung könnte es verunsichern, was er sagt. Da ist sehr viel Mimik drin. Er guckt immer so zu dem Jäger ‘rüber, und der Jäger zu ihm, also der Innenminister, so als seien sie gute Kumpels, oder dann auch der Fußballmensch, der dann auch die Mikrofone immer zu de Maizière schiebt, da ist sehr viel Ausdruckskraft in der ganzen Gestik und in der Mimik drin. Also da könnte man wirklich was dazu machen. Werd‘ ich mir mal vornehmen für die Zukunft. Danke! Herald: Vielen Dank. Mikrofon Nr.2, bitte. Frage: Ja, da möchte ich anschließen. Die Sache mit... Die Art der Präsentation, z.B. der Range hat die ganze Zeit runtergeschaut, damit er das Wort gleich runterbekommt, diesen ersten Teil des Textes. Weil da sehr viele Spezialfloskeln drin sind, oder Spezialformulierungen drinnen waren, die auf einen Spezialwortschatz, nämlich das Juridische zurückgreifen. Und da zum Beispiel wäre mir das Wort „Weisung“ auch noch als wichtig erschienen, weil ein Beamter, der eine Weisung nicht unterstützt, kann über Remonstratio fordern, dass sie ihm schriftlich gegeben wird, und damit muss er sie zwar befolgen, kann aber damit dokumentieren, dass er das nicht möchte. Das ist einfach ein riesiger Disclaimer... Kai: Vielen Dank. Wir nehmen sowas gerne als Hinweis an. Tweet, Mail, etc. und das findet sich im Blog, herzlichen Dank. Frage: Passt! Danke! Herald: Okay, also Hinweise per Email, Fragen jetzt: Mikrofon Nr.1. Frage: Sorry, das ist ein ganz kleines bisschen Off-Topic, aber ich hab‘ trotzdem den Drang, das zu sagen: Und zwar find ich den eigentlichen Skandal an der Merkel-Rede doch, dass sie uns eigentlich ihre Außenpolitik erklärt, indem sie sagt, dass es mit der Bekämpfung der Fluchtursachen beginnt, und dass sie uns allen ins Gesicht sagt, dass sie schon früher angefangen hätten, diese Ursachen zu bekämpfen, wenn sie gewusst hätte, dass es einen Impact auf Stuttgart und Essen gehabt hätte... Kai: Abslolut! Frage: ...das heißt, mit anderen Worten, wie es in Syrien aussieht juckt uns gar nicht, so lange uns hier niemand damit auf die Füße tritt und das finde ich das eigentliche Thema. Applaus Kai: Vielen Dank. Herald: Dann bitte Mikrofon Nr.3. Frage: Sehr ihr die Abnahme der Informationsdichte als Reaktion darauf, dass immer mehr Leute Sprache analysieren, also sowas machen wie ihr? Kai: lacht Schön wär‘s. Nein, ich glaube das ist tatsächlich ein politischer Zwang, je ausgebildeter die politische Landschaft ist, und je mehr es im Parteienspektrum gibt, die sich da tummeln... es ist ein Zwang, möglichst viele Menschen zu vereinen, der Versuch der Union zum Beispiel, die so genannte Mitte anzusprechen, was immer das ist, kein Mensch weiß das. Vorher hat‘s die SPD versucht, jetzt versucht‘s die Union. Das hat weniger mit uns oder anderen zu tun – wie die Floskelwolke – die Sprache analysieren. Ich glaube, es geht eher um politische Zwecke. maha: Und das wird sehr trickreich gemacht, es gibt ja die berühmte Pressekonferenz von Seehofer, bei der alle hinterher dachten, er will die Flüchtlinge rausschmeißen. Oder erschießen an der Grenze oder so. Wenn man aber genau guckt was er sagt, dann spricht er am Anfang von Flüchtlingen und dann spricht er aber von der Zuwanderung. Also wenn es um Begrenzung geht, geht‘s immer nur um die Begrenzung der Zuwanderung, was ‘was anderes ist, als die Aufnahme von Flüchtlingen. Und das ist ganz interessant. Durch den Kontext denkt der Stammtischhörer in Bayern: Endlich tut mal einer was gegen die Flüchtlinge. Er hat es aber so formuliert, dass man das eigentlich nicht rauslesen kann, sondern es geht ihm um die Begrenzung der Zuwanderung, was ein bisschen ein anderer Aspekt ist, als Flüchtlinge auszusperren. Aber dennoch nimmt er die Stammtische da mit. Das heißt, er möchte eigentlich zu allen reden und alle auf seine Seite bringen, also einmal natürlich die Stammtische, das geschieht durch den Kontext, und dann diejenigen die vielleicht genauer hinhören, die kann er auch noch mitnehmen, weil er sagt „wir sind ja eigentlich nicht gegen die Aufnahme von Flüchtlingen“. Die CDU versteht das möglicherweise auch. Und das ist eigentlich im Grunde – ich will das jetzt nicht bewundern – aber es ist schon sehr geschickt, weil er es eben schafft, irgendwie was zu sagen wo die Stammtischbrüder und -schwestern dann alle sagen „Jawoll“, und die Anderen sagen „naja gut, damit können wir auch leben.“ Das ist gerade der Trick daran. Herald: Danke schön. Mikrofon Nr.2, bitte. Frage: Im IRC hat jemand den ersten Foundation Roman aufgebracht, mit diesen Abgesandten des Imperiums, die nach drei Tagen Palaverns nichts gesagt haben, was aber erst nach viel Analyse und mit viel Technik herausgefunden wird. Denkt ihr, man kann eure Bullshit-Analyse, die Streichungen, irgendwie automatisieren, damit man das einfach durch ‘nen Filter laufen lassen kann? Lachen und Applaus Kai: Wir haben darüber nachgedacht, wir treffen uns im Januar mit der Floskelwolke, die ja einen Algorithmus haben, ob man sowas nicht mal machen kann. Es ist nicht so leicht, weil der Kontext sehr wichtig ist. maha: Aber ein paar Sachen kann man sicherlich automatisieren, also z.B. wenn etwas schon mal gesagt worden ist. Bei Range kommt ja dreimal „unabhängig“ und zweimal „Sachverständiger“ vor. Das merkt dann auch jeder Computer sehr leicht. Aber... wenn die gleichen Sachen nochmal ein bisschen anders wiederholt werden, wird es dann schwieriger. Aber ich glaube, da gibt‘s Möglichkeiten. Wir werden da weiter drüber nachdenken und eine gewisse Automatisierung ist sicherlich möglich. Herald: Dankeschön. Mikrofon Nr.1, bitte. Frage: Diese Floskeln werden ja zum Teil auch von Leuten, ohne dass sie es wollen, aufgegriffen und in Gesprächen benutzt, auch von Leuten, die einem nahestehen. Meine Frage ist: Wie geht man damit um? Klar kann ich jetzt anfangen, mit diesen Leuten über die Floskeln zu reflektieren, aber dann ist wahrscheinlich relativ schnell das Gespräch kaputt. Kai: Also hauen und schütteln wäre meine Variante, aber... Lachen Nein, im Gegenteil... F: Entschuldigung, ich meinte Leute, die mir nahe stehen! Ernsthaft! Kai: Ja ja, schon klar. Ich auch. Lachen, Applaus Ich finde den Ansatz sehr gut. Reflektieren über diese Floskeln. Ich glaube, dass man auch auf friedliche Art und Weise in einer Diskussion sagen kann „Hey, was hast Du da eigentlich gesagt? Was macht das mit Dir, wenn Du sowas sagst, oder was macht das mit mir, wenn Du sowas sagst?“ Ich finde das sehr wichtig, so eine Debatte zu führen und darüber zu reden. Ich weiß, dass man damit aneckt und im familiären Zusammenhang die Augen gerollt werden, aber... ja um Gottes Willen! Bitte! Debattiert über solche Begriffe. Frage: Danke! Kai: Danke auch! Herald: Vielen Dank! Wir kommen zur letzten Frage, Mikrofon 4, bitte. Frage: Hallo! Ich fand Eure Visualisierung von dieser Floskelwolke sehr schön, vielen Dank dafür. Da ist ja zu sehen, dass bestimmte Floskeln, bestimmte Phrasen ganz plötzlich auftauchen. Habt Ihr Euch mal die Mühe gemacht die Mechanismen anzugucken, wie das passiert, von welchen Menschen oder Institutionen das ausgeht, wie auch diese Ausschläge, also ob die am Anfang hoch sind und dann langsam runter gehen, oder ob irgendwie mal in ‘nem Blog der Begriff auftaucht und dann langsam übernommen wird, was da genau abläuft? Kai: Floskelwolke analysiert Google News. Und Google News wertet ja Nachrichtenquellen aus. Also Blogs und Medien. Das sind keine Politikeraussagen per se, sondern nur indirekt, die darin zitiert werden. Und ja, es stimmt. Z.B. Überfremdung war ein Begriff, den kann man nachvollziehen. Das war ein AfD-nahes Blog, das den zuerst aufgebracht hat und dann war es irgendeine – ich glaube Junge Freiheit oder so – eine Zeitung, die das weiter verbreitet hat. Aber auch sowas spiegelt sich in Google News wider, auch in Zitationen, weil andere das dann zitieren und sagen „die haben geschrieben, dass“ und sowas. Im Zweifel kann man das nachvollziehen, ist allerdings sehr mühsam. maha: Wir haben das ja vor ein paar Jahren mal versucht mit dem „Rettungsschirm“, und da kann man zumindest gut den Zeitpunkt und die ersten Verwender sehen. Was man manchmal ermitteln kann, ist ob es eher aus der Politik kommt oder eher aus dem Journalismus. Das kriegt man ganz gut hin. Das hängt natürlich immer vom Wort ab. Aber das ist in der Tat ‘ne interessante Frage, wo das herkommt und wer das aufbringt. Kai: Beim „Rettungsschirm“ übrigens war‘s Medien, die Financial Times Deutschland, glaube ich, die hat‘s zuerst geschrieben. Und machte dann ziemlich Konjunktur, der Begriff, und wurde letztlich sogar von der Politik übernommen, also vom Wirtschaftsministerium und vom Bundestag, findet sich dann auch in Bundestagsreden wieder, aber erstmal, der Anfang war in den Medien. Es gibt umgekehrte Floskeln, wie „Vorratsdatenspeicherung“, die kommen aus der Politik, finden sich dann in den Medien wieder. Das ist ein Kreislauf. Herald: Vielen, vielen Dank. Applaus Abspannmusik subtitles created by c3subtitles.de in 2016