Was würdest du als die wichtigste Entdeckung der letzten Jahrhunderte bezeichnen? Den Computer? Das Auto? Elektrizität? Oder die Entdeckung des Atoms? Ich würde sagen, es ist die folgende chemische Reaktion: Ein gasförmiges Stickstoffmolekül und drei gasförmige Wasserstoffmoleküle ergeben zwei gasförmige Ammoniakmoleküle. Das ist das Haber-Bosch-Verfahren, bei dem Stickstoffmoleküle aus der Luft an Wasserstoffmoleküle gebunden werden, oder anders gesagt: Luft wird in Dünger umgewandelt. Ohne diese Reaktion könnten Bauern nur genug Nahrungsmittel für 4 Mrd. Menschen produzieren; wir haben aber derzeit 7 Milliarden Menschen. Ohne das Haber-Bosch-Verfahren hätten also über 3 Milliarden Menschen nichts zu essen. Stickstoff ist als Nitrat, NO3, ein lebenswichtiger Nährstoff für Pflanzen. Beim Wachsen verbrauchen Nutzpflanzen Stickstoff aus dem Boden. Der Stickstoff kann durch langwierige natürliche Vorgänge, wie das Verrotten von Tieren, wieder aufgefüllt werden. Aber Menschen wollen Nahrungsmittel viel schneller anbauen. Hier nun der frustrierende Teil: 78 % der Luft besteht aus Stickstoff, aber Feldfrüchte können nicht einfach Stickstoff aus der Luft aufnehmen, da dieser sehr starke Dreifachbindungen besitzt, die die Feldfrüchte nicht aufbrechen können. Im Grunde fand Haber heraus, wie man den Stickstoff aus der Luft in den Boden bringt. Der deutsche Chemiker Fritz Haber entwickelte 1908 ein chemisches Verfahren, um die enorme Menge Stickstoff in der Luft zu nutzen. Haber fand eine Methode, die den Stickstoff aus der Luft an Wasserstoff bindet und Ammoniak erzeugt. Ammoniak kann dann dem Boden zugeführt werden, wo es schnell in Nitrat umgewandelt wird. Aber wenn Habers Methode die Welt ernähren sollte, musste er einen Weg finden, schnell und einfach sehr viel Ammoniak herzustellen. Um Habers Meisterleistung zu verstehen, müssen wir etwas über das chemische Gleichgewicht wissen. Ein chemisches Gleichgewicht kann bei einer Reaktion in einem geschlossenen Gefäß erreicht werden. Wir geben zum Beispiel Wasserstoff und Stickstoff in ein geschlossenes Gefäß und lassen sie miteinander reagieren. Am Anfang des Experiments haben wir sehr viel Stickstoff und Wasserstoff, also bildet sich Ammoniak sehr schnell. Aber während Wasserstoff und Stickstoff reagieren und dabei aufgebraucht werden, wird die Reaktion langsamer, da immer weniger Stickstoff und Wasserstoff im Gefäß sind. Irgendwann fangen die Ammoniakmoleküle schließlich an, wieder zurück in Stickstoff und Wasserstoff zu zerfallen. Nach einer Weile erreichen die beiden Reaktionen -- Bildung und Zerfall von Ammoniak -- die gleiche Geschwindigkeit. Genau dann sagt man, dass die Reaktion ihr Gleichgewicht erreicht hat. Das ist aber nicht so gut, wenn man eine Tonne Ammoniak herstellen möchte. Haber wollte natürlich nicht, dass Ammoniak zerfällt. Aber wenn die Reaktion in dem geschlossenen Gefäß bleibt, dann passiert das. Hier kann Henry Le Chatelier, ein französischer Chemiker, helfen. Er fand heraus: Wenn man einem System im Gleichgewicht etwas hinzufügt, wie zum Beispiel Stickstoff, versucht das System, wieder ins Gleichgewicht zu gelangen. Le Chatelier fand auch heraus: Wenn man den Druck auf ein System erhöht, dann versucht das System, den ursprünglichen Druck wiederherzustellen. Es ist wie in einem überfüllten Raum. Je mehr Moleküle, umso höher der Druck. Schauen wir zurück auf unsere Gleichung, sehen wir, dass sich links vier Moleküle befinden und rechts nur zwei. Wenn der Raum weniger voll und damit weniger Druck vorhanden sein soll, wird das System anfangen, Stickstoff und Wasserstoff miteinander zu verbinden, um die kompakteren Ammoniakmoleküle herzustellen. Haber erkannte: Um große Mengen an Ammoniak herstellen zu können, müsste er eine Maschine erfinden, die beständig Stickstoff und Wasserstoff zuführt und zugleich den Druck auf das Gleichgewicht erhöht. Und genau das tat er. Heute ist Ammoniak eine der meistproduzierten Chemikalien in der Welt. Jährlich werden ungefähr 131 Millionen Tonnen produziert, was etwa 290 Milliarden Pfund Ammoniak entspricht. Das entspricht etwa 30 Millionen Afrikanischen Elefanten, von denen jeder ungefähr 10 000 Pfund wiegt. 80 % dieses Ammoniaks wird in der Düngemittlelproduktion genutzt, und der Rest in Industrie- und Haushaltsreinigern sowie zur Produktion anderer stickstoffhaltiger Substanzen, wie Salpetersäure. Laut neuesten Studien wird die Hälfte des Stickstoffs in diesen Düngern nicht von Pflanzen aufgenommen. Dies bedeutet, dass Stickstoff als flüchtige Chemikalie im Wasservorrat und in der Atmosphäre der Erde vorkommt, wo es unsere Umwelt stark schädigt. Natürlich konnte Haber dieses Problem nicht vorhersehen, als er seine Erfindung vorführte. Seinem Pioniergeist folgend suchen Wissenschaftler heutzutage nach einem neuen Haber-Bosch- Verfahren des 21. Jahrhunderts, das uns in gleichem Maße helfen soll, aber ohne die gefährlichen Konsequenzen.