35c5 Vorspannmusik
Herald: Ja, unsere nächste Rednerin - ich
weiß gar nicht, ob man sie auf einem
Chaos-Event überhaupt groß vorstellen muss
- aber ist Anne Roth. Anne ist eine
politische Aktivistin, die wahrscheinlich
viele von euch kennen. Ich habe schon ein
"Huh" gehört. lacht Glühende
Netzaktivistin und ich kenne sie vor allem
auch gut als glühende Netz-Feministin. Sie
organisiert solche tollen Seiten wie
"speakerinnen.org" oder auch das Blog "50
Prozent", wo gezählt wird, wie viele
Frauen auf Konferenzen sitzen. Könnte man
hier ja auch mal zählen.
Anne Roth: Haben wir schon.
Herald: Hast du schon gezählt.
Roth: Nein, ich nicht. Aber wurde schon.
Herald: Kann man alles nachlesen auf "50
Prozent" - dem Blog. Sie ist außerdem
Referentin für Netzpolitik bei der
Linksfraktion und hier gibt es jetzt
gleich einen Talk, ja, über Gewalt, über
digitale Gewalt gegen Frauen. Einen warmen
Applaus für Anne, bitte.
Applaus
Roth: Dankeschön.
Applaus
Roth: Okay, digitale Gewalt. Was ist das
eigentlich? Ich versuche in den nächsten
30 bis 40 Minuten zu erklären, was mit dem
Begriff "digitale Gewalt" gemeint ist,
welche Formen es gibt, wer davon betroffen
ist und wie häufig das überhaupt vorkommt.
Außerdem geht es darum, wie sich
Betroffene dagegen zur Wehr setzen können.
Also, welche juristischen Möglichkeiten es
gibt, wie die Polizei reagiert. Und last
but not least: Warum eigentlich so wenig
darüber gesprochen wird, was die
Bundesregierung dazu sagt. Und wenn wir es
schaffen, was nötig wäre, damit sich die
Lage ändert. Hahaha. Okay, jetzt haben wir
hier gleich schon mal ein kleines Problem.
Da gibt es doch eine intelligentere Lösung,
das zu machen. Weiß jemand aus dem Stand
Vollbildmodus, ist es das oder wie muss
man das einstellen? Schon, oder?
Zuruf Publikum
Roth: Ah, wer weiß das? Dia-Show?
Zuruf Publikum
Roth: Okay, so! Ich hoffe, dass es jetzt
nicht von selber weiterstellt. Dann müssen
wir nochmal probieren. Egal! Was ist
digitale Gewalt? Der Begriff "digitale
Gewalt" bezeichnet alle Formen von Gewalt,
die sich technischer Hilfsmittel oder
digitaler Medien bedienen, sowie Gewalt,
die im digitalen Raum stattfindet, also
beispielsweise im Rahmen von Online-
Portalen oder sozialen Plattformen. Es
gibt verschiedene Begriffe dafür. Im
Englischen sagt man auch "online
violence", "cyber violence", "online
harassment" oder auch - das habe ich
gefunden im ersten Bericht der UN-
Sonderberichterstatterin zur Gewalt gegen
Frauen schon 2006 - "ICT facilitated
violence against women". Digitale Gewalt
findet nicht im luftleeren Raum statt. Der
Bundesverband Frauenberatungsstellen und
Frauennotrufe / Frauen gegen Gewalt e.V. -
oder auch BFF kurz - geht davon aus, dass
digitale Gewalt nicht getrennt von
analoger Gewalt funktioniert, sondern
meist eine Fortsetzung oder Ergänzung von
Gewaltverhältnissen und -dynamiken
darstellt. Also als eine Form häuslicher
und geschlechtsspezifischer Gewalt gesehen
werden sollte. Und was ist also konkret
gemeint? Am Bekanntesten sind die Formen
von Aggression und Gewalt, die öffentlich
stattfinden. Also beispielsweise
Beleidigungen und Beschimpfungen, auch als
"Hate Speech" vielfach diskutiert, die
Manipulation von Bildern von Personen, die
dann so veröffentlicht werden. Erstellung
von täuschend ähnlichen Profilen und dann
entsprechende Postings dort, die so
wirken, als seien sie von der Person. Das
Bloßstellen und Anschwärzen, das
sogenannte Cyber-Mobbing. Doxing, also das
Veröffentlichen von persönlichen Daten,
beispielsweise der Adresse, Geburtsdatum,
Arbeitsplatz und so weiter. Es gibt dann
außerdem die nicht- oder semi-öffentlichen
Formen, beispielsweise Mobbing. Das ist
der Ausschluss - das ist unter
Jugendlichen eher bekannt, aber gibt es
natürlich auch anderswo - Ausschluss aus
Messenger-Gruppen zum Beispiel. Nötigung
und Erpressung – bekannter Begriff dafür
wäre "Revenge Porn", also die nicht
einvernehmliche Verbreitung intimer Bilder
oder die Androhung der Veröffentlichung.
Sextortion, das ist die Erpressung oder
Bedrohung, um überhaupt intime Bilder zu
bekommen. Das Verbreiten von Gerüchten und
Diffamierungen, Identitätsmissbrauch und
-diebstahl und auch die offene Androhung
von Gewalt. Dann die Funktion von
Kontrolle über andere. Das sind
beispielsweise das Anbringen und Bedienen
heimlicher Kameras und sonstiger
Aufnahmegeräte, die Lokalisierung, zum
Beispiel über das Smartphone der Person.
Die Anwendung von Spy-Apps, um das
Smartphone auszulesen. Manipulation
smarter Geräte. Also Internet of Things.
Sowohl öffentlich als auch nichtöffentlich
können stattfinden: Stalking – da hat hier
gerade ein ganz interessanter und
spannender Talk zu stattgefunden. Ich
hoffe, dass ihn viele gesehen haben, sonst
schaut ihn euch später nochmal an. Und
dann die Gruppe der bildbasierten
sexualisierten Gewalt, also beispielsweise
das Filmen von Vergewaltigungen und das
Veröffentlichen der Aufnahmen.
Bildmontagen mit pornografischen Inhalten
und das Hochladen auf Dating- und
Sexwebsites oder das Zusenden von
pornografischen Inhalten und
sexualisierten Bedrohungen. Warum ist es
interessant, ob die digitale Gewalt
öffentlich oder nicht-öffentlich
stattfindet? Aus meiner Perspektive, weil
... Oder das hat mich so ein bisschen zu
dem Thema gebracht auch, weil ich den
Eindruck hatte, über die öffentlichen
Formen wird inzwischen ziemlich viel
gesprochen. Was nicht bedeutet, dass Hate
Speech oder Cybermobbing, was so die
Begriffe sind, die vielen schon mal
begegnet sind, weniger schlimm wären. Aber
immerhin gibt es eine Auseinandersetzung
mit dem Problem und mit den Auswirkungen.
Es gibt Hilfsangebote und Beratung. Was
fast völlig fehlt, ist eine Diskussion
über und eine Auseinandersetzung mit der
digitalen Seite der häuslichen Gewalt und
allem, was nicht öffentlich stattfindet.
Also eben nicht auf sozialen Plattformen
oder anderen Websites. Was ist häusliche
Gewalt - nur ganz kurz? Häusliche Gewalt
bezeichnet Gewalt in Partner-Beziehungen,
häufig durch Ex-Partner, etwa weil sich
eine Frau von ihrem früheren Partner
getrennt hat oder trennen will. Eine
wesentliche Bedeutung - auch das war eben
im Talk schon kurz angedeutet - sind dabei
der Versuch zu kontrollieren und zu
überwachen, aber auch Macht zu
demonstrieren und zu erschrecken. Ich
werde da nicht weiter darauf eingehen, das
ist ein eigenes Thema. Aber wichtig ist
vielleicht nur, im Kopf zu behalten, dass
häusliche Gewalt zunächst oft mit der
Ausübung körperlicher Gewalt verbunden
wird. Und das ist natürlich auch ein
zentraler Teil davon. Aber häufig geht es
eben um Kontrolle und um psychischen
Druck. Und genau das lässt sich mit
Technologie natürlich sehr gut erreichen.
Wie oft kommt es zu digitaler Gewalt? Was
kommt wie oft vor und wer ist davon
betroffen? Das haben wir eben auch schon
gehört. Es gibt kaum aussagekräftige
Studien zu diesem Thema. Und zwar nicht
nur zu Stalking, sondern insgesamt zu
digitaler Gewalt und zwar international
wie in Deutschland. Auch ein Vergleich
solcher verschiedener Erhebungen, die es
gibt, ist schwierig, weil es kein klar
abgrenzbares Phänomen ist und jeweils
unterschiedliche Dinge untersucht werden.
Teils Hate Speech oder Mobbing oder
Stalking oder nur die online sichtbaren
Teile oder andere. Ein paar Zahlen aus
verschiedenen Berichten zu dem Thema. Hier
beispielsweise jetzt im Juni
veröffentlicht: der Bericht der UN-
Sonderberichterstatterin zu Gewalt gegen
Frauen in einem Bericht über digitale
Gewalt. Und ich übersetze mal. Das ist das
Original-Zitat: Nachdem es sich um ein
relativ neues Phänomen handelt und es
daher wenig aussagekräftige Daten gibt,
wird geschätzt, dass 23 Prozent aller
Frauen davon berichten, mindestens einmal
online Misshandlungen oder Verfolgung
erlebt zu haben und dass eine von zehn
Frauen ab dem Alter von 15 Jahren
irgendeine Form digitaler Gewalt erlebt
hat. Amnesty International hat letztes
Jahr die Ergebnisse einer Umfrage
veröffentlicht, bei der je 500 Frauen
zwischen 18 und 55 Jahren in sechs EU-
Staaten, Neuseeland und in den USA zu
digitaler Gewalt befragt wurden. Die
Ergebnisse: Knapp ein Viertel, das sind
die 23 Prozent, die auch vorher schon von
der UN-Sonderberichterstatterin
aufgegriffen wurden – knapp ein Viertel
hatte digitale Gewalt erlebt. Davon
fühlten sich 41 Prozent in der Folge auch
in ihrer psychischen Sicherheit bedroht,
fürchteten 24 Prozent, dass die Sicherheit
ihrer Familien bedroht war. 55 Prozent
erlebten Panikattacken oder Angstzustände,
36 Prozent hatten Schlafstörungen, 76
Prozent änderten die Art und Weise, wie
sie Social Media benutzen. Die europäische
Grundrechteagentur kam 2014 zu dem
Ergebnis, dass ein Zehntel - und das war
vorhin auch schon, das ist dann
aufgegriffen worden im letzten Report -
ein Zehntel aller Mädchen und Frauen über
15 Jahren eine Form von digitaler Gewalt
erfahren haben. Der Bundesverband
Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe /
Frauen gegen Gewalte e.V. hat 2017 eine
Umfrage unter Frauenberatungsstellen und
Frauennotrufen zu ihren Erfahrungen mit
digitaler Gewalt in der Beratungstätigkeit
durchgeführt, an der sich sechzig
Beratungsstellen beteiligten. Ein Großteil
der Beratungsstellen gab an, dass die
Beratungsanfragen zum Thema digitale
Gewalt in den letzten drei Jahren
angestiegen sind. Vor allem bei Stalking
werden mittlerweile in nahezu allen Fällen
das Internet oder digitale Medien dazu
genutzt, Stalking-Handlungen auszuüben.
Die Bundesregierung weiß von nichts. Es
gab jetzt im November die Antwort auf eine
Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke zum
Thema digitale Gewalt gegen Frauen. Und da
sagt die Bundesregierung, dass beim
Bundesamt für Familie und
zivilgesellschaftliche Aufgaben
zugesiedelte Hilfetel-, angesiedelte
Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen berät zu
allen Formen der Gewalt. Der Jahresbericht
2017 weist Beratungen zum Themenfeld
digitale Gewalt aus. So waren 0,33 Prozent
der 23.978 Beratungen mit erweiterter
Dokumentation dieser Gewaltform
zugeordnet. Das wären 79,13 Fälle und
passt auf jeden Fall überhaupt nicht zu
den Angaben aller anderen, die sich damit
beschäftigt haben. In derselben Kleinen
Anfrage wurde noch konkreter gefragt, ob
es denn Statistiken gibt und welche. Die
Antwort war, dass es im Grunde keine
Statistiken dazu gibt, wie viele Formen
von digitaler Gewalt angezeigt wurden und
auch da sagt die Bundesregierung, das kann
sie leider nicht sagen, weil auch das
nicht erfasst wird. Weiß man also nicht.
Und wie viele Fälle digitaler Gewalt es
überhaupt gab und wie viele Frauen
betroffen waren. Dasselbe: weiß man leider
nichts. Das heißt, abgesehen von diesen
eigenartigen 0,3 Prozent am Anfang, die
beim Hilfetelefon aufgefallen sind, ist
der Bundesregierung einfach nichts über
das Problem bekannt. Wen trifft digitale
Gewalt? Da wir insgesamt wenig
aussagekräftige Zahlen haben, lässt sich
diese Frage tatsächlich nur ungefähr
beantworten. Auch Männer, Trans- und nicht
binäre Personen sind natürlich von
digitaler Gewalt betroffen, gerade wenn es
um öffentliche Beleidigungen, Bedrohungen
und Beschimpfungen geht. Da gab es
beispielsweise 2014 eine Umfrage des US-
amerikanischen Poll Research Centers zum
Thema Online Harassment. Und dabei kam
beispielsweise raus, dass Männer
tatsächlich häufiger von digitaler Gewalt
betroffen sind, wenn es um die weniger
gravierenden Formen geht. Das setze ich
jetzt mal in Häkchen. Das ist natürlich
schwer zu bewerten. Aber eben um
Beleidigungen, Beschimpfungen und so
weiter. Aber dass vor allem jüngere Frauen
deutlich häufiger von Stalking,
sexualisierter Bedrohung und fortgesetzter
Belästigung betroffen sind. Generell sind
jüngere Frauen stärker betroffen.
Entsprechend der Nutzung natürlich auch
von digitalen Geräten, die in den
Altersgruppen, die jünger sind, zunimmt.
Öffentlich sichtbare Frauen sind stärker
betroffen, also Parlamentarierinnen,
Journalistinnen, Bloggerinnen,
Feministinnen, die öffentlich sich äußern.
Die schon zitierte UN-
Sonderberichterstatterin stellt fest, dass
insgesamt Frauen, die von verschiedenen
Diskriminierungen betroffen sind,
entsprechend auch stärker von Anfeindungen
im digitalen Raum betroffen sind. Auch
wieder verschiedene Varianten von Hate
Speech, Bedrohungen und
Beleidigungen.Worüber wir wenig wissen,
ist das Ausmaß und die Struktur der
Betroffenen, die von massiven Formen von
Stalking, Überwachung, Manipulation durch
smarte Geräte oder Spy-Apps betroffen
sind. Also den Bereich, den wir einerseits
als häusliche Gewalt bezeichnen, und die
Bereiche, die von Unbekannten geübt
werden, aber nicht öffentlich stattfinden.
Hier gibt es einerseits die Umfrage des
BFF, des Bundesverbandes
Frauenberatungsstellen, vorhin schon
zitiert, und das, was mir Anwältinnen
berichtet haben, die die Klagen der
Betroffenen unterstützen. Die Fälle, um
die es geht, einige habe ich vorhin schon
aufgeführt, das sind also beispielsweise
Doxing, also das Veröffentlichen von
personenbezogenen Daten im Netz, Adresse,
Name, Arbeitsstelle. Die damit verbundenen
Belästigungen, also Bestellungen von
Dingen. Das wäre quasi noch harmlos. Aber
ist auch, wer das schon mal erlebt hat,
keine Freude. Dann beispielsweise das
Veröffentlichen von Adresse und
Telefonnummer auf Dating-Websites oder
Sexarbeitsanzeigen oder auch Social Media
mit einem entsprechenden Text, Adresse,
Kopf einer Person. Dazu dann: Komm vorbei,
ich warte auf dich. Das kommt vor. Aber
auch Bedrohungen, die entsprechend
veröffentlicht werden. Also mit Texten.
Sinngemäß: Warte, bis ich dich kriege.
Sowas wird dann zugesandt oder auch
veröffentlicht. Erpressung und Androhung,
dass intime Bilder veröffentlicht werden,
habe ich schon beschrieben. Revenge Porn.
Die Androhung, private Informationen
beispielsweise an Kolleginnen und Kollegen
oder Bekannte zu verschicken, über eine
frühere Beziehung, die die Frau nicht
weiterführen möchte, von der ansonsten das
Umfeld vielleicht noch gar nichts gewusst
hat. Dann die Überwachung von Smartphones.
Das heißt: das Auslesen von Aufenthalt und
Bewegung der BesitzerInnen, die
Überwachung der gesamten Kommunikation,
also beispielsweise Mails, SMS, Messenger
und so weiter. Was dann dazu führen kann -
und das kommt vor - dass Mails zum
Beispiel an künftige Arbeitgeber vor
Bewerbungsgesprächen geschickt werden,
weil ja der Täter über zum Beispiel eine
App auf dem Telefon schon wusste, dass es
hier eine Bewerbung gibt und bei wem und
wann das Gespräch stattfindet.
Entsprechendes kann auch an das gesamte
soziale Umfeld geschickt werden. Das ist
mir berichtet worden. Kommt zum Beispiel,
aber natürlich bei Weitem nicht nur, auch
unter Nazis gerne mal vor, betreffend dann
ex-rechte Frauen. Es kommt zur
Installation von Kameras oder
Aufnahmegeräten in Wohnungen. Es gibt die
unterschiedlichsten Gerätschaften, die man
benutzen kann für diese Form von
Überwachung. Es gibt beispielsweise
Ladegeräte für Smartphones, in die man, in
die ein Mikrofon und eine SIM-Karte
integriert sind und die dann ermöglichen,
wenn das, während das Telefon geladen
wird, die Gespräche im Raum aufzunehmen
und direkt dann auch zu verschicken. Was
es noch relativ selten, aber zunehmend
auch gibt, wird sowohl hier in Deutschland
als auch anderswo noch stärker berichtet,
ist der gesamte Bereich des Internet of
Things. Das heißt, die Manipulationen,
beispielsweise der Beleuchtung, der
Heizung, von Musik, die Türverriegelung
und so weiter. Das kann, wenn man davon
betroffen ist und sich nicht erklären
kann: "Was passiert hier eigentlich
gerade, warum ist das Licht an, obwohl ich
es ausgemacht habe. Es ist jemand in der
Lage, die Tür zu öffnen. Wieso läuft hier
Musik, die ich nicht eingestellt habe?",
natürlich massive, massive Ängste und
tatsächlich auch psychische Probleme
auslösen, weil du dich die ganze Zeit
fragst: "Was ist hier eigentlich los? Ist
da jemand? Habe ich mich getäuscht?
Erinnere ich mich nicht richtig?" Für all
diese Dinge gibt es eigene Websites, Chats
und dort dann auch verteilt eigene
Software, die dezidiert und auch genauso
beschrieben, für die Überwachung der
eigenen Frau beziehungsweise Ex-Frau
gedacht sind. Es wird da sehr offen dran
geschrieben. Das kann man relativ
unkompliziert im Netz auch finden. Dort
werden Techniken und Apps vorgestellt und
bewertet. Ganz explizit zum Zweck etwa der
Smartphone-Überwachung. Es zeigt sich im
Grunde immer wieder: Wer Zugriff und
Kontrolle über technische Geräte hat, kann
auch leicht überwachen. Beispielsweise:
Die Frau wechselt das Handy und die
Telefonnummer, aber der Ex-Mann hat
Zugriff auf den Telefonvertrag, weil er
die App dazu schon immer hat und da
entsprechend dann nachvollziehen kann, wie
ihre neue Telefonnummer ist und vielleicht
auch, wo sie hingezogen ist. Wer die
Kontrolle über den Router zuhause hat oder
die Zugangsdaten für den Blog oder die
Lokalisierungsfunktion des Smartphones,
kann unglaublich viel damit machen, ohne
dass die Betroffene vielleicht auch nur im
Weitesten eine Ahnung hat, wie es
eigentlich dazu kommt und wovor sie sich
eigentlich schützen muss. Natürlich kommt
es auch häufig vor, dass in Beziehungen
Passwörter zu Emails, Social-Media oder
auch die Bilder in der Cloud geteilt
werden. Möglicherweise ist das nicht allen
Beteiligten bekannt und entsprechend in
dem Moment, wo du versuchst, dich zu
trennen oder jemanden hinter dir zu
lassen, gibt es dort immer noch permanent
diesen Zugriff. Es kann sein, dass du das
merkst, aber vielleicht auch nicht. Oder
auch Apps zum Zugriff auf die
Krankenkasse. Damit die Wohnadresse, Apps
für die Post, die Bahnreisen, den
Leihwagen und so weiter und so fort. Die
Betroffenen wissen oft überhaupt nicht,
wie das funktioniert, welche
Zugriffsmöglichkeiten es gibt und wie sie
die Kontrolle über ihre Geräte
zurückbekommen können. Das meiste davon
ist natürlich illegal, aber ist es auch
Cybercrime? Diese Frage hab ich dem BKA
vor zweieinhalb Jahren schon mal gestellt,
als gerade das neue Lagebild Cybercrime
veröffentlicht wurde, und das BKA findet
natürlich, dass das also schon irgendwie -
nein, also Cybercrime ist es jedenfalls
nicht. Für die deutschen Polizisten und
auch für die Innenpolitiker ist digitale
Gewalt ein Gedöns-Thema bis heute. Und das
zeigt auch die Kleine Anfrage, in der
dieselbe Frage jetzt vor Kurzem nochmal
gestellt wurde. Ist digitale Gewalt gegen
Frauen nach Meinung der Bundesregierung
dem Thema, dem Phänomen Cybercrime
zuzuordnen? Und hier - und das fand ich
wirklich interessant - sagte die
Bundesregierung: Da es sich bei digitaler
Gewalt nicht um Straftaten handelt, die
sich gegen das Internet, Datennetze,
informationstechnische Systeme oder deren
Daten richten, sind sie nicht dem Phänomen
Cybercrime zuzuordnen. Ich weiß nicht, wer
sich schon mal mit Cybercrime beschäftigt
hat, aber das ist die eingeschränkteste
Definition, die ich seit langer Zeit dazu
gelesen habe. Bei Europol zum Beispiel ist
es gleich schon ganz anders. Das hier ist
aus dem Jahresbericht von Europol 2016/17.
Das ist der letzte, da wird zum Beispiel
aufgeführt, was die alles zum Cybercrime
zählen, und da sieht man schon: Das ist
deutlich mehr und für das European
Cybercrime Center, eine Unterabteilung von
Europol, ist es zum Beispiel so, dass
Kinderpornographie zu den drei zentralen
Themen gehören, die sie bearbeiten. Nichts
IT-Sicherheit oder Netze oder so, sondern
deutlich ein Thema, was ich sagen würde
von der Grundproblematik her der digitalen
Gewalt nicht unähnlich ist. Es lässt sich
daran aber gut erkennen, dass
sexualisierte Gewalt nur dann ein Thema
von Polizei und Justiz wird, wenn es auch
andere Interessen bedient , nämlich
umfangreicher, die Möglichkeit zu
umfangreicher Überwachung und Kontrolle
der Gesellschaft. Gewalt gegen Frauen
hatte noch nie eine große Lobby. Hier gibt
es weder Interesse noch Geld. Dabei hat
die Bundesregierung dieses Jahr mit der
Unterzeichnung der Istanbul-Konvention,
das ist das Übereinkommen des Europarates
zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt
gegen Frauen und häusliche Gewalt, sich
dazu verpflichtet, alle Formen der Gewalt
gegen Frauen aktiv zu bekämpfen und im
Übrigen auch Studien über ihr Ausmaß zu
fördern. Allerdings hat sie in der Antwort
auf die bereits mehrfach zitierte Kleine
Anfrage erklärt, dass sie nicht vorhat,
irgendwelche Studien durchführen zu
lassen, sondern verweist dann nur ein
bisschen umständlich darauf, dass es ja im
Bereich Rechtsextremismus irgendwelche
Studien geben soll und da schließlich gibt
es ja auch immer Gender-Aspekte und damit
wird das dann also irgendwie umfasst
werden. Kurz dazu, wie sich Polizei und
Justiz in Deutschland verhalten, wenn
Frauen versuchen Hilfe zu finden.
Natürlich hängt es davon ab, worum es
geht. Bei der Bandbreite der verschiedenen
Formen lässt sich das ziemlich schlecht
verallgemeinern. Es gibt keine eigenen
Straftatbestände zum Phänomen digitale
Gewalt gegen Frauen. Es gibt auch keine
oder jedenfalls mir nicht bekannt, keine
spezialisierten Polizei-Dezernate oder
Staatsanwaltschaften. Und das ist
wahrscheinlich den meisten schon mal in
der einen oder anderen Form begegnet, in
dem Moment, wo man versucht mit sozusagen
Internet-Fragestellungen zur Polizei zu
kommen, wird in aller Regel nicht mit
großer Kompetenz und Verständnis darauf
reagiert. Das ist auch so bei den
Sexualdelikts-Dezernaten. Die gibt es
tatsächlich. Die sind, kann ich jetzt auch
nicht pauschal sagen, aber zumindest in
Berlin beispielsweise extrem kompetent und
auch hilfreich. Aber auch die sagen, in
dem Bereich, wo es um Stalking, also
digitales Stalking oder Spy-Apps geht oder
so, haben die einfach keine Ahnung. Da
wissen sie weder, wie sie das feststellen
können, noch wie sie sonst irgendwas
machen können. Die Bereitschaft der
Bundesregierung, das zu ändern, ist nicht
erkennbar. Ich will jetzt nicht die ganze
Kleine Anfrage vorlesen, aber auch da
wurde danach gefragt: Gibt es da eine
Bereitschaft da vielleicht noch mehr an
Ausbildung, an Kompetenzen, an auch
möglicherweise eine Anpassung von
Straftatbeständen und Gesetzen zu denken.
Das hat die Bundesregierung derzeit nicht
vor. Viele Delikte sind nicht einfach
nachweisbar, also beispielsweise die
Lokalisierung per Smartphone oder der
Zugriff auf Mail-Konten. Das ist für die
normale Polizei jetzt nichts, was die aus
dem Ärmel schütteln. Das führt dazu, dass
die Sachen dann irgendwann eingestellt
werden oder auch gar nicht erst
tatsächlich ermittelt wird. Es ist nämlich
so, dass eine Reihe von den
Straftatbeständen, die es gibt, sogenannte
absolute Antrags-Delikte sind. Das heißt,
die werden nur verfolgt, wenn die
Betroffene einen Strafantrag stellt. Die
Staatsanwaltschaft darf in solchen Fällen
nicht von selbst tätig werden. Ulrike
Lembke hat in einem Aufsatz genau zu dem
Thema festgestellt, dass diese
Straftatbestände oder dass diese Probleme,
sagen wir mal die Fälle, um die es geht,
häufig ja aus vielen Teilen bestehen. Das
heißt, es gibt verschiedene Dinge, die die
Betroffene erlebt. Zugriff auf Mail oder
Kontrolle des Smartphones und so weiter
und so fort. Vielleicht ... oder andere,
andere Geschichten: Beleidigungen und
Erpressungen oder Bedrohungen in Social
Media. Aber das sind dann gewissermaßen
jeweils einzelne, einzelne Delikte, die
für sich alleine, wenn sie überhaupt zur
Anzeige kommen, in aller Regel irgendwann
auch wieder eingestellt werden. Viele
entscheidende Aspekte gehen dabei unter.
Das heißt, das Ausmaß der Kontrolle durch
die Täter, die Belastung für die
Betroffenen, die dem ständig ausgesetzt
sind, werden durch die vorhandenen
Möglichkeiten, dem juristisch nachzugehen,
einfach nicht gerecht. Interessant dabei
ist, dass - ich weiß nicht, wer das schon
mal gesehen hat. Das ist ein schönes
Dokument. Das passt jetzt, würde man
denken, erst mal gar nicht dazu. Das ist
die Umsetzungsstrategie der
Bundesregierung dazu, wie sie die
Digitalisierung gestalten wollen. Und da
drin beispielsweise gibt es – und die
Umsetzungsstrategie beinhaltet im Grunde
verschiedene Projekte der verschiedenen
Ministerien, wie sie uns alle
digitalisieren wollen. Und da wird dann
just vom Familien-, Frauen-Familien-
Ministerium vorgeführt ein Projekt, was
der Bundesverband Frauenberatungsstellen
tatsächlich durchführt, was nicht wirklich
reichlich finanziert ist und dafür
unheimlich viel leisten soll. Und das wird
dann aber ganz stolz vorgestellt als: Hier
machen wir jetzt was zu digitaler Gewalt
gegen Frauen. Genau. Was die tun, ist
beispielsweise diese Webseite - "Aktiv
gegen digitale Gewalt ". Kann ich nur
wärmstens empfehlen. Und müssen aber mit
den begrenzten Ressourcen, die sie haben,
tatsächlich unheimlich viel leisten. Das
ist der Dachverband der
Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe.
Das heißt, die sind im Grunde dazu da, die
Frauenberatungsstellen weiterzubilden,
überhaupt erst mal zu informieren, was
passiert da eigentlich. Was ist das? Was
kann man dagegen tun? Wie kann man sich
auch dagegen zur Wehr setzen? Ja, alle die
ihr irgendwie mit Technik zu tun habt,
wisst, dass sich solche Sachen wahnsinnig
schnell weiterentwickeln. Das heißt, das,
was ich heute sicher weiß, wie ich gegen
irgendwas mich schütze, kann in zwei
Jahren schon wieder ganz anders aussehen.
Parallel dazu wird über dieses Projekt
Informationen für Betroffene zur Verfügung
gestellt und was sie auch tun ist eben,
die Regierung, ja, belobbyieren. Das
heißt, zu versuchen durchzusetzen, dass es
überhaupt eine Form von Interesse und
politischer Auseinandersetzung mit dem
Thema gibt. Ich find die total großartig
und - ja, empfohlen habe ich sie ja schon.
Genau. Ja. Was fehlt? Eigentlich alles,
könnte man sagen zu dem Thema. Es gibt,
das habe ich gesagt, es gibt zu wenig
Studien über Formen und Ausmaß. Es fehlen
Weiterbildungen für Polizei,
Staatsanwaltschaften und Gerichte. Es
fehlen Anpassungen der Gesetze. Auch das
wurde in einer kleinen Anfrage noch einmal
explizit gefragt, hat die Bundesregierung
deutlich gesagt, hat sie kein Interesse.
Es fehlt massiv Geld für Beratungsstellen
für Weiterbildung und Infomaterial. Und
was natürlich auch fehlt, ist in diesen
Beratungen Kontakt zu ForensikerInnen.
Einfach um überhaupt zu wissen, wo wir …
wir haben hier eine Frau, die hat ein
Gerät. Dieses Gerät ist irgendwie komisch.
Niemand weiß genau, was damit komisch ist.
An wen können wir uns eigentlich wenden,
um Hilfe zu kriegen, um rauszukriegen, ist
das jetzt eigentlich, ist das manipuliert
worden, ja oder nein? Und das ist auch
tatsächlich … auch mit dem BFF habe ich
selber gesprochen. Die haben die ganz
konkrete Bitte: Die haben gesagt: Wenn du
da hinfährst und all diese Hacker – frag
sie: Gibt es hier Leute, die sich
vorstellen können, hier mit Wissen
weiterzuhelfen? Wenn es Leute gibt – ihr
könnt euch gerne an mich wenden. Und dazu
auch noch gibt es gleich einen Workshop
„Wie kann Betroffenen geholfen werden?“
von Leena Simon, kündige ich gerne an. Der
findet heute Abend 19 bis 20 Uhr in S 14/15
statt und richtet sich vor allem an
Menschen, die Forensik und IT-Sicherheit
können und gemeinsam überlegen möchten,
wie man Betroffenen helfen könnte. Und das
war es. Vielen Dank.
Herald: Wunderbar, liebe Anne, dann haben
wir ja doch noch ganz schön viel Zeit für
Fragen. Das heißt, ihr seid aufgerufen. Es
gibt hier Saalmikrofone. Eins ist dort
drüben. Hier sind zwei, und dort, und
unser Signal Angel sagt mir bitte auch
gerne Bescheid per Handzeichen, wenn es
Fragen aus dem Netz gibt. Da gibt es
tatsächlich schon was. Aber ihr könnt euch
auch hier anstellen, wenn ihr wollt.
Vielleicht fangen wir dann beim Signal
Angel an. Ja, Fragen aus dem Netz. Wir
bräuchten einmal Ton auf dem Signal-Angel-
Mikrofon bitte.
Signal-Engel: Danke. Die Frage ist: Die
Sprecherin sagte, dass die einzelnen
Delikte einzeln behandelt werden. Aus
eigener Erfahrung weiß diese Person in
Berlin, dass es die Strafsache
Nachstellung gibt, unter der scheinbar
auch solche Delikte gesammelt werden
können. Jetzt die Frage: Kommt es da dann
auf die Stelle darauf an, an die man sich
wendet?
Herald: Sollen wir sammeln, oder willst du
gleich antworten?
Roth: Ist mir egal. Also ich kann das auch
vielleicht kurz gleich beantworten. Ich
bin weder Juristin noch Polizistin.
Insofern sozusagen kann ich da jetzt auch
nur das wiedergeben, was mir erzählt wird.
Und das ist relativ pauschal, dass es
wahnsinnig schwer ist, dazu zu kommen,
dass zum Beispiel das, was theoretisch
möglich ist, auch tatsächlich eingesetzt
wird; auch im juristischen Bereich. Was
wieder damit zu tun hat, dass du häufig
einfach mal auf Polizisten oder auch
Staatsanwälte stößt, die sozusagen das
Problem an sich nicht erfassen, auch wenn
es in dem Fall vielleicht theoretisch
möglich wäre.
Herald: Dann haben wir da hinten eine
Frage. Bitte du. Hinteres Mikro, ja.
Publikum: Hallo. Ich hab; also ich
beobachte Gewalt auch schon eine längere
Zeit und habe festgestellt: So richtig gut
funktionieren diese ganzen Maßnahmen in
Bezug auf die juristischen Maßnahmen
nicht. Deswegen ist meine Frage: In Bezug
auf andere Maßnahmen, also Gewalt, die
insbesondere gegen Frauen ausgeübt wird –
meistens von Männern – hat ja offenbar
etwas mit der Sozialisierung zu tun, denn
ich glaube nicht, dass es an den Männern
liegt und dass Männer auf irgendeine Art
und Weise böse sind. Genau. Deswegen ist
meine Frage sozusagen: Was sind denn
Alternativen zu diesen ganzen juristischen
Maßnahmen, die Sie vorgestellt haben, die
nötig wären oder möglich wären? Weil ich
denke, dass sie nicht das Problem lösen
können.
Roth: Das ist eine gute Frage, die total
schwer zu beantworten ist und sicher auch
nicht nur von mir alleine, weil es ja
sozusagen von „Warum sind es so häufig
Männer und warum sind Frauen so oft
betroffen?“ bis zu „Wie kann man sich
anders dagegen wehren als juristisch?“
schon ganz schön breiten Boden schlägt.
Ich glaube, den ersten Teil der Frage, den
würde ich fast gerne an die RednerInnen
des vorigen Talks zurückgeben, die sich ja
noch mehr mit diesen Fragen beschäftigt
haben. Und was das Konkrete angeht, was
man tun kann: Neben dem juristisch-
polizeilichen, glaube ich, da gibt es eine
ganze Menge, was nötig ist. Das heißt, wir
brauchen, glaube ich, erst einmal sehr
viel mehr an Diskussion, um überhaupt ein
Bewusstsein dafür zu schaffen, dass das
ein Problem ist und für wen das ein
Problem ist und wie das entsteht. Das ist
ja relativ wenig darüber bekannt. Das ist
so ähnlich wie – ich sage jetzt mal in
Häkchen – der analogen häuslichen Gewalt,
die auch über Jahre, Jahrzehnte,
Jahrhunderte gewissermaßen für völlig
normal und auch gesetzlich abgesegnet
normal betrachtet wurde, bis es da
irgendwann mal Veränderungen gab, die dazu
geführt haben, zu sagen: Natürlich ist es
überhaupt nicht in Ordnung, irgendeine
Form von körperlicher Gewalt gegen
irgendjemanden einzusetzen; auch nicht
gegen die eigene Frau. Und dass
beispielsweise erlaubt war, in der Ehe zu
vergewaltigen, dass das abgeschafft wurde,
ist noch gar nicht lange her. Das hat sehr
lange Diskussionen gebraucht. Und ich
glaube, das ist in diesem Fall jetzt auch
nötig. Und gekoppelt ist es mit der
Schwierigkeit, dass Menschen, die
Technologie in den verschiedensten Arten
und Weisen benutzen, häufig nicht viel
darüber verstehen. Und das ist ein Problem
hier spezifisch in dem Fall von digitaler
Gewalt und natürlich – aber das ist ja
Thema gewissermaßen dieser gesamten
Veranstaltung – für alle anderen Menschen
ganz genauso auch. Ich habe hier was, das
blinkt schön und funktioniert super und
macht viel Spaß. Alexa home und so weiter.
Ich weiß nicht, wie viel Diskussion ihr so
darüber führt, wie supertoll das ist und
dass das ja so praktisch ist, ohne zu
wissen, welche Gefahren damit einhergehen
– insbesondere wieder auch hier, wenn
jemand, eine Person in der Familie, die
Kontrolle darüber hat und vielleicht
möglicherweise auch wenn sie gar nicht
zuhause ist, das fernsteuern kann. Lange
Rede kurzer Sinn: Ich glaube wir brauchen
sehr viel mehr Wissen darüber, wie wir
unsere eigenen Geräte selbst kontrollieren
können. Und dazu müsste quasi im
Kindergarten damit angefangen werden,
Kindern und dann eben auch Erwachsenen ein
Bewusstsein dafür zu wecken, dass wir
verstehen müssen, womit wir hantieren und
wie wir das selber beeinflussen können.
Ich hoffe, dass das ungefähr die Frage
beantwortet hat.
Publikum: Ungefähr. Und an der Stelle
fällt mir noch ein, dass es mir persönlich
wichtig wäre, dass die Menschen einen
anderen Umgang mit Konflikten lernen, weil
wenn wir sozusagen anders mit den
Konflikten umgehen können und die Männer
nicht mehr – oder wer auch immer es tut –
darauf zurückgreifen müssen, die Geräte zu
kontrollieren und zu stalken von jemand
anderem, sondern man proaktiv sozusagen
miteinander den Konflikt angehen kann,
dann müsste man das gar nicht mehr machen.
Roth: Auf jeden Fall.
Herald: Hier vorne bitte.
Publikum: Ich habe das Wort Gedöns gehört
und ich habe eine Vermutung dazu. Nämlich
dass seitens der Sicherheitsbehörden
digitale Gewalt gegen Frauen nicht nur
deshalb als Gedöns wahrgenommen oder
geframed wird, weil es im Internet
stattfindet, sondern auch leider deshalb,
weil es sich gegen Frauen richtet. Wir
haben auch außerhalb des Internets ein
massives Problem mit, ja, mit dem massiven
Herunterspielen von Gewalt gegen Frauen
bei den Sicherheitsbehörden – staatliche
Institutionen sind chronisch
unterfinanziert, Frauenhäuser und so
weiter. Meine Ansicht dazu ist: Da müssen
die Protestbewegungen zusammengebracht
werden. Einerseits die Protestbewegungen,
die sich um simple Infrastruktur-Fragen
kümmern wie, dass das Internet endlich
ernst genommen wird – nicht nur als „Ooh,
da wollen mittelständische Firmen was auf
dem Land“, sondern auch als
gesellschaftlicher Faktor, als der
öffentliche Raum, den das Internet seit
20, 30 Jahren für die meisten hier im
Raum, die alt genug sind, darstellt. Jetzt
ist die Frage: Was ist deine Ansicht dazu?
Was müssten wir politisch unternehmen,
damit den Regierungsparteien nicht nur bei
219a-Protesten, sondern auch bei Gewalt im
Netz … und wie machen wir eine
feministische Digitalisierung, dass den
Regierungsparteien da der Arsch auf
Grundeis geht?
Applaus
Roth: Wenn ich das Rezept hätte, dann
würde ich mit Transparenten auf der Straße
stehen. Vielleicht außerdem auch: Ich habe
versucht, es so ein bisschen zu
skizzieren. Ich glaube es ist einfach
vieles gleichzeitig nötig. Vor allen
Dingen ist eine Debatte überhaupt, ein
Bewusstseinswerdungsprozess über das
Problem notwendig, viel Aufklärung dazu
und zum Beispiel aber natürlich auch
sozusagen als Anfangspunkt Zahlen.
Dadurch, dass wir überhaupt keine Empirie
haben sozusagen, also niemand genau weiß,
wie viele eigentlich betroffen sind … Wenn
du das nicht hast, wirst du natürlich von
jeder Bühne gefegt gewissermaßen, mit
einer Forderung dazu. Und da fängt das an.
Das wäre ein zentraler Punkt. Und
ansonsten glaube ich: viel Beharrlichkeit
und Masse.
Herald: Wir haben eine weitere Frage aus
dem Internet, bevor du dran kommst.
Signal-Engel: Eine vielleicht sehr
praktische Frage: Wie geht man am besten
damit um, dass Online-Gewalt und der
Umgang damit oft auf mangelnde
Medienkompetenz der Betroffenen reduziert
wird bzw. mit dem weit verbreiteten
Victim-Blaming in diesem Zusammenhang?
Roth: Good point. Natürlich ist es
relevant oder … Das ist völlig richtig.
Ich hoffe jedenfalls, dass ich mich dem
Vorwurf des Victim-Blaming jetzt hier
nicht ausgesetzt habe, wenn ich gesagt
habe: Wir müssen alle lernen, unsere
Geräte besser zu kontrollieren. Das
bedeutet nicht, dass wir selber daran
schuld wären, wenn irgendjemand
irgendwelche Attacken fährt oder Geräte
übernimmt oder uns in irgendeiner Weise im
Netz bedroht oder beleidigt oder in unsere
Accounts einbricht. Dafür ist einfach eine
… genau so eine Diskussion nötig, wie sie
letztlich, wenn man so will, um das
gesamte Thema Hackerethik führt, also was
ist okay zu tun und was es nicht okay zu
tun – führen müsste, und die ist hier
genauso notwendig. Aber natürlich liegt
die Schuld bei den Tätern und nicht bei
den Opfern. Das ist hoffentlich ganz klar.
Herald: Und hier vorne bitte.
Publikum: Erstmal danke für den tollen
Vortrag. Und ich hätte eine Frage. Das
ging ja sehr stark um die bundespolitische
Ebene, was da an polizeilicher Arbeit
gemacht wird, das ist ja auch oft
Ländersache. Das betrifft natürlich auch
die Ausgestaltung in den Ländern. Gibt es
da vielleicht Vorreiter, die das anders
machen, besser machen. Da gibt es ja die
unterschiedlichsten
Regierungskonstellation und wenn die Linke
die Anfrage macht, könnte man sich ja
fragen, wie es eigentlich in Berlin oder
in Thüringen aus, wo sie die Fähigkeit
hätten, vielleicht etwas zu verändern?
Roth: Mir ist dazu wenig bekannt. Ich habe
neulich mit Interesse zur Kenntnis
genommen, dass es in Mannheim eine
Staatsanwaltschaft geben soll, die
irgendwie auf Cyber-irgendwas
spezialisiert ist. Das fände ich auch
total interessant, sowas mal zu sammeln,
um beispielsweise dann auch Nebenklage-
AnwältInnen, also den AnwältInnen, die die
Betroffenen vertreten, zu ermöglichen, die
geeigneten Staatsanwaltschaften und
Polizei-Dezernate zu kontaktieren. Das
Schöne an den Internet-Delikten ist ja,
dass sie nicht ortsgebunden sind. Das
heißt, du musst nicht in Berlin eine
Anzeige machen, wenn dir im Internet etwas
passiert. Du kannst das auch in Mannheim
machen. Aber da darüber weiß ich einfach
nicht sehr viel. Und was die Bundesländer
angeht – genauso wäre auch interessant, da
mal einen Uberblick zu kriegen. Und da
sind wir wieder bei der Frage der
Ressourcen. Diejenigen, die sich sonst mit
dem Thema häusliche Gewalt beschäftigen,
die sind schon – auch das wurde ja eben
aus dem Publikum gesagt – so, die haben so
Land unter und so viel zu viel zu tun und
kriegen permanent die Gelder gestrichen,
dass die gewissermaßen mit der
zusätzlichen Aufgabe, jetzt auch noch
dieses Thema zu erfassen und zu
dokumentieren und in eine politische
Diskussion zu bringen, einfach häufig an
den Rand ihrer Kapazitäten gelangen.
Ansonsten gibt es einfach wenig Leute, die
sich mit dem Thema beschäftigen. Es wäre
aber total notwendig. Ich fände es total
interessant zu wissen, ob es irgendwo
Stellen gibt, die sich damit schon mal
befasst haben. Mir ist das aber nicht
bekannt. Und um der Frage nach der Politik
nicht auszuweichen: Da wo die Linke mit in
Regierungen ist oder wo es rot-rot-grüne
oder so weiter Regierungen gibt – auch da
ist mir das nicht bekannt. Wäre aber auf
jeden Fall etwas, was unbedingt stärker
angeschubst werden müsste.
Herald: Letzte Frage bitte.
Publikum: Ich muss mal ganz
uncharakteristisch die Polizei ein
bisschen in Schutz nehmen an der Stelle.
Das hängt davon ab, zu wem man geht. Wenn
man einfach 110 anruft, landet man bei den
Leuten, die vielleicht stinkig sind, dass
man keinen Autounfall oder so hat, wo es
um Leben und Tod geht. Aber es gibt in
allen Bundesländern inzwischen zentrale
Anlaufstellen für Cybercrime mit eigener
Telefonnummer. Das kann man im Internet
recherchieren. Die sind jetzt …
Roth: Die sind aber nicht zuständig.
Publikum: Moment. Moment. Sie sind laut …
ja, das findet die Bundesregierung, aber
die Frage, ob sie zuständig sind,
entscheidet die jeweilige … das Land. Und
wenn … die Polizei fühlt sich da schon
zuständig. Kann natürlich immer noch
passieren, dass man den Falschen erwischt.
Aber es gibt diese Cybercrime-Rufnummern.
Und wenn sonst alles hier so gloom und
doom ist – merkt euch das: Wenn ihr
irgendwie ein Computer-Problem habt, dann
sucht diese Nummer raus und ruft da an. Da
erwischt ihr dann auch jemanden, der schon
mal weiß irgendwie, dass es einen
Unterschied zwischen Web und Browser gibt.
Und ansonsten würde ich dazu aufrufen
wollen, ein bisschen sich zu überlegen,
was man überhaupt sinnvoll fordern kann.
Wer in Berlin schon mal einen Fahrrad-
Diebstahl gemeldet hat, wird wissen, dass
die Polizei auch bei anderen Delikten ganz
schnell die Füße streckt. Und jetzt gab es
sogar eine Meldung im Sommer, dass so
kleine Diebstähle gar nicht mehr verfolgt
werden. Insofern: Selbst wenn wir da jetzt
ein paar Millionen locker machen, ist
nicht klar, dass es besser wird. Das liegt
auch daran, ob man das jetzt für ein
Problem hält oder nicht. Und da halte ich
die politische Schiene für wichtiger als
wie viel Geld man da jetzt zur Verfügung
zur Verfügung stellt.
Roth: Das ist ja glücklicherweise kein
Entweder-Oder, sondern wir können auch
gerne beides fordern. Was die Cyber-
Abteilung angeht – Ich habe mich da vor
allen Dingen an das gehalten, was mir
AnwältInnen gesagt haben. Die sagen, es
ist extrem schwierig, Staatsanwaltschaften
und Dezernate zu finden, die sich damit
auskennen. Gut zu wissen, wenn es welche
gibt. Wenn jemand welche kennt, die sowohl
sich mit Cyber- als auch mit häuslicher
Gewalt gleichermaßen befasst fühlen, das
wäre, glaube ich, der Clou, das in der
Kombination zu finden, glaube ich, ist
verhältnismäßig schwierig. Was vielleicht
noch interessant ist anzuführen, was ich
auch mal gefragt habe, ist, inwieweit
möglicherweise das BSI denn eigentlich
zuständig wäre. Auch ein Teil der kleinen
Anfrage. Sagt die Bundesregierung auch:
„Das BSI doch nicht! Das BSI hat damit gar
nichts zu tun.“ Interessanterweise hat das
BSI aber ein eigenes Portal. Also
Bundesamt für Sicherheit in der
Informationstechnik – zuständig für
gewissermaßen alles, was mit Sicherheit
und IT zu tun hat. Einen halben Satz noch.
Und die haben auch ein eigenes
Bürgerportal, wo sie sozusagen Bürger
beraten im Bereich Sicherheit, wo man ja
zum Beispiel auch Beratung in spezifisch
solchen Fällen auch mit anfügen könnte.
Aber bisher leider nicht. Die Zeit ist um,
glaube ich.
Herald: Vielen herzlichen Dank für diesen
erleuchtenden Talk.
Roth: Dankeschön. Vielen Dank.
Abspannmusik
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