Das ist ein Bild des Planeten Erde.
Es sieht so ähnlich aus
wie die bekannten Apollo-Bilder.
Etwas ist allerdings anders:
Man kann es anklicken,
und wenn man es anklickt,
kann man zu fast jedem Ort
auf der Erde zoomen.
Dies ist z. B. eine Vogelperspektive
auf den EPFL-Campus.
In vielen Fällen kann man auch sehen,
wie ein Gebäude von einer
nahegelegenen Straße aus aussieht.
Das ist ziemlich beeindruckend.
Aber eins fehlt
in dieser wunderbaren Reise:
Zeit.
Ich weiß nicht so genau,
wann dieses Bild gemacht wurde.
Ich weiß noch nicht mal,
ob es im selben Moment
wie die Vogelperspektive gemacht wurde.
In meinem Labor entwickeln wir Werkzeuge,
mit denen wir nicht nur durch den Raum,
sondern auch durch die Zeit reisen können.
Wir stellen solche Fragen:
Ist es möglich, etwas wie
ein Google Maps
der Vergangenheit zu bauen?
Kann ich einen Schieberegler
über Google Maps legen
und einfach das Jahr ändern,
und sehen, wie es vor 100 Jahren
oder vor 1000 Jahren aussah?
Ist das möglich?
Kann ich soziale Netzwerke
der Vergangenheit rekonstruieren?
Kann ich ein Facebook
des Mittelalters erstellen?
Also, kann ich Zeitmaschinen bauen?
Vielleicht antworten wir einfach:
"Nein, das ist unmöglich."
Oder wir könnten darüber aus
einer Informationsperspektive nachdenken.
Ich nenne das hier den "Informationspilz".
Vertikal ist die Zeit abgetragen
und horizontal die verfügbare Menge
digitaler Information.
Für die letzten 10 Jahre haben wir
natürlich sehr viele Informationen.
Und klar, ke weiter wir zurückgehen,
desto weniger Informationen haben wir.
Wenn wir etwas wie
ein Google Maps oder Facebook
der Vergangenheit schaffen wollen,
müssen wir diesen Raum vergrößern.
Wir müssen ihn
zu einem Rechteck machen.
Wie machen wir das?
Eine Methode ist Digitalisierung.
Es gibt Unmengen an Material --
Zeitungen, gedruckte Bücher,
Tausende von gedruckten Büchern.
All diese kann ich digitalisieren.
Ich kann Informationen aus ihnen ziehen.
Je weiter man in die Vergangenheit geht,
desto weniger Informationen
gibt es natürlich.
Es könnte also zu wenig sein.
Dann kann ich das tun,
was Historiker tun.
Ich kann Dinge ableiten.
In der Informatik
nennen wir das Simulation.
Wenn ich ein Logbuch nehme,
kann ich annehmen,
dass es nicht nur das Logbuch
eines venezianischen Kapitäns
auf einer bestimmten Reise ist.
Ich kann annehmen,
dass dieses Logbuch
tatsächlich viele Reisen
dieser Zeit repräsentiert.
Ich leite ab.
Wenn ich das Gemälde einer Fassade habe,
kann ich annehmen, dass es nicht nur
dieses bestimmte Gebäude ist
sondern die Hauptaspekte
von anderen Gebäuden teilt,
von denen wir alle Informationen
verloren haben.
Für die Konstruktion einer Zeitmaschine
brauchen wir also zwei Dinge.
Wir brauchen sehr große Archive
und großartige Spezialisten.
Die "Venice Time Machine",
das Projekt, über das ich spreche,
ist ein gemeinsames Projekt der EPFL
und der Universität Venedig Ca'Foscari.
Etwas sehr Besonderes an Venedig ist,
dass die Administration schon immer
sehr, sehr bürokratisch gewesen ist.
Sie haben alles festgehalten,
fast wie Google heute.
Im Archivio di Stato
gibt es 80 Kilometer Archive,
die jeden Aspekt des Lebens in Venedig
über mehr als 1000 Jahre dokumentieren.
Jedes Boot, das ablegt und ankommt,
ist da verzeichnet.
Man findet jede Veränderung,
die in der Stadt gemacht wurde.
Es ist alles da.
Wir bauen gerade ein 10-jähriges
Digitalisierungsprogramm auf,
welches dieses immense Archiv
in ein gigantisches
Informationssystem verwandeln soll.
Eines unserer Ziele ist es,
450 Bücher am Tag
digitalisieren zu können.
Digitalisieren reicht natürlich nicht aus,
weil die meisten Dokumente in Latein,
Toskanisch,
oder venezianischem Dialekt sind.
Sie müssen transkribiert werden,
in manchen Fällen übersetzt,
sie müssen indiziert werden.
Das ist natürlich nicht einfach,
besonders, weil traditionelle
Schrifterfassungsmethoden
für gedruckte Manuskripte
nicht gut für Handschriften funktionieren.
Die Lösung ist, Inspiration
in einem anderen Feld
zu suchen: Spracherkennung.
Dies ist ein scheinbar
unmögliches Gebiet,
das tatsächlich funktioniert,
wenn man zusätzliche
Bedingungen hinzufügt.
Hat man von der genutzten Sprache
ein sehr gutes Modell,
ein sehr gutes Modell
von einem Dokument --
wie gut sie strukturiert sind.
Dies sind Verwaltungsdokumente.
Sie sind in vielen Fällen gut strukturiert.
Wenn man dieses riesige Archiv
in kleinere Untergruppen aufteilt,
in denen kleinere Untergruppen
ähnliche Merkmale teilen,
dann ist Erfolg möglich.
Haben wir diesen Punkt erreicht,
gibt es noch etwas:
Wir können aus diesen Dokumenten
Ereignisse ableiten.
Wahrscheinlich können
ca. 10 Milliarden Ereignisse
aus diesem Archiv abgeleitet werden.
Dieses gigantische Informationssystem
kann auf viele Arten durchsucht werden.
Man kann Fragen stellen wie:
"Wer wohnte 1323 in diesem Palazzo?"
"Wie viel kostete 1434 eine Seebrasse
auf dem Rialto-Markt?"
"Wie hoch war das Gehalt
eines Glasbläsers aus Murano
in einem Jahrzehnt?"
Auch größere Fragen sind möglich,
weil sie semantisch kodiert werden.
Man kann das dann im Raum anordnen,
denn viele der Informationen sind räumlich.
Und davon ausgehend, kann man
die außergewöhnliche Reise
dieser Stadt rekonstruieren,
die es über 1000 Jahre geschafft hat,
eine nachhaltige Entwicklung zu haben,
und die ganze Zeit über
in einem Gleichgewicht
mit ihrer Umwelt zu leben.
Man kann die Reise rekonstruieren
und auf vielfältige
Art und Weise visualisieren.
Man kann Venedig nicht verstehen,
wenn man nur die Stadt sieht,
man muss einen größeren
europäischen Kontext sehen.
Die Idee ist also,
all die Dinge zu dokumentieren,
die auf europäischem Niveau abliefen.
Wir können auch die Entwicklung
des venezianischen Seereiches
rekonstruieren,
wie die Stadt nach und nach
die Adria kontrollierte
und wie sie das mächtigste
mittelalterliche Reich
dieser Zeit wurde,
welches die meisten Seerouten
von Osten nach Süden kontrollierte.
Aber man kann sogar noch mehr machen,
denn diese Seerouten
folgen geordneten Mustern.
Man kann einen Schritt weiter gehen
und eine Simulation bauen,
eine Simulation des Mittelmeeres,
mit der man sogar fehlende Informationen
rekonstruieren kann,
die uns Fragen erlauben würden,
die wir sonst einem Routenplaner stellen.
"Wenn ich im Juni 1323 auf Korfu bin
und nach Konstantinopel möchte,
wo kann ich ein Boot nehmen?"
Wir können diese Frage
vermutlich auf ein, zwei
oder drei Tage genau beantworten.
"Wie viel kostet das?"
"Wie hoch sind die Chancen,
auf Piraten zu treffen?"
Wissen Sie, natürlich ist die zentrale,
wissenschaftliche Herausforderung
bei so einem Projekt,
Ungewissheit und Lückenhaftigkeit
in jedem Schritt dieses Prozesses
zu qualifizieren, zu quantifizieren
und zu repräsentieren.
Überall finden sich Fehler,
Fehler im Dokument,
der falsche Name des Kapitäns,
manche Boote sind niemals
in See gestochen.
Es gibt Übersetzungsfehler,
interpretative Verzerrungen.
Dazu kommt noch,
dass bei einem Algorithmus
Erkennungsfehler
und Extraktionsfehler
auftreten werden,
sodass die Datenbasis
sehr, sehr unsicher ist.
Wie können wir diese Ungereimtheiten
finden und korrigieren?
Wie können wir diese Form
der Ungewissheit darstellen?
Es ist schwierig.
Ein Ansatz ist,
jeden Schritt zu dokumentieren --
nicht nur die historischen
Daten zu kodieren,
sondern auch sogenannte
meta-historischen Informationen,
wie historisches Wissen konstruiert wurde,
und jeden Schritt zu dokumentieren.
Das garantiert nicht, dass wir tatsächlich
zu einer einzigen Geschichte
Venedigs zusammenfinden,
aber wir können vermutlich eine mögliche,
vollständig dokumentierte
Geschichte Venedigs rekonstruieren.
Vielleicht gibt es nicht nur eine,
sondern mehrere Karten.
Das System sollte dafür geeignet sein,
denn hier arbeiten wir mit
einer neuen Art von Unsicherheit,
die für diesen Datenbankentyp
absolut neu ist.
Und wie sollten wir
diese neue Forschung
einer großen Zielgruppe darstellen?
Venedig ist auch dafür
außergewöhnlich gut geeignet.
Mit den Millionen Besuchern,
die jedes Jahr nach Venedig kommen,
ist es tatsächlich einer der besten Orte,
um den Versuch
eines Museums der Zukunft zu wagen.
Stellen Sie sich das vor: Horizontal
sieht man die rekonstruierte Karte
in einem bestimmten Jahr
und vertikal sieht man das Dokument,
das als Basis für die Rekonstruktion diente,
Gemälde zum Beispiel.
Ein umfassendes System, das es erlaubt,
hinzugehen, einzutauchen
und das Venedig eines bestimmten
Jahres auferstehen zu lassen,
als ein Erlebnis, das man
mit einer Gruppe teilen könnte.
Oder stellen Sie sich vor, dass Sie
tatsächlich bei einem Dokument anfangen.
Einem venezianischen Manuskript.
Und Sie zeigen,
was man daraus machen kann,
wie es dekodiert wird,
wie der Kontext des Dokuments
nachvollzogen werden kann.
Dies ist ein Bild aus einer Ausstellung,
die im Moment in Genf aufgebaut wird
mit dieser Art von System.
Zusammenfassend können wir also sagen,
dass die Forschung
in den Geisteswissenschaften dabei ist,
eine Evolution zu durchlaufen,
die vielleicht mit dem vergleichbar ist,
was vor 30 Jahren
mit den Naturwissenschaften passierte.
Es ist eine Frage des Ausmaßes.
Wir sehen Projekte,
die weit über die Kapazität eines
einzelnen Forscherteams hinausgehen,
und das ist eine neue Entwicklung
für die Geisteswissenschaften,
die daran gewöhnt sind,
in kleinen Gruppen oder mit nur
ein paar Forschern zusammenzuarbeiten.
Im Archivio di Stato merkt man,
dass das weit über die Kapazitäten
eines einzelnen Teams geht
und dass es
eine Zusammenarbeit sein sollte.
Was wir für diesen
Paradigmenwechsel tun müssen,
ist eine neue Generation
der "digital humanists" zu fördern,
die bereit sind,
diese Anforderungen zu meistern.
Vielen Dank!
(Applaus)