Erinnern ist so alltäglich, so selbstverständlich für uns. Egal ob wir ans Frühstück zurückdenken oder ans letzte Wochenende. Erst das Vergessen zeigt seine Bedeutung und wie sehr es unsere früheren Erfahrungen prägt. Aber Erinnern ist nicht immer positiv. Wie der Dichter Spalding einst sagte: "Erinnern kann ein Paradies sein, aus dem niemand vertrieben werden kann, aber ebenso eine Hölle, der wir nicht entkommen können." Viele von uns erleben Lebensabschnitte, die sie am liebsten nie erlebt hätten. Rund 90 Prozent von uns erleiden eine Art Trauma in ihrem Leben. Viele von uns leiden darunter erheblich bis sie geheilt werden. Einige werden durch die Erlebnisse sogar zu besseren Menschen. Einige Ereignisse sind so heftig, dass z.B. die Hälfte aller Missbrauchsopfer, eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt. PTBS schwächt die Psyche erheblich und führt zu großer Angst, gekennzeichnet durch Flashbacks der traumatischen Erlebnisse. Diese Symptome beeinträchtigen die Lebensqualität und werden oft durch besondere Situationen oder das Umfeld der Person ausgelöst. Die Reaktionen auf diese Auslöser können anfangs angemessen sein -- wie Angst oder die Schutzsuche im Krieg -- aber bei einer PTBS beginnen sie, das Verhalten zu kontrollieren, obwohl es nicht mehr angemessen ist. Wenn ein zurückgekehrter Kriegsveteran in Deckung geht, wegen einer Fehlzündung oder sich wegen extremer Angst nicht außer Haus traut, dann sind diese Erinnerungen maladaptiv. PTBS ist hier eine Anpassungsstörung. Hier sollte ich nun aufhören, weil ich über das Gedächtnis spreche, als wäre es eine Einheit, das stimmt jedoch nicht. Es gibt viele Arten von Erinnerungen, mit unterschiedlichen Schaltkreisen in Regionen im Gehirn. Es gibt zwei ganz unterschiedliche Erinnerungsformen: Das eine sind bewusste Erinnerungen, von denen wir wissen und die wir beschreiben können. Hierbei geht es um Fakten und Ereignisse. Und weil wir diese erklären können, heißen sie deklarative Erinnerungen. Das andere ist der nicht-deklarative Gedächtnistyp. Zu diesen Erinnerungen haben wir oft keinen bewussten Zugang, wir können sie nicht in Worte fassen. Klassisches Beispiel einer nicht-deklarativen Erinnerung ist die motorische Fähigkeit, Rad zu fahren. Da wir in Cambridge sind, können Sie wahrscheinlich Rad fahren. Sie wissen genau, wie das geht. Aber wenn Sie Anweisungen zum Radfahren auflisten sollten, die mir das Radfahren beibringen, wie mein Sohn als wir ihm ein neues Fahrrad schenkten, zu seinem letzten Geburtstag, würde es Ihnen deutlich schwerfallen. Wie sitzt man auf einem Fahrrad, um nicht umzufallen? Wie schnell muss man treten, um stabil zu bleiben? Welche Muskeln müssen angespannt werden, wenn ein Windstoß kommt, um nicht vom Fahrrad zu fallen? Ich wäre erstaunt, wenn Sie diese Fragen beantworten könnten. Aber wenn Sie Radfahren können, kennen Sie die Antworten, ohne sich ihnen bewusst zu sein. Um auf PTBS zurückzukommen: Ein weiterer Typ dieser Erinnerungsform ist das emotionale Gedächtnis. Es hat in der Psychologie eine besondere Bedeutung. Das betrifft unsere Fähigkeit, durch Reize in unserem Umfeld zu lernen, und deren Bedeutung für Emotionen und Motivation. Was meine ich damit? Denken Sie an einen Reiz, wie der eines frischen Brots oder abstrakter an eine 20-Pfundnote. Weil diese Reize positiv verknüpft sind, mögen wir Sie und suchen sie. Das Brummen einer Wespe dagegen löst mitunter negative Gefühle und Vermeiden aus. Ich hasse Wespen. Das kann ich Ihnen verraten. Aber meine emotionalen Erinnerungen an meine Reaktion auf eine Wespe kann ich nicht vermitteln. Ich kann mit Ihnen nicht das Herzrasen, die schwitzigen Hände und das Gefühl einer Panikattacke teilen. Ich kann Sie Ihnen beschreiben, aber das war es auch. Bei PTBS wirkt sich Stress unterschiedlich stark auf bewusste und unbewusste Erinnerungen sowie Schaltkreise und Regionen im Gehirn aus. Emotionale Erinnerungen werden von einer mandelförmigen Struktur namens Amygdala gespeichert. Bewusste Erinnerungen, besonders das Was, Wo und Wann, verarbeitet eine Seepferdchen- förmige Hirnregion namens Hippocampus. Die hohen Stresspegel, die durch Traumata erlebt werden, beeinträchtigen die zwei Gedächtnistypen sehr unterschiedlich. Erhöht sich der Stresslevel einer Person, von nicht stressig zu etwas stressig, erhöht der Hippocampus seine Aktivität, um das Erlebnis abzuspeichern, und speichert so diese bewusste Erinnerung besser ab. Steigert sich aber der Stresspegel von mittelschwer zu belastend, bis zu extrem belastend, wie bei einem Trauma, fährt der Hippocampus tatsächlich herunter. Somit merken wir uns bei Zunahme von Stresshormonen, wie sie für Traumata typisch sind, keine Details, wie was, wo und wann. Waren das die Folgen von Stress für den Hippocampus, mal sehen, wie er auf die Amygdala wirkt, die Hirnstruktur des emotionalen Gedächtnisses. Steigt der Stress, steigt ihre Aktivität. Sodass dies bei einer PTBS zu einer allzu starken emotionalen Erinnerung -- hier Angst -- führt, die von Zeit und Ort unabhängig ist, weil der Hippocampus das Was, Wo und Wann nicht speichert. So steuern Reize auch dann Verhalten, wenn es nicht mehr angemessen ist, sodass dieses unangemessen wird. Wenn PTBS durch fehlgeleitete Erinnerungen bedingt wird, könnte dann das Wissen zur Verbesserung der Behandlungsergebnisse von PTBS-Patienten dienen? Ein radikal neuer Ansatz zur Behandlung von PTBS zielt ab auf die Löschung dieser fehlgeleiteten, emotionalen Erinnerungen. Einzig aufgrund des neuen Verständnisses von Erinnerungen wurde der Ansatz gewählt. Ursprünglich dachte man, Erinnerungen entstehen wie beim Schreiben im Notizbuch: Ist die Tinte trocken, sind die Notizen nicht veränderbar. Man dachte, all' die strukturellen Veränderungen zur Speicherung von Erinnerungen im Gehirn wären in ca. 6 Stunden beendet und blieben dauerhaft vorhanden. Dies nennt sich Gedächtniskonsolidierung. Laut jüngeren Studien seien Erinnerungen vergleichbar mit einem Word-Prozessor. Erst wird eine Erinnerung erzeugt, danach gespeichert. Unter den richtigen Bedingungen können wir Erinnerungen verändern. Bei dieser Rekonsolidierung könnten die strukturellen Veränderungen, die im Gehirn die Erinnerung speichern, rückgängig gemacht werden, sogar für alte Erinnerungen. Dies geschieht jedoch nicht andauernd. Vielmehr läuft dieser Vorgang nur unter sehr spezifischen Bedingungen ab. Angenommen das Wiedererlangen von Erinnerungen verläuft wie ihr Wiederaufruf oder das Öffnen einer Datei. Wir erlangen die Erinnerung meist nur wieder. Und öffnen die Datei nur schreibgeschützt. Aber unter den richtigen Bedingungen können wir die Datei im Bearbeitungsmodus öffnen und die Information ändern. Theoretisch könnten wir die Datei auch löschen und dann abspeichern, so wird die Datei -- die Erinnerung -- erhalten. Dieser Abruf-Prozess lässt uns nicht nur Marotten unserer Erinnerungen wiedergeben, wenn wir uns z.B. falsch erinnern, sondern lässt maladaptive Flashbacks, die PTBS zugrunde liegen, ausradieren. Dazu bräuchten wir nur zwei Dinge: einen Weg, Erinnerungen labil zu machen -- die Datei zu ändern -- und einen Weg, um die Informationen zu löschen. Was ihre Löschung anbelangt, sind wir derzeit am weitesten. Man fand relative früh heraus, dass ein Medikament zur Kontrolle des Blutdrucks -- ein Betablocker namens Propranolol -- zur präventiven Rekonsolidierung von Flashbacks bei Ratten dient. Bei Einnahme von Propranolol im Veränderungsmodus, ängstigten sich Ratten nicht vor den Reizauslösern. Als hätten sie nie gelernt, Angst davor zu haben. Und das durch ein für Menschen zugelassenes Medikament. Bald darauf zeigte sich dieselbe Wirkung von Propranolol beim Menschen. Aber entscheidend ist, das es nur im Veränderungsmodus wirkt. Die Studie wurde mit gesunden Probanden durchgeführt, aber sie zeigt, dass die Ergebnisse der Rattenversuche auf Patienten übertragen werden können. Bei Menschen kann zudem getestet werden, ob das Löschen emotionaler Erinnerungen das Ereignisgedächtnis beeinflusst. Das ist wirklich interessant. Auch wenn Menschen, die Propranolol einnahmen, während ihre Erinnerung im Bearbeitungsmodus war, keine Angst mehr vor Reizauslösern hatten, konnten sie noch die Beziehung zwischen Reiz und Folgereaktion beschreiben. Wie als wüssten sie, dass sie Angst haben müssten, ohne Angst zu haben. Somit aktiviert Propranolol selektiv das emotionale Gedächtnis, unabhängig vom deklarativen Ereignisgedächtnis. Propranolol beeinflusst Erinnerungen nur dann, wenn sie veränderbar sind. Wie wird eine Erinnerung kurzzeitig labil? Wie gerät sie in den Bearbeitungsmodus? Mein Labor hat darüber viel geforscht. Wir wissen, dass dies die Integration von Informationen in die Erinnerung erfordert. Wir kennen die verschiedenen Botenstoffe zur Signalisierung der Aktualisierung und Überarbeitung einer Erinnerung. Wir forschen vorrangig an Ratten, aber andere Labore fanden heraus, dass die gleichen Faktoren Erinnerungen im menschlichen Gedächtnis ändern, auch maladaptive Erinnerungen, die PTBS bedingen. Zahlreiche Labore in mehreren Ländern haben dazu in kleinem Umfang geforscht und vielversprechende Ergebnisse erzielt. Die Studien müssen in größerem Umfang wiederholt werden, aber sie zeigen die Effizienz der Behandlungen von PTBS. Vielleicht müssen Traumata keine Höllen ohne Entkommen sein. So vielversprechend der Ansatz der Erinnerungslöschung auch ist- er ist nicht allgemeingültig und auch nicht unumstritten. Ist das Löschen von Erinnerungen ethisch? Was ist z.B. mit Augenzeugenberichten? Was wenn Propranolol die Wirkung anderer Medikamente hemmt? In Sachen Ethik und Augenzeugenberichten zählen die Ergebnisse der Probanden. Da Propranolol nur auf das emotionale Gedächtnis wirkt, ist es unwahrscheinlich, dass es Augenzeugenberichte beeinträchtigt, die auf bewusster Erinnerung basieren. Diese Behandlungen zielen darauf ab, emotionale Erinnerungen zu reduzieren und traumatische Erinnerungen auszulöschen. Dadurch sollen die Reaktionen von PTBS-Patienten mehr denen ähneln, die ein Trauma erlebt haben, aber kein PTBS entwickelt haben, als Menschen, die nie ein Trauma erfahren haben. Aus ethischer Sicht würde die Mehrheit von uns diese Therapie einem makellosen Gedächtnis vorziehen. Was ist mit Propranolol? Nicht jeder verträgt Propranolol und möchte eine medikamentöse Behandlung von psychischen Störungen. Hierbei könnte Tetris behilflich sein. Ja, Tetris. Gemeinsam mit klinischen Mitarbeitern untersuchen wir den Einfluss verhaltensbedingter Interventionen auf die Rekonsolidierung. Wie würde das aber funktionieren? Multitasking ist bekanntlich ein Märchen, da die Steuerung der Aktivitäten auf derselben Hirnregion beruht. Singen Sie im Radio mit und versuchen dabei, E-Mails zu verfassen. Beide Vorgänge behindern sich. So werden auch Erinnerungen wiedererlangt, besonders im Bearbeitungsmodus. Nehmen wir sehr visuelle Symptome, wie PTBS-Flashbacks, und lassen Menschen diese im Veränderungsmodus abrufen, und sie dann eine deutlich visuelle Aufgabe erledigen, wie Tetris spielen. Dadurch wird die Integration störender Informationen ins Gedächtnis ermöglicht, bis sie letztlich bedeutungslos werden. Soweit die Theorie, belegt durch die Daten gesunder Probanden. Unsere Probanden sahen äußerst unschöne Filme an -- beispielsweise Augen-OP's, Verkehrsunfälle oder Scorseses "The Big Shave". Diese Filme lösen bei gesunden Probanden etwa eine Woche lang Flashbacks aus. Fordert man Menschen auf, diese Erinnerungen abzurufen, die schlimmsten Momente dieser unerfreulichen Filme, und lässt sie dabei gleichzeitig Tetris spielen, mindert sich die Häufigkeit von Flashbacks erheblich. Zur Erinnerung: Erinnerungen müssen hierzu im Änderungsmodus sein. Meine Mitarbeiter untersuchten daraufhin klinische Gruppen. Sie untersuchten Überlebende von Straßenverkehrsunfällen und Mütter mit Notkaiserschnitten, also Traumata, die häufig PTBS auslösen, und stellten in beiden klinischen Fällen eine Reduzierung der Symptomatik fest. Auch wenn es also noch viel zu erforschen und optimieren gibt, sind diese die Erinnerung auslöschenden Behandlungen vielversprechend zur Behandlung psychischer Störungen wie PTBS. Vielleicht müssen Traumata keine Höllen ohne Entkommen sein. Ich glaube, dieser Behandlungsansatz erlaubt denen, die dazu bereit sind, ein dunkles Lebenskapitel abzuschließen, das sie am liebsten nie erlebt hätten und so ihre psychische Gesundheit zu verbessern. Vielen Dank. (Applaus)