(Ap­plaus) Wenn ihr in die Stadt geht und das Bedürfnis habt neue Menschen kennen zu lernen, etwas neues zu sehen, wo geht ihr dann hin? Oder wenn ihr Lust habt euren Feierabend zu genießen, ohne Geld dabei ausgeben zu müssen? Geht ihr dann vielleicht hier hin? Okay, zugegeben, dieser Ort sieht nicht unbedingt nach Austausch und Vielfalt aus. Es ist ein Parkplatz unter einer Autobrücke. LKWs und Autos donnern einem hier über den Kopf, es ist düster, riecht unangenehm, also der perfekte Ort für einen Parkplatz. Direkt nebenan hat gerade eine Shopping Mall eröffnet. Da ist es natürlich viel heller und freundlicher. Aber vor allem hat sie auch eine riesige Tiefgarage. Direkt neben dem Parkplatz. Also werden die Parkplätze eigentlich gar nicht mehr gebraucht. Die Stadt ist Lebensraum. Für mich, für uns Stadtlücken und für viele von euch. Wir haben hier unsere Wohnungen, unsere Freunde und Jobs. Wir verbringen die größte Zeit unseres Lebens hier. Aber es wird auch immer enger in der Stadt. Die Mieten steigen, das Leben und Wohnen wird immer teuerer. Man muss nehmen, was einem angeboten wird und meistens zu viel dafür bezahlen. Ein Parkplatz wie dieser hier, der gar nicht als Parkplatz gebrauch wird, ist ein Restraum. Er ist nicht sonderlich schön, aber deshalb auch unauffällig. und noch keiner Spekulation zum Opfer gefallen. Er ist eine Lücke. Eine Lücke mitten in der Stadt. Und genau hier könnt ihr hinkommen. Wann immer ihr Lust habt. Zum Tischtennis spielen mit Freunden, oder auf einen Espresso auf Spendenbasis und um einfach dort zu sein mit anderen Leuten die einfach dort sind. Manchmal könnt ihr auch zu einem Konzert kommen, euch einfach dazustellen und kostenlos zuhören. Egal, ob ihr das lange geplant habt, oder gerade zufällig vorbeikommt. Wenn ihr selbst Musik macht, könnt ihr hier auch einmal auftreten. Ansonsten gibt es ab und zu gemeinsame Abendessen, oder Chorproben, wo man sich ungezwungen dazustellen und mitsingen kann. Jede Woche geschieht etwas anderes. Aber warum? Was passiert hier? Und was ist aus den Parkplätzen geworden? Dafür müssen wir kurz ein paar Jahrzehnte zurückspringen. In den 1990er Jahren gab es einen großen Trend zur Privatisierung. Gebäude und Freiräume die in Besitz der Kommunen waren, wurden damals meistbietend verkauft. Seit dem liegt das Mitspracherecht für diese Räume bei diesen Käufern, diesen wenigen und ihren privaten Interessen. Aber wem gehört die Stadt eigentlich? Diesen wenigen, oder nicht doch eigentlich uns allen? In Hand der Städte geblieben sind die Infrastrukturen – Straßen. Und damit auch diese Fläche hier unter der Straße. Dieser Platz hier gehört also der Stadt, damit uns allen, er ist mitten im Stadtzentrum, und hat im Gegensatz zu den meisten anderen Freiräumen ein Dach. Aber trotzdem wurde dieser Raum von kaum jemandem wahrgenommen, bis dort plötzlich und ungefragt ein Souvenirshop aufgetaucht ist. Mit Souvenirs von einem Ort, den es so eigentlich gar nicht gab. Ein Shop, der fragt, wo dieser Platz eigentlich ist? Fragen hatten vor allem auch Passanten die vorbeikamen. Was will man an so einem Ort überhaupt? Gute Frage. Uns ging es gar nicht so sehr darum Antworten zu geben, sondern vielmehr darum, Möglichkeiten aufzuzeigen. Bilder wie dieses hier haben Aufmerksamkeit erregt. Es sind Bilder, die von der Zeitung abgedruckt werden konnten, Bilder die wir in eine Ausstellung ins Rathaus tragen konnten, dem Gemeinderat zeigen, um zu fragen, ob das hier wirklich ein Parkplatz sein muss, oder nicht viel mehr ein Ort für Menschen sein sollte. Und tatsächlich, der Gemeinderat, in dem sich normalerweise alle Parteien gegenseitig das Leben schwer machen, war sich plötzlich einig und hat unserem Vorschlag einstimmig zugestimmt. Die Autos kamen weg und dafür kamen wir Stadtlücken. Für zwei Jahre wurde die Fläche offiziell an unseren Verein verpachtet. Unser Anliegen war es hier ganz viel neuen Raum für Möglichkeiten zu schaffen. Das bedeutet erstmal ihn wieder zugänglich zu machen, einen öffentlichen Raum für Begegnung und Austausch zu schaffen. Einen konsumfreien Ort mitten in der Stadt, der allen immer zugänglich ist. Aber wir wollten in diesen zwei Jahren auch der Stadt zeigen, welche Potenziale noch an so einem Ort versteckt sein können. Und das sollten nicht nur wir Stadtlücken sein, sondern wir alle die in dieser Stadt leben. Aus dem Parkplatz sollte ein Experimentierfeld werden. Ein Experimentierfeld auf dem alle Vereine, Initiativen, und engagierte Einzelne aktiv werden können und ihre Ideen für den öffentlichen Raum ausprobieren können. Es sollte für alle Ideen einen Raum geben. Es sollte räumlich gestaltet werden können, wie hier, und bis zum gemeinsamen Kochen geretteter Lebensmittel alles passieren können. So sollte eine Plattform entstehen, die Vielfalt zulässt und Anreize schafft selbst aktiv zu werden. Um so gemeinsam rauszufinden, was diesen Ort und unsere Stadt langfristig lebenswerter macht. Das war unsere Vision. Aber wie wird aus einem Parkplatz ganz konkret ein Experimentierfeld? So genau wussten wir das auch nicht, aber wir haben einfach mal angefangen und sauber gemacht. Bevor das letzte Auto vom Platz rollte haben wir bereits nass ausgewischt. Dafür braucht man Wasser. Aber wo kommt es her? Wir haben es von einem Nachbarn bekommen, der uns uns einfach den Schlüssel für den Hahn an seiner Außenfassade anvertraute. Der saubere Platz braucht als nächstes eine Grafik, damit auch jeder sieht, dass aus dem Parkplatz etwas Neues entsteht, öffentlicher Raum wird. Am besten nutzt man ganz viel Farbe, um durch die Grafik diesen düsteren Ort heller und freundlicher zu machen. Der neu gestaltete Ort muss dann auch digital werden. Er braucht eine Website und digtiale Medienpräsenz, um die Idee des Ortes zu verbreiten und damit neue Ideen an den Platz zu holen. Im öffentlichen Raum möchte man sich sicher mal setzen. Um Möbel dafür zu bauen, braucht es Werkzeuge. Zum Beispiel Akkuschrauber. Um diese aufladen zu können, braucht es Strom. So banal wie es klingt, ein Stromkasten, der hinter einer der Säulen neu für uns installiert wurde, ist ein bisschen das Herz des Platzes geworden. Erst mit ihm konnten wir die Möbel bauen, die man im öffentlichen Raum möchte, aber vor allem auch die meisten Experimente erst ermöglichen. Strom braucht man heute für fast alles: Etwa für W-LAN, oder Mikrofone, damit man auch in der letzten Reihe hört, was vorne gesprochen wird. Oder auch für Kaffeemaschinen und Hüpfburgpumpen. Für alle möglichen Anlässe braucht es Strom. Vor allem natürlich auch für Licht. Licht für besondere Anlässe und damit man abends einander noch erkennen kann. Und damit man nach dem Sommerkino, wenn die Veranstaltungen vorbei sind, man auf dem Weg nach Hause nicht über die Bordsteinkante stolpert. Für das alles braucht es Geld. Für unser Experimentierfeld kam es von der Stadt. Um genau zu sein wurde der konsumfreie Ort von der Wirtschaftsförderung gefördert. Mit 80.000 € für zwei Jahre Experimentierfeld. Natürlich war es auch nicht immer ganz einfach. Unbezahlt blieb die ehrenamtliche Arbeit aller Beteiligten an dem Projekt. Und wie immer, wenn viele Menschen beteiligt sind, gab es sehr viel auszuhandeln. Zum Beispiel mit den Nachbarn -- vor allem über die Lautstärke. Oder was ist eigentlich mit den Obdachlosen und Substituierten, für die der Platz schon lange zuvor eine Art Wohnzimmer war, bevor wir Stadtlücken alle anderen eingeladen haben? Finden sie vielleicht auch einen neuen Platz an diesem Ort? Viel Klärungsbedarf gab es auch mit der Stadt. Öffentlicher Raum hat keine eindeutige Zugehörigkeit innehalb der Stadtverwaltung, sondern ganz viele. In unser Projekt involviert war die Wirtschaftsförderung, das Tiefbauamt, die Bezirksbeiräte und viele mehr. Und auch in der Verwaltung wusste niemand so richtig wie so ein Experimentierfeld funktionieren sollte. So etwas gab es noch nie. Aber der politische Wille war da und daher wurde ein runder Tisch ins Leben gerufen. Ein runder Tisch, an dem das erste Mal alle Beteiligten zusammen saßen, um Ideen zu entwickeln, wie verwaltungstechnisch und rechtlich so ein Experiment funktionieren könnte. Ein Beispiel: Normalerweise muss jede Veranstaltung im öffentlichen Raum angemeldet und genehmigt werden – Monate im Voraus. Als Veranstaltung zählt schon, wenn wir ein Tisch rausstellen und Kaffee ausschenken. Das ist natürlich ein Problem. Die Lösung war am Ende eine besondere Generalgenehmigung für diesen Ort und diese zwei Jahre. Eine andere Frage ist die der Versicherung. Damit will man gar nicht erst anfangen. Jeder weiß, wie kompliziert schon die eigene Haftpflichtversicherung sein kann. Aber was ist, wenn man einen öffentlichen Raum versichern muss mit einer immer zugänglichen Kletterwand? Oder welche Auflagen hat ein ganz neues Stadtmöbel, in dem Lebensmittel gekocht und gelagert und sogar geschlafen werden kann? Wer ist verantwortlich und haftet, wenn etwas passiert? Von einer Hochzeit bis zum Herzstillstand haben wir alles an diesem Ort erlebt. Für alles das passiert, tragen wir die Verantwortung und unsere Vereinsversicherung. Zu dieser Verantwortung kamen 15.000 Mails, Posts, analoge Briefe und Plakate, über 2.000 Belege und Kassenbons, einzeln abgeheftet, 12 runde Tische im Rathaus und unzählige Gespräche mit Anwohnern, Ideengebern, Ämtern und Initiatoren. Ein unglaublicher Verwaltungsaufwand, der all das erst möglich macht. Aber kann uns muss das eigentlich wirklich vom Ehrenamt getragen werden? Bräuchte es nicht eine neue Instanz, die sich genau diesen rechtlichen und haftungstechnsichen Fragen widmet, runde Tische organisiert und damit zu einer Schnittstelle wird zwischen bürgerlichem Engagement und der Stadtbürokratie? Braucht es nicht vielleicht ein neues Amt für öffentlichen Raum? Gerade wenn man solche Orte verbreiten will? Das Experimentierfeld hat auf jeden Fall gezeigt, dass es ein enormes Bedürfnis gibt, in der Stadt aktiv zu werden. Hinter jeder dieser Ideen steckt jemand anderes, der sich dafür eingesetzt hat. Der Platz ist Ursprung und Anker geworden für unzählige Projekte und Initiativen. Und genau das soll er auch bleiben. So wie wir Stadtlücken gemeinsam mit der Stadtverwaltung, den Menschen vor Ort und den Initiativen den Platz so möglich gemacht haben, braucht es alle dabei, um langfristig einen Ort für alle zu schaffen. Deshalb soll nun aus der Lücke ein "Kooperativer Stadtraum" werden. Kooperativer Stadtraum, der von verschiedensten Vereinen und Initiativen, unter gemeinützigen Aspekten verwaltet und organisiert wird und so auch allen anderen zugänglich gemacht wird. Die Stadtverwaltung hat sich aus der Komfortzone gewagt und ist bereit eine weitere Entwicklung des Ortes zu begleiten in Kooperation mit neuen Initiativen, die hier langfristig mitgestalten wollen. Wir Stadtlücken treffen uns jeden Mittwoch. in den vergangenen zwei Jahren vor allem, um all die Anfragen und Herausforderungen rund um den Platz zu besprechen. Wir telefonieren so lange mit Versicherungssachbearbeitern bis ein Vertrag unterschrieben ist, mit dem wir alle gut schlafen können. Wir beantworten Mails von verärgerten Nachbarn, wenn die Chorprobe wieder zu laut war. Wir sind am Platz und putzen und erklären Passanten, wie sie sich einbringen können. Wir machen all das, um Experimente möglich zu machen, um Neues auszuprobieren und neue Ideen zu entwickeln, was wir in unserer Stadt langfristig haben wollen. Und vor allem machen wir das, weil es uns Spaß macht. Wir werden morgen wieder in unserer Lücke sein, werden hier Popcorn ausgeben, das Sommerkino ansehen und danach die Leinwand wieder abbauen, damit die Nächsten hier etwas enstehen lassen können. Diese Lücke ist schließlich nicht die Einzige. Man findet sie überall in jeder Stadt. Wir werden uns jetzt eine neue Lücke suchen, die uns Spaß macht. Und vielleicht kennt ihr auch eine Lücke in der ihr Lust habt, neue Ideen zu entwickeln. Die Stadt gehört schließlich uns allen! (Ap­plaus)