Ich möchte Ihnen ein aufstrebendes
Wissenschaftsgebiet vorstellen,
das noch spekulativ,
aber unglaublich spannend ist
und stetig an Bedeutung gewinnt.
Die Quantenbiologie
stellt die einfache Frage,
ob die Quantenmechanik --
diese seltsame, wundervolle
und weitreichende Theorie
über die subatomare Welt
der Atome und Moleküle,
auf die sich vieles in der heutigen
Physik und Chemie stützt --
auch in lebenden Zellen eine Rolle spielt.
Anders gefragt: Gibt es Prozesse,
Mechanismen oder Phänomene
in lebenden Organismen,
die nur durch Quantenmechanik
erklärbar sind?
Quantenbiologie ist nicht neu.
Es gibt sie seit Anfang der 1930er Jahre.
Aber erst im letzten Jahrzehnt
wurden durch sorgfältige Experimente
in biochemischen Laboren
mittels der Spektroskopie
handfeste Beweise für bestimmte
Mechanismen gefunden,
die nur quantenmechanisch
zu erklären sind.
Die Quantenbiologie
führt Quantenphysiker, Biochemiker
und Molekularbiologen zusammen --
sie ist sehr interdisziplinär.
Ich komme aus der Quantenphysik,
bin also Kernphysiker.
Ich habe über drei Jahrzehnte versucht,
die Quantenmechanik zu verstehen.
Niels Bohr, einer ihrer Gründer, sagte:
"Wenn sie einen nicht staunen lässt,
hat man sie nicht verstanden."
Ich bin froh, dass ich
immer noch darüber staune.
Das ist ein gutes Zeichen.
Aber es bedeutet, die winzigsten Gebilde
des Universums zu untersuchen --
die Bausteine der Realität.
Um deren Größe zu einzuschätzen,
denken Sie an etwas Alltägliches,
wie einen Tennisball,
und gehen zur nächst
kleineren Größenordnung:
Von einem Nadelkopf, zu einer Zelle,
zu einem Bakterium, bis zu einem Enzym.
Bald darauf kommt die Nanowelt.
Von Nanotechnologie
haben Sie vielleicht gehört.
Ein Nanometer ist ein Milliardstel Meter.
Mein Gebiet ist der Atomkern --
der winzige Punkt innerhalb des Atoms.
Der ist noch eine Stufe kleiner.
Das ist das Gebiet der Quantenmechanik,
an das sich Physiker und Chemiker
seit langem heran tasten.
Die Biologen, andererseits, haben sich
in meinen Augen etwas abgewandt.
Sie sind zufrieden mit ihren
Ball-und-Stäbchen-Molekül-Modellen.
(Lachen)
Die Bälle sind Atome,
die Stäbe deren Verbindungen.
Was sie nicht im Labor nachbauen können,
erledigen heute leistungsstarke Computer,
die riesige Moleküle simulieren können.
Das ist ein Protein,
das aus 100 000 Atomen besteht.
Man braucht keine Quantenmechanik,
um es zu erklären.
Die Quantenmechanik wurde
in den 1920ern entwickelt,
als eine Reihe schöner und mächtiger
mathematischer Regeln und Konzepte,
die die Welt im ganz Kleinen erklären.
Sie unterscheidet sich sehr
von unserer alltäglichen Welt,
mit ihren Billionen von Atomen.
Es ist eine Welt, die auf
Wahrscheinlichkeit und Zufall basiert --
verschwommen und voller Phantome.
In ihr können sich Teilchen
wie sich ausbreitende Wellen verhalten.
Wenn wir Quantenmechanik
oder Quantenphysik
als Grundlage der Realität verstehen,
liegt die Behauptung nahe,
die organische Chemie
fuße auf der Quantenphysik,
weil sie die Regeln vorgibt,
nach denen sich Atome
zu organischen Molekülen formen.
Organische Chemie ergibt,
um einige Stufen komplexer
die Molekularbiologie,
die zum Leben selbst führt.
So gesehen liegt die Behauptung nahe.
Sie sagen: "Okay, letztlich basiert
das Leben auf Quantenmechanik."
Aber alles andere tut das auch.
Auch die unbewegte Materie,
die aus Billionen von Atomen besteht.
Letztlich stößt man auf die Quantenebene,
wo man in diese Eigenartigkeit
eintauchen muss.
Aber im Alltag können wir
das vernachlässigen,
denn sobald man Billionen
von Atomen zusammensetzt,
verliert sich diese Quanten-Eigenart.
Darum geht es in der
Quantenbiologie nicht.
Sie ist nicht so offensichtlich.
Gewiss fußt das Leben im molekularen
Bereich auf Quantenmechanik.
In der Quantenbiologie
sucht man nach Auffälligkeiten,
nach ungeahnten Konzepten
in der Quantenmechanik,
um zu sehen, ob sie wirklich
eine bedeutende Rolle
für die Darstellung
der Lebensabläufe spielen.
Hier ist ein perfektes Beispiel dafür,
wie ungeahnt sich die Quantenwelt verhält:
der Quanten-Skifahrer.
Er scheint intakt
und bei bester Gesundheit,
obwohl er scheinbar auf beiden Seiten
des Baumes vorbeigefahren ist.
Beim Anblick einer solchen Spur
denkt man wahrscheinlich an einen Stunt.
Aber in der Quantenwelt
passiert das ständig.
Teilchen können
mehrere Dinge gleichzeitig tun
und an zwei Orten gleichzeitig sein.
Sie können sich wie
sich ausbreitende Wellen verhalten.
Es ist beinahe magisch.
Physiker und Chemiker
haben sich fast ein Jahrhundert
an dieser Eigenartigkeit versucht.
Ich halte den Biologen nicht vor,
dass sie sich die Quantenmechanik
nicht aneignen wollten oder mussten;
denn diese Eigenartigkeit ist sehr heikel.
Wir Physiker tun alles,
um sie in Laboren aufrecht zu erhalten:
Wir kühlen unsere Systeme fast
auf den absoluten Nullpunkt,
machen Experimente im Vakuum
und versuchen, jede äußere
Störung auszuschließen.
Das warme, chaotische und laute Milieu
einer lebenden Zelle ist ganz anders.
Die Molekularbiologie
hat die Lebensprozesse
im Hinblick auf chemische Reaktionen
scheinbar sehr gut beschrieben;
reduktionistische, deterministische
chemische Reaktionen,
die zeigen, dass das Lebendige
aus dem selben Stoff wie alles andere ist.
Und wenn Quantenmechanik
in der Makro-Welt unwichtig ist,
dann auch in der Biologie.
Es gab einen Mann,
der anderer Meinung war:
Erwin Schrödinger,
bekannt durch Schrödingers Katze,
ein österreichischer Wissenschaftler
und Mitgründer der Quantenmechanik
in den 1920ern.
1944 schrieb er das Buch "Was ist Leben?",
das enorm einflussreich war.
Es beeinflusste Francis Crick
und James Watson,
die Entdecker der
Doppelhelix-Struktur der DNS.
In seinem Buch schreibt er:
"Auf molekularer Ebene
haben lebende Organismen
eine bestimmte Struktur,
die ganz anders ist
als das thermodynamische Gerangel
von Atomen und Molekülen
in unbelebter Materie
von gleicher Komplexität.
Lebendige Materie scheint sich
nach einem Prinzip zu verhalten,
so wie unbelebte Materie
sich auf beinahe 0 herunterkühlt,
wenn Quanteneffekte
eine wichtige Rolle spielen.
Die Struktur in einer lebendigen Zelle
hat etwas Besonderes."
Also spekulierte Schrödinger,
dass die Quantenmechanik
für das Leben eine Rolle spielen könnte.
Das ist ein sehr spekulativer,
weitreichender Gedanke,
den er nicht sehr weit ausgeführt hat.
Doch wie gesagt:
Es gab in den letzten zehn Jahren
vermehrt Experimente,
die nahelegen, dass
bestimmte Phänomene in der Biologie
auf Quantenmechanik fußen.
Ich zeige Ihnen nur die spannendsten.
Der Tunneleffekt ist eines der
bekanntesten Phänomene der Quantenwelt.
Im linken Kasten sieht man
die wellenartige Ausbreitung
einer Quanten-Erscheinung;
eines Teilchens wie ein Elektron.
Das ist kein Ball,
der gegen eine Wand prallt,
sondern eine Welle, die mit einer
bestimmten Wahrscheinlichkeit,
wie ein Geist eine feste Wand passiert
und gegenüber auftaucht.
Man sieht einen blassen Lichtfleck
im rechten Kasten.
Der Tunneleffekt beschreibt, dass ein
Teilchen auf eine feste Wand stoßen kann
und wie durch Magie
auf einer Seite verschwindet
und gegenüber auftaucht.
Um einen Ball über eine Mauer zu werfen,
muss man genug Kraft investieren,
damit er darüber fliegt.
In der Quanten-Welt reicht es,
ihn dagegen zu werfen
und er verschwindet mit einer Chance, die
größer als Null ist, auf der einen Seite
und erscheint auf der anderen.
Das ist keine Spekulation.
Wir sind froh ...
Nein, "froh" trifft es nicht ganz.
(Lachen)
Es ist uns vertraut.
(Lachen)
Tunneleffekte passieren ständig.
Sie sind der Grund,
dass die Sonne scheint.
Teilchen verschmelzen
und die Sonne verwandelt durch
den Tunneleffekt Wasserstoff in Helium.
In den 70er und 80er Jahren
beobachtete man den Tunneleffekt
auch in lebenden Zellen.
Enzyme sind Arbeitstiere des Lebens,
Katalysatoren chemischer Reaktionen;
Biomoleküle, die chemische Reaktionen
in lebenden Zellen beschleunigen --
um viele Größenordnungen.
Es war immer ein Mysterium,
wie sie das tun.
Man fand heraus,
dass einer der von Enzymen
entwickelten Tricks ist,
subatomare Teilchen wie
Elektronen und sogar Protonen
per Tunneleffekt von einem Teil
des Moleküls zum anderen zu bringen.
Das ist effizient, schnell
und es kann verschwinden ...
Ein Proton kann kann hier
verschwinden und dort auftauchen;
Enzyme helfen dabei.
Das wurde in den 80ern erforscht,
insbesondere von einer Gruppe
um Judith Klinman in Berkeley.
Andere Gruppen in Großbritannien
haben nun bestätigt,
dass Enzyme das wirklich tun.
Die Forschung meiner Gruppe ...
Ich bin, wie gesagt, Kernphysiker
und fand heraus, dass ich
das nötige Werkzeug habe,
um Quantenmechanik
auf Atomkerne anzuwenden,
und sie auch in anderen
Bereichen einsetzen kann.
Wir fragten uns,
ob der Tunneleffekt
bei DNS-Mutationen eine Rolle spielt.
Diese Frage ist nicht neu, sie geht
auf Anfang der 60er Jahre zurück.
Die beiden Stränge der DNS,
die Doppelhelix-Struktur,
sind durch Sprossen verbunden --
wie eine verdrehte Leiter.
Diese Leitersprossen
sind Wasserstoffbrücken,
Protonen, die beide Stränge
wie Leim zusammenhalten.
Bei näherem Hinsehen zeigt sich,
dass sie die großen Moleküle,
die Nukleotide, zusammenhalten.
Gehen wir noch näher heran.
Dies ist eine Computersimulation.
Die beiden weißen Bälle
in der Mitte sind Protonen,
die eine doppelte
Wasserstoffbrücke bilden.
Eines bevorzugt die eine,
eines die andere Seite der Stränge;
der beiden vertikalen Linien,
die gerade nicht sichtbar sind.
Manchmal springen Protonen über.
Beachten Sie die weißen Bälle.
Sie können die Seite wechseln.
Wenn die DNS-Stränge
sich trennen und replizieren,
und die beiden Protonen
am falschen Platz sitzen,
kann das zu einer Mutation führen.
Das weiß man seit etwa 50 Jahren.
Aber wie wahrscheinlich
ist dieser Vorgang
und was geht dabei vor sich?
Springen die beiden drüber,
wie der Ball über die Mauer?
Oder nutzen sie den Tunneleffekt,
selbst ohne genügend Energie?
Erste Anzeichen lassen
den Tunneleffekt möglich erscheinen.
Wir wissen nicht, wie wichtig er ist.
Diese Frage ist noch offen.
Sie ist spekulativ,
aber von enormer Tragweite.
Denn falls die Quantenmechanik
bei Mutationen mitwirkt,
bedeutet das sehr viel
für das Verständnis
bestimmter Mutationstypen,
vielleicht sogar derer,
die in einer Zelle Krebs auslösen.
Ein anderes Beispiel für Quantenmechanik
in der Biologie ist die Quantenkohärenz
in einem der wichtigsten
biologischen Prozesse:
Photosynthese -- Pflanzen und Bakterien
nehmen Sonnenlicht auf,
um mit dieser Energie, Biomasse zu bilden.
Mit der Quantenkohärenz nimmt man an,
dass Quantenobjekte
mehrere Dinge zugleich tun.
Wie der Quanten-Skifahrer:
ein Objekt, das sich
wie eine Welle verhält,
sich also nicht einfach
nach da oder dort bewegt,
sondern mehreren Wegen
gleichzeitig folgen kann.
Vor einigen Jahren
war die Wissenschaft geschockt,
als eine Arbeit veröffentlicht wurde,
die experimentell nachwies,
dass Quantenkohärenz
in lebenden Bakterien vorkommt,
wo sie Photosynthese bewirkt.
Danach wird das Photon,
das Lichtteilchen, das Sonnenlicht,
das von einem Chlorophyll-Molekül
eingefangene Quantum Licht,
in ein Reaktionszentrum weitergeleitet,
zur Umwandlung in chemische Energie.
Dahin gelangt es nicht nur auf einem Weg,
sondern auf mehreren gleichzeitig,
um das Reaktionszentrum
möglichst effizient zu erreichen,
ohne etwa Wärme zu vergeuden.
Quantenkohärenz in einer lebenden Zelle --
eine außerordentliche Vorstellung,
und dennoch erscheinen
fast wöchentlich neue Arbeiten,
die belegen, dass dem wirklich so ist.
Mein drittes und letztes Beispiel
ist eine wunderschöne Vorstellung;
auch noch sehr spekulativ,
aber ich muss es Ihnen einfach erzählen.
Das Rotkehlchen zieht jeden Herbst
von Skandinavien in den Mittelmeerraum.
Wie viele Meerestiere und sogar Insekten
orientiert es sich dabei
am Magnetfeld der Erde.
Dieses Magnetfeld ist sehr schwach:
100-mal schwächer
als ein Kühlschrankmagnet.
Und dennoch beeinflusst es
die Chemie eines Lebewesens.
Das steht außer Frage.
Ein deutsches Paar von Ornithologen,
Wolfgang und Roswitha Wiltscko,
bestätigten in den 70er Jahren,
dass sich das Rotkehlchen
wirklich auf das Erdmagnetfeld
als Richtungsweiser verlässt --
ein eingebauter Kompass.
Nur wusste man nicht, wie das geschah.
Wir haben nur eine einzige Theorie --
wir wissen nicht, ob sie richtig ist --
die besagt, dass es durch die sogenannte
Quantenverschränkung passiert.
In der Netzhaut des Rotkehlchens --
das ist kein Witz -- in seiner Netzhaut
gibt es ein Protein namens Cryptochrom,
das lichtsensibel ist,
und in dem es ein quantenmechanisch
verschränktes Elektronenpaar gibt.
Bei einer Quantenverschränkung
sind zwei Teilchen weit auseinander
und doch miteinander verbunden.
Sogar Einstein gefiel das nicht.
Er nannte es "spukhafte Fernwirkung".
(Lachen)
Wenn Einstein sich dabei unwohl fühlte,
dürfen wir das auch.
Zwei verschränkte Elektronen
in einem Molekül
tanzen einen grazilen Tanz,
der den Ausschlag gibt,
wohin der Vogel im Erdmagnetfeld fliegt.
Wir wissen nicht,
ob die Erklärung richtig ist,
aber wäre es nicht spannend,
wenn die Quantenmechanik
den Vögeln beim Navigieren hilft?
Die Quantenbiologie steckt noch
in den Kinderschuhen.
Sie ist immer noch spekulativ,
aber ich glaube, dass sie auf
stichhaltiger Wissenschaft basiert.
Ich glaube auch, dass wir
im kommenden Jahrzehnt
mehr und mehr entdecken werden,
dass sie das Leben durchdringt;
dass das Leben Tricks entwickelt hat,
die die Quantenwelt nutzt.
Haben Sie ein Auge darauf.
Vielen Dank.
(Applaus)