Ein klassisches, altbekanntes philosophisches Rätsel lautet: "Wenn im Wald ein Baum umfällt und niemand ist dort, der es hören könnte, gibt es dann trotzdem ein Geräusch?" Wissenschaftlich betrachtet verursacht ein Baum Wellen in der Luft, aber um ein Geräusch zu erzeugen, braucht es ein Ohr, das dieses hört. Meine Frage lautet: Wenn jemand spricht, z. B. während eines TEDTalks, aber niemand hört zu, ist das dann noch Kommunikation? Meiner Meinung nach ist Zuhören die fehlende Hälfte der Kommunikation. Es ist unbedingt notwendig, wird aber selten berücksichtigt. Wir nennen unser Zeitalter das Zeitalter der Kommunikation. All die Handys, SMS, Tweets und E-Mails bedeuten natürlich viele Gespräche, aber wie viel wird wirklich zugehört bei all der Unterbrechung und Ablenkung? Meine Leidenschaft der letzten 30 Jahre war es, Menschen in schwierigen Verhandlungen zu einem "Ja" zu verhelfen: von Familienfehden bis hin zu Kämpfen in der Chefetage, von Arbeitsstreiks bis hin zu Bürgerkriegen. Überall wird viel gesprochen, aber selten wirklich zugehört. Wir denken, dass es bei Verhandlungen ums Sprechen geht. In Wirklichkeit geht es aber ums Zuhören. Erfolgreiche Vermittler hören viel mehr zu, als dass sie sprechen. Schließlich haben wir nicht ohne Grund zwei Ohren und nur einen Mund. Wir sollten mindestens zweimal soviel zuhören wie sprechen. Warum ist Zuhören so wichtig? Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen: Vor ein paar Jahren war ich in Venezuela und vermittelte zwischen der Regierung und der politischen Opposition. Es war eine Zeit heftiger Konflikte und viele Menschen befürchteten einen Bürgerkrieg. Mein Kollege Francisco Diaz und ich hatten um 21 Uhr einen Termin mit dem Präsidenten Hugo Chavez im Präsidentenpalast. Endlich, um Mitternacht, brachte man uns zum Präsidenten, der seinen gesamten Ministerrat hinter sich aufgestellt hatte. Er fragte mich: "Also, Ury, was denken Sie über die derzeitige Situation im Land?" Ich antwortete: "Herr Präsident, ich habe mit den Ministern gesprochen, und auch mit der Opposition. Ich denke, dass Sie Fortschritte machen." "Fortschritte? Was meinen Sie mit Fortschritte?", schrie er. "Sie müssen blind sein! Sie sehen all die faulen Tricks nicht, die diese Verräter planen." Er kam ganz nah und schrie mir ins Gesicht. Was sollte ich tun? Natürlich wollte ich mich verteidigen, aber was würde mir ein Streit mit dem venezolanischen Präsidenten bringen? (Gelächter) Wie sollte das den Frieden voranbringen? Also hörte ich einfach zu und schenkte ihm meine volle Aufmerksamkeit. Ich hörte mir seinen Standpunkt an. Präsident Chavez war bekannt, ja berühmt, für seine achtstündigen Reden, aber nach 30 Minuten, in denen ich nur nickte und zuhörte, sah ich seine Schultern langsam sinken. Er klang völlig erschöpft, als er sagte: "Also, Ury, was soll ich tun?" So klingt ein menschlicher Geist, der sich fürs Zuhören öffnet. Ich antwortete ihm: "Herr Präsident, es ist fast Weihnachten. Das Land braucht eine Pause. Letztes Jahr wurden alle Feierlichkeiten wegen des Konfliktes abgesagt. Warum schlagen Sie diesmal nicht einen Waffenstillstand vor, sodass die Menschen die Feiertage mit ihren Familien verbringen können? Danach werden vielleicht alle besser gestimmt sein um zuzuhören." Er sagte: "Das ist eine großartige Idee. In meiner nächsten Rede werde ich es bekanntgeben." Seine Stimmung hatte sich total verändert. Ganz einfach durch die Kraft des Zuhörens. Weil ich ihm zugehört hatte, war er eher bereit mir zuzuhören. Es gibt mindestens drei wichtige Gründe, warum es bei Verhandlungen oder Konflikten immer wichtig ist zuzuhören. Erstens, weil es uns hilft die andere Seite zu verstehen. Verhandeln bedeutet letztendlich, sich im Beeinflussen zu üben. Sie versuchen schließlich die Meinung des anderen zu verändern. Wie glauben Sie dies erreichen zu können, wenn Sie seine Meinung nicht kennen? Zuhören ist der Schlüssel. Der zweite Grund ist genauso wichtig: Zuhören verbindet. Es hilft ein gutes Verhältnis aufzubauen, schafft Vertrauen, zeigt Interesse. Am Ende wollen wir alle gehört werden. Der dritte Grund ist, so wie bei Präsident Chavez, dass, wenn wir zuhören, uns wahrscheinlich auch der andere zuhören wird. Es hilft, ein "Ja" zu bekommen. Kurz gesagt: Zuhören könnte das günstigste Zugeständnis sein, das wir in Verhandlungen machen können. Es kostet uns nichts und bringt uns gewaltige Vorteile. Zuhören könnte der goldene Schlüssel zum Tor der menschlichen Beziehungen sein. Wie hört man zu? Oft betrachten wir Zuhören als selbstverständlich, als einfach und natürlich. Aber in Wirklichkeit, zumindest meiner Erfahrung nach, muss wahres, aufrichtiges Zuhören gelernt und jeden Tag geübt werden. Gewöhnlich hören wir beim Zuhören die Wörter. Wir fragen uns: "Wo stimme ich zu? Wo muss ich widersprechen? Was werde ich antworten?" Mit anderen Worten: Wir stehen im Fokus. Wenn wir jedoch aufrichtig zuhören, steht der andere im Mittelpunkt. Wir versetzen uns in den anderen hinein, begeben uns auf seine Wellenlänge. Wir sehen die Dinge mit seinen Augen, nicht bloß mit unseren. Das ist nicht leicht. Wenn wir aufrichtig zuhören, hören wir nicht nur, was gesagt wird, sondern auch, was nicht gesagt wird. Wir hören nicht nur die Wörter, sondern auch, was dahinter steckt. Wir horchen auf die Emotionen, Gefühle und Bedürfnisse dahinter. Wir horchen auf das, was die andere Person wirklich braucht oder möchte. Ich werde Ihnen ein Beispiel nennen. Vor ungefähr anderthalb Jahren wurde ich eingeladen, einem brasilianischen Privatunternehmer namens Abilio Diniz zu helfen, der in einem gigantischen Rechtsstreit mit seinem französischen Geschäftspartner über die Kontrolle des größten brasilianischen Einzelhändlers festsaß. Die Financial Times nannte es "das wahrscheinlich größte kontinenteübergreifende Kräftemessen eines Vorstandes in der jüngeren Geschichte". Es dauerte schon zweieinhalb Jahre und war ungeheuer kostspielig und stressig, nicht nur für beide Parteien, sondern auch für ihre Familien und die 150 000 Mitarbeiter des Unternehmens. Als ich mich mit Abilio in seinem Haus traf, hörte ich mir seine Geschichte an. Danach stellte ich ihm eine Frage: "Abilio, du musst mir helfen zu verstehen, was du wirklich willst." Er antwortete: "Ich möchte die Aktien zu einem bestimmten Preis, ich möchte die Hauptgeschäftsstelle, die Abschaffung der Wettbewerbsklausel ..." Er zählte alles auf. Aber während ich zuhörte, fiel mir etwas Tiefgründigeres, Unausgesprochenes auf. Also fragte ich ihn: "Abilio, du bist ein Mann, der alles zu haben scheint. Was werden dir diese Dinge bringen? Was ist dir am allerwichtigsten im Leben?" Er wurde einen Moment still und dachte über meine Frage nach. Schließlich sagte er: "Freiheit. Ich wünsche mir meine Freiheit. Ich möchte frei sein, damit ich meine beruflichen Träume verfolgen kann, damit ich Zeit mit meiner Familie verbringen kann." Das war es also. Ich hörte den Menschen hinter den Wörtern, nicht nur den Spitzengeschäftsmann. Als wir uns über seine tiefliegenden Bedürfnisse im Klaren waren, wurde die Verhandlung, trotz Herausforderungen, um einiges leichter. In nur 4 Tagen gelang es meinen Kollegen und mir, durch Zuhören der anderen Seite, diesen gigantischen Streit zu schlichten und zu einer für beide Seiten höchst zufriedenstellenden Einigung zu kommen. Abilio wurde im Laufe des Prozesses zum Freund und erzählte mir später: "Ich habe alles bekommen, was ich wollte. Aber vor allem habe ich mein Leben zurück." Wie ist das passiert? Ganz einfach durch die Kraft des Zuhörens. Wenn Zuhören so hilfreich ist, warum tut es dann nicht jeder? (Gelächter) Um ehrlich zu sein, es ist nicht leicht. Ich spreche aus eigener Erfahrung, denn manchmal merke ich, dass ich zwar in der Arbeit gut zugehört habe, aber meiner Frau danach zu Hause nicht so gut zuhöre. Es macht mich demütig, das sage ich Ihnen. Zuhören ist deshalb so schwierig, weil in unseren Köpfen so viel los ist. Es gibt so viel Lärm und Ablenkung, sodass wir nicht den gedanklichen und emotionalen Raum haben, um der anderen Seite wirklich zuzuhören. Wie können wir unsere Köpfe freimachen? Es mag eigenartig klingen, aber das Geheimnis ist, dass wir, um der anderen Seite zuzuhören, erst lernen müssen uns selbst zuzuhören. Beim Präsidenten Chavez hat es mir sehr geholfen, dass ich mir kurz zuvor ein paar Momente Ruhe gegönnt hatte, in denen ich aufmerksam beobachtete, was in mir vorging. Ich hörte mir selbst zu, um meinen Geist zu beruhigen. Als er dann anfing zu schreien, war ich vorbereitet. Ich merkte, dass meine Wangen rot wurden und ich die Zähne leicht zusammenbiss. Ich fühlte etwas Angst und Besorgnis. Weil ich meine Aufmerksamkeit auf diese Gefühle und Emotionen richtete, konnte ich sie loslassen und dadurch Präsident Chavez wirklich zuhören. Was, wenn wir uns vor einem wichtigen, heiklen oder sensiblen Gespräch ein paar Momente Stille gönnen würden, nur um uns auf die Situation einzustellen, und zu horchen, was in uns vorgeht? Ich glaube, wenn wir wirklich zuerst auf uns selbst hören würden, würde es uns viel leichter fallen anderen zuzuhören. Die Schlussfrage lautet: Wenn wir besser zuhören würden, welchen Unterschied würde dies in der Welt machen? Einen riesigen Unterschied, denke ich. Im Laufe meiner Mediationsarbeit wurde ich persönlich Zeuge der ungeheuren Folgen von Konflikten: den kaputten Beziehungen und Familien, den stressgeplagten Arbeitsplätzen, den ruinösen Rechtsstreitereien und den sinnlosen Kriegen. Mir fällt dabei immer auf, dass es in Wirklichkeit unsere größte Chance ist, einen Konflikt zu vermeiden, bevor er überhaupt beginnt. Wie können wir das bewerkstelligen? Es ist nicht leicht, aber man beginnt fast immer mit einem einfachen Schritt: Dem Zuhören. Dies ist mein Traum: eine Revolution des Zuhörens, die dieses Zeitalter der Kommunikation in ein Zeitalter des Zuhörens verwandelt. Anders gesagt, ein Zeitalter der wahren Kommunikation. Stellen Sie sich eine Welt vor, in der ein Kind von klein auf lernt zuzuhören. Was, wenn wir Zuhören in der Schule unterrichten würden, genau wie Lesen als Grundqualifikation? Schließlich heißt Zuhören doch, Menschen zu lesen. Stellen Sie sich eine Welt vor, in der Eltern lernen, ihren Kindern zuzuhören. Es gibt schließlich keine bessere Art, unseren Kindern das Zuhören beizubringen, als dadurch, ihnen selbst zuzuhören. Wie könnten wir unseren Kindern besser zeigen, wie wichtig sie für uns sind? Wie könnten wir ihnen besser unsere Liebe zeigen? Obendrein sähen wir vielleicht glücklichere Ehen und es gäbe weniger Scheidungen, weil Paare gelernt hätten, sich gegenseitig zuzuhören. Stellen Sie sich eine Welt vor, in der Anführer lernten, ihren Leuten zuzuhören. Was, wenn wir Führungskräfte aufgrund ihrer Fähigkeit zum Zuhören wählen würden, nicht nur weil sie gut reden können? Was, wenn Zuhören die Regel in unseren Organisationen wäre, und nicht nur die Ausnahme? Was, wenn wir im Radio und Fernsehen nicht nur Talkshows, sondern auch "Zuhörshows" hätten? (Gelächter) Was, wenn wir nicht nur Friedensgespräche, sondern auch "Friedenszuhörungen" hätten? Ich glaube fest daran, dass wir viel öfter zu einem "Ja" gelangen würden. Wir würden vielleicht nicht alle Konflikte beseitigen, aber wir würden viele Kämpfe und sogar Kriege vermeiden. Alle würden es besser haben, und ich wäre vielleicht, erfreulicherweise, arbeitslos. (Gelächter) Das ist mein Traum. Obwohl es vielleicht gewagt klingt, ist es gar nicht so kompliziert. Zuhören kann eine Kettenreaktion sein: Jeder, dem aufrichtig zugehört wird, wird auf natürliche Weise inspiriert, dem Nächsten zuzuhören. Zuhören kann ansteckend sein. Deshalb lade ich Sie ein, diese Kettenreaktion zu beginnen. Heute. Hier und Jetzt. In Ihrem nächsten Gespräch mit einem Kollegen oder Kunden, mit einem Partner oder Kind, mit einem Freund oder Fremden geben Sie ihm Ihre volle Aufmerksamkeit. Und hören Sie auf den Menschen hinter den Worten. Denn eines der größten Geschenke, das wir jemandem machen können, ist das Geschenk, gehört zu werden. Ganz einfach durch die Kraft des Zuhörens können wir unsere Beziehungen, unsere Familien und unsere Welt zum Besseren verändern, Ohr um Ohr. Vielen Dank fürs Zuhören! (Applaus)