[Der Vortrag enthält Erwachseneninhalte.
Diskretion wird empfohlen]
Als Sexualpädagogin biete ich Ihnen
die wissenschaftliche Seite.
Aber neutral zu bleiben,
ist mein primärer und wichtigster Auftrag,
wenn ich über Sexuelles spreche,
keine Peinlichkeiten, kein Kitzel,
keine Beurteilung, keine Scham,
egal wo ich bin.
Egal welche Frage man mir stellt.
Einmal, in der Hotellobby,
am Ende einer Konferenz,
ich bin auf dem Weg nach draußen,
da rennt mir eine Kollegin hinterher.
"Emily, ich habe eine ganz kurze Frage.
Eine Freundin von mir --
(Lachen)
möchte wissen, ob es möglich ist,
süchtig nach ihrem Vibrator zu werden."
Die Antwort ist nein,
aber es ist möglich, verwöhnt zu werden.
Auf einer anderen Konferenz
in einem Freiluft-Topen-Paradies,
stehe ich am Frühstücksbuffet,
da kommt ein Paar auf mich zu.
"Hi, Emily, entschuldige bitte vielmals,
wir möchten Dir eine kurze Frage
über vorzeitige Ejakulation stellen."
"Klar, ich erzähle Ihnen etwas
über die Stop-Start-Methode."
Das ist mein Leben.
Ich bleibe neutral, wenn
andere Leute "geniert" sind.
Geniert sein ist ein Gefühl,
das Überraschung mit Peinlichkeit
plus Angewidertsein vereint
und man weiß nicht,
was man mit den Händen tun soll.
Es ist also ein Produkt.
Man fühlt so,
weil man die ersten 20 Jahre
seines Lebens gelernt hat,
dass Sex gefährlich, abstoßend
und eine Quelle ewiger Scham ist
und wenn du nicht echt gut darin bist,
wird dich niemand je lieben.
(Lachen)
Vielleicht sind Sie geniert,
wenn ich über Sex spreche,
während Sie in einem Raum voll
Fremder sitzen -- das ist normal.
Atmen Sie tief durch.
Gefühle sind Tunnel.
Wir gehen den Weg durchs Dunkel,
um am Ende ins Licht zu finden.
Ich verspreche, das ist es wert.
Heute erzähle ich Ihnen
von einer wissenschaftlichen Erkenntnis,
die mein ganzes Denken verändert hat,
vom Verhalten der Neurotransmitter
in unserem emotionalen Gehirn,
bis hin zur Dynamik unserer
zwischenmenschlichen Beziehungen.
Bis hin zu unserem Rechtssystem.
Es beginnt mit unserem Gehirn.
Es gibt eine Region in unserem Gehirn,
die Sie vielleicht als
"Belohnungszentrum" kennen.
Die Region Belohnungszentrum
zu nennen ist so,
als würde man das Gesicht Nase nennen.
Sie ist ein auffälliges Merkmal,
aber vernachlässigt andere Teile
und verwirrt eher,
wenn man Gesichter verstehen möchte.
Tatsächlich gibt es drei separate,
miteinander verknüpfte Systeme.
Das erste System ist Mögen.
Was wie Belohnung ist,
also der Ort für Opioide
im emotionalen Gehirn.
Es bewertet die Wirkung der Lust --
"Fühlt sich dieser Reiz gut an?
Wie gut?
Ist dieser Reiz unangenehm?
Wie unangenehm?"
Träufelt man Zuckerwasser
auf die Zunge eines Neugeborenen,
geht ein Feuerwerk
im Opioid-affinen Zentrum los.
Und es gibt das System für Verlangen.
Im emotionalen Gehirn und darüber hinaus
wird das Verlangen von einem riesigen
dopaminergen Netzwerk gesteuert.
Es motiviert uns, auf Reize
zuzugehen oder uns wegzubewegen.
Verlangen ist wie ein Kleinkind,
das einem hinterherkrabbelt
und noch einen Keks möchte.
Verlangen und Mögen sind also verwandt.
Sie sind nicht das Gleiche.
Das dritte System ist Lernen.
Lernen ist Pawlows Hund.
Erinnern Sie sich an Pawlow?
Als Reaktion auf eine Glocke
bringt er Hunde zum speicheln.
Füttere einen Hund,
der Speichel kommt automatisch,
dann Glocke klingeln.
Futter, Speichel, Glocke.
Futter, Glocke, Speichel.
Glocke, Speichel.
Bedeutet der Speichel, dass der Hund
die Glocke essen will?
Bedeutet es, dass der Hund
die Glocke lecker findet?
Nein.
Pawlow hat die Glocke
mit Futter verknüpft.
Wenn wir die Unterschiede von
Verlangen, Mögen und Lernen verstehen,
haben wir einen Erklärungsrahmen,
um verstehen zu können,
was Forscher Diskonkordanz
bei sexueller Erregung nennen.
Einfach gesagt, Diskonkordanz ist,
wenn es zwischen Ihrer physischen
Reaktion, wie Speichelfluss,
und Ihrem subjektiven Erleben
von Genuss und Lust
nicht genug voraussagbare
Zusammenhänge gibt.
Das passiert in allen unseren emotionalen
und motivatiorischen Systemen,
wie auch Sex.
Forschungen aus 30 Jahren zeigen,
dass der Blutfluss in Genitalien
bei sexueller Stimulation zunimmt,
sogar wenn diese sexuellen Stimulationen
nichts mit dem subjektiven Erleben
von Verlangen und Mögen zu tun haben.
Der voraussagbare Zusammenhang
von genitaler Reaktion
und subjektivem Erleben,
liegt zwischen 10 und 50 Prozent.
Was eine enorme Spanne ist.
Man kann nicht voraussagen,
wie eine Person eine bestimmte
sexuelle Stimulation empfindet,
wenn man nur den
genitalen Blutfluss betrachtet.
Als ich das meinem Mann erklärte,
gab er mir das bestmögliche Beispiel.
Er sagte,
"Das könnte dieses eine Mal
in der Highschool erklären, ich...
ich bekam eine Erektion als Reaktion
auf den Ausdruck "Doughnut-Loch"
(Lachen)
Wollte er Sex mit dem Doughnut haben?
Nein.
Er war ein Teenager voll Testosteron,
was alles ein bisschen sexualisiert.
Es kann in beide Richtungen gehen.
Jemand mit Penis kann am Abend
ein Erektionsproblem haben
und am nächsten Morgen
mit einer Erektion aufwachen,
wenn es einfach lästig ist.
Ich bekam einen Anruf
von einer Freundin um die 30,
sie sagte, "Mein Partner und ich
waren gerade dabei
und ich meinte, "Ich will Dich jetzt."
Aber er sagte, "Nein du bist noch trocken,
du willst bloß nett sein."
Und ich war sowas von bereit.
Was habe ich, ist es hormonell,
soll ich zum Arzt gehen, was ist los?"
Antwort?
Es ist Diskonkordanz
bei sexueller Erregung.
Wenn Sie ungewollte Schmerzen haben,
fragen Sie einen Arzt.
Andernfalls -- Diskonkordanz bei Erregung.
Ihr Genitalverhalten
entspricht nicht unbedingt
ihrem subjektiven Erleben
von Mögen und Verlangen.
Eine Freundin aus Uni-Tagen
erzählte von ihrer Erfahrung mit
Machtspielen in einer Sexbeziehung.
Sie erzählte, dass
ihr Partner sie festband,
mit den Armen überm Kopf, etwa so;
er positioniert sie so,
dass sie gespreizt dasteht,
einen Stab gegen Ihre
Klitoris gepresst, etwa so.
Da steht sie nun und der Typ geht.
Es ist ein Machtspiel.
Er lässt sie allein.
Da steht meine Freundin und meint,
"Mir ist langweilig."
(Lachen)
Als der Typ zurückkommt, sagt sie,
"Mir ist langweilig."
Er schaut sie an und den Stab und fragt,
"Warum bist Du dann feucht?"
Warum war sie feucht?
Ähnelt es Sex, Druck direkt
auf die Klitoris auszuüben?
Ja.
Sagt ihm das, ob sie möchte
oder mag, was da passiert?
Nein.
Was sagt ihm dann,
ob sie will oder mag was passiert?
Sie tut das!
Sie hat erkannt und artikuliert,
was sie will und mag.
Er hätte ihr nur zuhören müssen.
Meine Freundin am Telefon --
was ist die Lösung?
Sag deinem Partner, "Hör, was ich sage."
Und kauf Gleitmittel.
(Lachen)
(Applaus)
Applaus für Gleitmittel, absolut.
(Applaus)
Jedermann, überall.
Ich erzähle Ihnen eine dunklere
Hör-was-sie-sagt Geschichte.
Nach meiner Vorlesung
über Diskonkordanz bei sexueller Erregung,
teilte mir eine Studentin
ihre Geschichte mit.
Sie genoss es, Dinge
mit ihrem neuen Partner zu tun,
sie kamen an den Punkt, über den sie
nicht hinausgehen wollte,
und so sagte sie nein.
Der Partner sagte: "Du bist feucht,
du bist sowas von bereit,
sei nicht schüchtern."
Schüchtern?
Als ob es nicht allen Mut
und all ihr Vertrauen gekostet hat,
nein zu jemandem zu sagen,
den sie gern hatte.
Dessen Gefühle sie nicht verletzen wollte.
Aber sie sagte es wieder.
Sie sagte nein.
Hat er auf sie gehört?
In Zeiten von Me Too
und Time's Up werde ich gefragt,
"Wie soll ich wissen,
was mein Partner will und mag?
Muss nun jede Zustimmung verbal
und vertragsgemäß sein?"
Manchmal ist Zustimmung missverständlich
und wir brauchen eine
umfassende kulturelle Diskussion.
Aber können wir sicher erkennen,
wie eindeutig Zustimmung ist,
wenn wir diesen Mythos eliminieren?
In jedem meiner bisherigen Beispiele
hat einer der Partner erkannt
und artikuliert, was er wollte und mochte:
"Ich will dich jetzt."
"Nein."
Und ihr Partner meinte,
sie hätten unrecht.
Das ist Gaslighting.
Tiefgreifend und entwürdigend.
Man sagt, man fühle sich so,
aber der Körper beweist,
dass man anders fühlt.
Aber wir machen das nur
in Bezug auf Sexualität,
weil Diskonkordanz bei Erregung
in jedem emotionalen und
motivatorischen System vorkommt.
Wenn mein Mund wässrig wird,
wenn ich in einen wurmigen Apfel beiße,
würde dann jemand sagen:
"Du sagst nein, aber dein Körper sagt ja?"
(Gelächter)
Nicht nur unsere Partner
verstehen uns falsch.
Das National Judicial Education Program
verlegt eine Schrift mit dem Titel:
"Judges Tell: What I Wish
I Had Known Before I Presided
in a Case of an Adult Victim
of Sexual Assault."
Nummer 13:
"Gelegentlich zeigt das Opfer, männlich
oder weiblich, eine körperliche Reaktion,
aber das ist keine sexuelle Reaktion
im Sinne von Lust oder Einvernehmen."
Das führt mich näher ans Dunkle;
ich verspreche, danach finden wir
wieder den Weg ans Licht.
Ich denke an ein Gerichtsverfahren,
bei dem es um mehrere Vorfälle
von "nicht einvernehmlichem Sex" ging.
Stellen sie sich vor, Sie sind in der Jury
und Sie erfahren,
dass das Opfer Orgasmen hatte.
Ändert das Ihre Reaktion auf den Fall?
Ich erinnere Sie, dass
ein Orgasmus physiologisch ist;
er ist spontanes, unfreiwilliges
Lösen der Anspannung,
die sich als Reaktion
auf sexuelle Stimuli aufbaut.
Der Anwalt des Täters stellte sicher,
dass die Jury vom Orgasmus erfuhr,
weil er meinte, Orgasmen können
als Einvernehmen ausgelegt werden.
Es war ein Kind, dass in der Familie
von einem Erwachsenen missbraucht wurde.
Bitte atmen sie durch.
Diese Art von Fällen kann
alle möglichen Gefühle auslösen,
von Wut über Scham
bis zu verstörender Erregung,
weil es sexuell ist,
obwohl es entsetzlich ist.
Obwohl ich weiß, dass es schwierig ist,
mit diesen Gefühlen in einem Raum
voller Fremder zu sein, glaube ich,
wenn wir den Weg durch unsere
verworrenen Gefühle finden können,
können wir den Weg
ans Licht des Mitgefühls
für dieses Kind finden,
dessen Beziehung zu seinem Körper
von einem Erwachsenen verletzt wurde,
dessen Aufgabe es war, es zu beschützen.
Wir haben Hoffnung,
dass es einen vertrauenswürdigen
Erwachsenen gab, der sagen konnte,
"Genitale Reaktion zeigt nur,
dass es sexuelle Stimuli gab,
es bedeutet nicht, dass das Kind
dies wollte oder mochte,
ganz sicher bedeutete es
kein Einvernehmen."
(Applaus)
Dieses Mitgefühl und diese Hoffnung
sind der Grund dafür, dass ich viel reise
und mit Zuhörern darüber spreche.
Ich sehe, dass es Menschen hilft,
wenn ich die Worte ausspreche.
Ich lade Sie dazu ein,
die Worte auszusprechen.
Sie brauchen nicht "Klitoris"
vor 1000 Fremden zu sagen.
Aber seien Sie mutig in Gesprächen.
Erzählen Sie Bekannten davon,
die sexuelle Gewalt erlebt haben --
Sie kennen definitiv jemanden.
In den Vereinigten Staaten
ist es eine von drei Frauen.
Einer von sechs Männern.
Fast die Hälfte der Transgender.
Sagen Sie "Genitale Reaktion
ist ein Zeichen für sexuellen Stimulus.
Es heißt nicht, dass es
gewollt war oder gefallen hat."
Sagen Sie es einem Richter
oder Anwalt weiter,
einem Polizisten oder einem Jurymitglied
in einem Fall von sexueller Gewalt.
Sagen Sie: "Manche glauben,
dass der Körper nicht reagiert,
wenn man nicht möchte
oder mag, was passiert,
wenn das nur wahr wäre.
Stattdessen, Diskonkordanz
bei sexueller Erregung."
Erzählen Sie es den
verwirrten Teenagern in Ihrem Leben,
die versuchen herauszufinden
was, oder was?
Sagen Sie, wenn du in einen fauligen Apfel
beißt und dein Mund wässrig wird,
würde niemand sagen,
"Du willst einfach nicht zugeben,
wie sehr er Dir schmeckt."
Das Gleiche gilt für da unten,
Diskonkordanz bei Erregung.
Sagen Sie es Ihrem Partner.
Meine Genitalien sagen dir nicht,
was ich will oder mag.
Ich tue es.
(Applaus)
Die Wurzeln dieses Mythos reichen tief
und sie sind verschlungen
mit dunklen Kräften in unserer Kultur.
Aber mit jedem mutigen Gespräch
machen wir die Welt
für die verwirrten Teenager
ein wenig besser, ein wenig einfacher.
Ein wenig einfacher
für die Freundin am Telefon,
die dachte, sie wäre defekt.
Ein wenig einfacher und sicherer
für die Überlebenden;
eine von drei Frauen.
Einer von sechs Männern.
Die Hälfte der Transgender.
Me too.
Also für jedes mutige Gespräch,
das Sie führen,
Dankeschön.
(Applaus)
Dankeschön.
Danke.
(Applaus)
Helen Walters: Emily, komm hierüber.
Danke Dir vielmals.
Ich weiß, Du machst das ständig,
und trotzdem, bin ich Dir so dankbar
für Deinen Mut herzukommen
und darüber auf dieser Bühne zu reden.
Es erfordert viel und
wir sind Dir sehr verbunden.
Also danke Dir.
Emily Nagoski: Ich bin
dankbar, hier zu sein.
HW: In Deinem regulären Job,
denke ich, stellt man Dir viele Fragen,
wie du schon anfangs erwähntest.
Aber was ist die eine Frage,
die Du andauernd gefragt wirst,
die Du allen hier beantworte kannst,
damit Du das nicht noch 1000 mal
während der nächsten Woche tun musst?
EN: Die häufigste Frage
ist tatsächlich die,
die in allen Fragen mitschwingt,
kann ich süchtig nach
meinem Vibrator werden,
bitte hilf mir mit meiner
erektilen Dysfunktion?
In allen diesen Fragen steckt eigentlich
die Frage, "Bin ich normal?"
Die Antwort dazu ist meiner Meinung nach,
was ist denn normal und warum
möchtest du, dass deine Sexualität so ist?
Warum wollen wir nur
bei unserer Sexualität normal sein?
Wollen wir nicht, dass sie besonders ist?
Willst du denn nur normalen Sex
oder willst du großartigen Sex haben?
Ich denke, es gibt viel Angst ,
sexuell deutlich anders zu sein.
Wenn ich gefragt werde,
"Ist das, was ich erlebe, normal,"
lautet die eigentliche Frage:
"Gehöre ich hierhin?"
Gehöre ich in diese Beziehung,
gehöre ich zur dieser Gemeinschaft,
gehöre ich auf die Erde,
als sexuelles Wesen?
Worauf ich stets mit einem
schallenden Ja antworte.
Die einzige Grenze, die es gibt,
das einzige Limit, es gibt zwei:
erstens, wenn man ungewollte
sexuelle Schmerzen hat,
dann sprich mit einem Arzt.
Und zweitens: Solange jeder Teilnehmer
gerne und aus freien Stücken mitmacht
und jederzeit gehen kann,
wann immer er möchte,
ist alles erlaubt, was du tun willst.
Es gibt kein Drehbuch, es gibt
keinen Rahmen, in den du passen musst,
solange es im Einvernehmen und ohne
ungewollte Schmerzen geschieht,
bist du absolut frei zu tun,
was immer du willst.
HW: Erstaunlich. Danke dir vielmals.
EN: Danke dir.
HW: Danke dir, du bist unglaublich.
(Applaus)