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Title:
Einblicke in Autismus | Carina Morillo | TEDxRíodelaPlata
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Description:
Wie wichtig kann ein Blick für die menschliche Kommunikation sein? Was passiert, wenn ein Blick der einzig mögliche Weg der Kommunikation ist? Carina Morillo erzählt uns, wie sie Ivan – ihren Sohn mit Autismus – das Leben lehren konnte. Im Jahr 2010 schuf sie die Stiftung Brincar [Springen] für glücklichen Autismus. Sie schafft Möglichkeiten der Vernetzung und Inklusion.
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"Schau mich an!"
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Diese Worte machten aus mir
einen "Augenkontakt-Trainer".
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Ich bin Ivans Mutter, er ist 15 Jahre alt.
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Ivan hat Autismus,
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er spricht nicht.
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Er kommuniziert mittels eines iPads,
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in dem sein ganzer Wortschatz
in Form von Bildern abgelegt ist.
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Er bekam die Diagnose,
als er zweieinhalb war.
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Ich erinnere mich noch
sehr schmerzlich an diesen Tag.
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Mein Mann und ich fühlten
uns sehr verloren;
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wir wussten nicht,
wo wir anfangen sollten.
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Es gab kein Internet,
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wir konnten nicht
nach Informationen googeln.
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Wir machten unsere
ersten Schritte rein intuitiv.
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Ivan hielt keinen Blickkontakt,
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vergaß alle Wörter wieder, die er wusste,
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und er reagierte weder auf seinen Namen,
noch auf alles, was wir ihn fragten,
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als ob Wörter nur Geräusche wären.
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Der einzige Weg zu erfahren,
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was in ihm vorging,
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was er fühlte,
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war ein Blick in seine Augen.
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Aber dieser Zugang war versperrt.
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Wie sollte ich ihm das Leben beibringen?
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Wenn ich Dinge tat, die er mochte,
schaute er mich an.
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Dann waren wir verbunden.
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Also habe ich diese Dinge genutzt,
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um immer mehr Momente
mit Augenkontakt zu haben.
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Wir spielten viele Stunden
mit Alexia, seiner älteren Schwester.
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Und wenn wir riefen:
"Ich habe dich gefangen!",
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suchte er mit den Augen nach uns.
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In solchen Augenblicken
fühlte ich das Leben in ihm.
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Wir halten den Rekord
für Schwimmbadaufenthalte.
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Ivan hatte immer schon
eine Leidenschaft für Wasser.
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Ich erinnere mich, als er zweieinhalb war,
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fuhren wir an einem regnerischen Wintertag
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zu einem Hallenbad.
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Denn wir gingen auch
an regnerischen Tagen schwimmen.
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Auf der Autobahn
nahm ich die falsche Abfahrt.
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Er brach in Tränen aus, weinte
ununterbrochen und war untröstlich,
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bis ich umdrehte.
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Erst das beruhigte ihn.
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Wie ist es möglich,
dass ein Zweieinhalbjähriger,
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der seinen eigenen Namen nicht kennt,
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in dichtem Regen und Nebel,
wo ich nichts sehen konnte,
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die genaue Wegstrecke erkennt?
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Ich erkannte Ivans außergewöhnliches
visuelles Gedächtnis --
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und dass dies mein Weg war,
um mit ihm in Kontakt zu kommen.
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Ich fing an, alles zu fotografieren,
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und ihn so das Leben zu lehren.
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Ich zeigte es ihm, Bild für Bild.
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Auch heute teilt Ivan so mit,
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was er möchte,
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was er braucht
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und auch was er fühlt.
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Aber nicht nur Ivans
Blickkontakt war wichtig --
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der aller anderen auch.
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Wie konnte ich die Menschen dazu bringen,
nicht nur seinen Autismus zu sehen,
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sondern auch ihn als Mensch
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und alles, was er geben kann?
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Alles, was er tun kann.
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Die Dinge, die er mag und nicht mag.
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Genauso wie jeder von uns.
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Aber dafür musste ich auch etwas geben.
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Ich musste die Kraft aufbringen,
ihn loszulassen.
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Das war sehr schwierig.
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Als Ivan 11 Jahre alt war,
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ging er zur Behandlung
ganz in der Nähe von seinem zu Hause.
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Eines Nachmittags,
während ich auf ihn wartete,
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ging ich zum Gemüsehändler,
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ein typischer Tante-Emma-Laden,
mit ein bisschen von allem.
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Beim Einkaufen sprach ich
mit Jose, dem Besitzer.
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Ich erzählte ihm von Ivan,
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dass er Autismus hat,
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und dass ich ihm beibringen wollte,
allein durch die Straßen zu gehen,
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ohne dass ihn jemand an die Hand nimmt.
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Also fragte ich Jose, ob
Ivan donnerstags um 14 Uhr
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kommen konnte, um ihn zu helfen, die
Wasserflaschen in den Regalen zu ordnen.
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Denn er liebt es, Dinge zu ordnen.
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Als Belohnung würde er
Schokokekse kaufen.
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Die mochte er am liebsten.
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Er sagte sofort "Ja".
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Und so ging es dann ein Jahr lang:
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Ivan ging zum Gemüsehändler,
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half ihm die Regale mit
den Wasserflaschen zu ordnen,
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sodass die Etiketten alle
perfekt gleich ausgerichtet waren,
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und ging dann glücklich
mit seinen Schokokeksen.
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Jose ist kein Autismus-Experte.
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Man muss kein Experte sein
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oder etwas Heldenhaftes tun,
um jemanden nicht auszuschließen.
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Wir müssen nur da sein --
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wirklich, keine heldenhafte Tat --
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Wir müssen einfach nur nah sein.
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Und wenn wir Angst vor etwas haben
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oder etwas nicht verstehen,
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müssen wir fragen.
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Seien wir neugierig,
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aber niemals gleichgültig.
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Haben wir den Mut,
einander in die Augen zu sehen.
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Denn durch Ansehen
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können wir anderen eine ganze Welt öffnen.
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(Jubel)