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Warum wir uns alle in emotionaler Erster Hilfe üben sollten | Guy Winch | TEDxLinnaeusUniversity

  • 0:09 - 0:12
    Ich wuchs mit meinem
    eineiigen Zwilling auf,
  • 0:12 - 0:15
    einem unglaublich liebevollem Bruder.
  • 0:15 - 0:20
    Als Zwilling wird man sehr schnell
    zu einem Experten,
  • 0:20 - 0:22
    wenn es um Bevorzugung geht.
  • 0:23 - 0:28
    Wenn sein Keks minimal größer war
    als meiner, wollte ich wissen warum.
  • 0:29 - 0:32
    Obwohl ich offensichtlich
    nicht hungern musste.
  • 0:33 - 0:35
    (Gelächter)
  • 0:35 - 0:37
    Als ich Psychologe wurde,
  • 0:37 - 0:41
    begann ich eine andere Art
    Bevorzugung wahrzunehmen.
  • 0:41 - 0:46
    Und zwar schätzen wir unseren Körper
    viel mehr als unsere Psyche.
  • 0:46 - 0:52
    Ich habe neun Jahre studiert,
    um meinen Doktor in Psychologie zu machen,
  • 0:52 - 0:57
    aber unzählige Leute sehen
    meine Visitenkarte an und sagen:
  • 0:57 - 1:01
    "Oh, ein Psychologe,
    also kein richtiger Arzt."
  • 1:02 - 1:04
    Als sollte das so auf meiner Karte stehen.
  • 1:04 - 1:08
    [Kein echter Arzt. Ja, sehr enttäuschend.]
    (Gelächter)
  • 1:09 - 1:15
    Diese Bevorzugung des Körpers
    über die Psyche sehe ich überall.
  • 1:16 - 1:17
    Letztens war ich bei Freunden
  • 1:17 - 1:20
    und ihr 5-jähriger Junge
    machte sich fertig zum Schlafengehen.
  • 1:20 - 1:24
    Er stand auf einem Hocker am Waschbecken
    und putzte sich die Zähne,
  • 1:24 - 1:28
    als er ausrutschte und sein Bein
    beim Sturz am Hocker schrammte.
  • 1:28 - 1:31
    Er weinte kurz,
    aber dann stand er wieder auf,
  • 1:31 - 1:35
    stellte sich auf den Hocker und
    griff nach einem Pflaster,
  • 1:35 - 1:37
    um es auf die Schramme zu kleben.
  • 1:37 - 1:41
    Dieser Junge konnte sich
    kaum die Schuhe binden,
  • 1:41 - 1:44
    aber er wusste, dass man
    eine Wunde abdecken muss,
  • 1:44 - 1:46
    damit sie sich nicht entzündet,
  • 1:46 - 1:49
    und dass man seine Zähne pflegen muss,
    indem man sie zweimal am Tag putzt.
  • 1:49 - 1:53
    Wir alle wissen, wie wir
    körperlich gesund bleiben
  • 1:53 - 1:55
    und wie man Zähne putzt. Richtig?
  • 1:55 - 1:59
    Das wissen wir, seit wir fünf sind.
  • 1:59 - 2:04
    Aber was wissen wir darüber,
    wie man seine Psyche gesund hält?
  • 2:04 - 2:06
    Gar nichts.
  • 2:06 - 2:10
    Was bringen wir unseren Kindern
    über emotionale Hygiene bei?
  • 2:11 - 2:12
    Nichts.
  • 2:13 - 2:16
    Wie kommt es, dass wir mehr Zeit
  • 2:16 - 2:19
    auf unsere Zahnpflege verwenden
    statt auf unsere Psyche?
  • 2:20 - 2:25
    Wie kommt es, dass uns unsere
    körperliche Gesundheit wichtiger ist
  • 2:25 - 2:28
    als unsere psychische Gesundheit?
  • 2:28 - 2:33
    Dabei werden wir weitaus häufiger
    psychisch als körperlich verletzt.
  • 2:33 - 2:37
    Verletzungen wie Versagen,
    Zurückweisung oder Einsamkeit,
  • 2:37 - 2:40
    die allesamt schlimmer werden können,
    wenn wir sie ignorieren.
  • 2:40 - 2:43
    Sie können unser Leben
    dramatisch beeinflussen.
  • 2:43 - 2:48
    Doch obwohl es wissenschaftlich
    erwiesene Methoden gibt,
  • 2:48 - 2:53
    wie wir diese Verletzungen der Psyche
    behandeln können, tun wir es nicht.
  • 2:53 - 2:57
    Wir denken nicht einmal daran,
    dass wir das tun sollten.
  • 2:57 - 3:01
    "Du bist depressiv, schüttle es ab,
    das ist alles nur in deinem Kopf."
  • 3:01 - 3:05
    Stellen Sie sich vor, das sagt Ihnen
    jemand bei einem Beinbruch.
  • 3:05 - 3:08
    "Lauf einfach weiter,
    das ist alles nur in deinem Bein. "
  • 3:08 - 3:10
    (Gelächter)
  • 3:10 - 3:12
    Es wird Zeit, dass wir die Kluft
  • 3:12 - 3:15
    zwischen körperlicher und
    psychischer Gesundheit schließen.
  • 3:15 - 3:18
    Es wird Zeit, dass wir beide
    als gleichwertig ansehen --
  • 3:18 - 3:21
    wie Zwillinge.
  • 3:21 - 3:25
    Wo wir gerade dabei sind,
    mein Bruder ist auch Psychologe.
  • 3:25 - 3:28
    Er ist also auch kein richtiger Arzt.
  • 3:28 - 3:30
    (Gelächter)
  • 3:30 - 3:32
    Wir haben aber nicht zusammen studiert.
  • 3:32 - 3:36
    Tatsächlich war es die schwerste
    Entscheidung meines Lebens,
  • 3:36 - 3:39
    den Atlantik zu überqueren
    und nach New York zu ziehen,
  • 3:39 - 3:42
    um meinen Doktor in Psychologie zu machen.
  • 3:42 - 3:45
    Zum ersten Mal in unserem Leben
    waren wir voneinander getrennt
  • 3:45 - 3:48
    und diese Trennung
    war für uns beide schwer.
  • 3:48 - 3:52
    Aber während er unsere Familie
    und Freunde um sich hatte,
  • 3:52 - 3:54
    war ich allein in einem fremden Land.
  • 3:54 - 3:56
    Wir vermissten einander fürchterlich,
  • 3:56 - 3:59
    aber internationale Telefonate
    waren damals sehr teuer
  • 3:59 - 4:04
    und wir konnten uns es nur leisten,
    5 Minuten pro Woche miteinander zu reden.
  • 4:05 - 4:09
    Als der erste Geburtstag, den wir nicht
    gemeinsam verbringen würden, näher kam,
  • 4:09 - 4:10
    entschieden wir uns zu prassen
  • 4:10 - 4:13
    und in dieser Woche 10 Minuten
    miteinander zu reden.
  • 4:13 - 4:16
    Ich lief den ganzen Morgen
    in meinem Zimmer auf und ab
  • 4:16 - 4:18
    und wartete auf seinen Anruf
  • 4:18 - 4:20
    und wartete
  • 4:20 - 4:22
    und wartete,
  • 4:22 - 4:24
    aber das Telefon klingelte nicht.
  • 4:24 - 4:26
    Wegen des Zeitunterschieds dachte ich:
  • 4:26 - 4:29
    "Gut, vielleicht feiert er mit Freunden
    und ruft später an."
  • 4:29 - 4:31
    Damals gab es noch keine Handys.
  • 4:31 - 4:33
    Aber er rief nicht an.
  • 4:33 - 4:38
    Mir wurde klar, dass er mich
    nach der über 10-monatigen-Trennung
  • 4:38 - 4:41
    nicht mehr länger
    so vermisste wie ich ihn.
  • 4:42 - 4:44
    Ich wusste, dass er
    am Morgen anrufen würde,
  • 4:44 - 4:50
    aber diese Nacht war eine der traurigsten
    und längsten meines Lebens.
  • 4:51 - 4:53
    Ich erwachte am nächsten Morgen,
  • 4:53 - 4:55
    schaute zum Telefon
  • 4:55 - 4:58
    und bemerkte, dass ich den Hörer
    herunter gestoßen hatte,
  • 4:58 - 5:00
    als ich tags zuvor
    auf- und abgelaufen war.
  • 5:01 - 5:02
    Ich stolperte aus dem Bett,
  • 5:02 - 5:04
    hakte den Hörer wieder ein
  • 5:04 - 5:06
    und nur eine Sekunde später klingelte es,
  • 5:06 - 5:09
    mein Bruder war dran,
    und, Mann, war der stinksauer.
  • 5:09 - 5:11
    (Gelächter)
  • 5:11 - 5:15
    Auch für ihn war es die traurigste
    und längste Nacht seines Lebens.
  • 5:15 - 5:18
    Ich versuchte es ihm
    zu erklären, aber er sagte:
  • 5:18 - 5:21
    "Ich verstehe nicht, als du
    gemerkt hast, dass ich nicht anrufe,
  • 5:21 - 5:25
    warum hast du nicht einfach
    mich angerufen?"
  • 5:25 - 5:27
    Er hatte Recht.
  • 5:27 - 5:29
    Warum habe ich ihn nicht angerufen?
  • 5:29 - 5:35
    Damals hatte ich keine Antwort darauf,
    aber heute schon und sie ist einfach.
  • 5:35 - 5:37
    Einsamkeit.
  • 5:38 - 5:42
    Einsamkeit hinterlässt
    eine tiefe seelische Wunde.
  • 5:42 - 5:44
    Eine Wunde, die unsere
    Wahrnehmung verzerrt
  • 5:44 - 5:47
    und unser Denken durcheinander bringt.
  • 5:47 - 5:48
    Sie macht uns glauben,
  • 5:48 - 5:52
    dass unsere Mitmenschen sich weniger
    um uns kümmern als sie es tatsächlich tun.
  • 5:52 - 5:54
    Sie macht uns Angst davor,
    auf andere zuzugehen,
  • 5:54 - 5:59
    denn wieso sollte man sich Ablehnung
    und Kummer aussetzen,
  • 5:59 - 6:02
    wenn einem das Herz vor Kummer
    schon beinahe zerspringt?
  • 6:02 - 6:06
    Ich war damals
    von echter Einsamkeit erfasst,
  • 6:06 - 6:08
    aber weil ich täglich unter Menschen war,
  • 6:08 - 6:10
    wäre mir das nie in den Sinn gekommen.
  • 6:10 - 6:14
    Einsamkeit ist völlig subjektiv.
  • 6:15 - 6:18
    Es hängt nur davon ab, ob man sich
  • 6:18 - 6:21
    emotional oder sozial von den Menschen
    um sich herum losgelöst fühlt.
  • 6:21 - 6:23
    So war es bei mir.
  • 6:23 - 6:26
    Es wird viel Forschung
    zum Thema Einsamkeit betrieben
  • 6:26 - 6:29
    und alles davon ist grauenerregend.
  • 6:30 - 6:34
    Einsamkeit macht nicht nur
    unglücklich, sie ist tödlich.
  • 6:34 - 6:35
    Ich mache keine Witze.
  • 6:35 - 6:39
    Chronische Einsamkeit erhöht
    die Chancen auf einen frühen Tod
  • 6:39 - 6:41
    um 14 Prozent.
  • 6:41 - 6:43
    14 Prozent.
  • 6:43 - 6:47
    Einsamkeit führt zu hohem Blutdruck,
    einem hohen Cholesterinspiegel,
  • 6:47 - 6:51
    sie unterdrückt sogar die Funktionen
    des Immunsystems
  • 6:51 - 6:55
    und macht uns anfällig
    für alle möglichen Krankheiten.
  • 6:55 - 6:58
    Wissenschaftler sind daher zum Schluss
    gekommen, dass zusammengenommen
  • 6:58 - 7:02
    chronische Einsamkeit genauso gefährlich
  • 7:02 - 7:06
    für die langfristige Gesundheit und
    Lebenserwartung ist wie Rauchen.
  • 7:07 - 7:11
    Zigarettenschachteln warnen mittlerweile:
    "Das kann tödlich sein."
  • 7:11 - 7:13
    Einsamkeit nicht.
  • 7:13 - 7:15
    Deshalb ist es so wichtig,
  • 7:15 - 7:19
    dass wir unserer seelischen
    Gesundheit den Vorrang geben,
  • 7:19 - 7:21
    dass wir psychische Hygiene betreiben.
  • 7:22 - 7:25
    Denn man kann keine
    seelische Wunde behandeln,
  • 7:25 - 7:27
    wenn man nicht weiß,
    dass man verletzt ist.
  • 7:27 - 7:29
    [Achte auf emotionalen Schmerz]
  • 7:29 - 7:31
    Einsamkeit ist nicht
    die einzige emotionale Wunde,
  • 7:31 - 7:34
    die unsere Wahrnehmung verzerrt
    und uns in die Irre führt.
  • 7:34 - 7:36
    [Scheitern]
  • 7:36 - 7:38
    Scheitern tut dasselbe.
  • 7:38 - 7:42
    Einmal habe ich eine Kita besucht,
    wo ich drei Kleinkinder sah,
  • 7:42 - 7:45
    die mit demselben Spielzeug spielten.
  • 7:45 - 7:49
    Man musste den roten Knopf schieben
    und ein süßer Hund kam zum Vorschein.
  • 7:50 - 7:55
    Ein kleines Mädchen versuchte den
    lila Knopf zu ziehen, dann zu drücken
  • 7:55 - 7:57
    und dann setzte es sich
    einfach hin und sah die Box an,
  • 7:57 - 7:59
    während ihre untere Lippe bebte.
  • 7:59 - 8:02
    Der kleine Junge neben ihr sah,
    was passiert war,
  • 8:02 - 8:05
    drehte sich zu seiner Box
    und fing an zu weinen,
  • 8:05 - 8:07
    ohne sie überhaupt angefasst zu haben.
  • 8:07 - 8:11
    Unterdessen versuchte ein anderes
    kleines Mädchen alles Mögliche,
  • 8:11 - 8:13
    bis sie den roten Knopf zur Seite schob
  • 8:13 - 8:17
    und der süße Hund zum Vorschein kam
    und sie vor Freude quietschte.
  • 8:17 - 8:21
    Drei Kleinkinder mit demselben Spielzeug,
  • 8:21 - 8:24
    aber mit ganz verschiedenen
    Reaktionen auf Scheitern.
  • 8:24 - 8:29
    Die ersten beiden Kinder waren durchaus
    imstande den roten Knopf zu schieben.
  • 8:29 - 8:33
    Das Einzige, das sie davon abhielt,
    waren ihre Gedanken,
  • 8:33 - 8:36
    die sie hereinlegten und glauben ließen,
    dass sie es eben nicht könnten.
  • 8:36 - 8:41
    Auch Erwachsene werden so
    immer wieder hereingelegt.
  • 8:41 - 8:46
    Wir alle haben ein Standardmuster
    an Emotionen und Überzeugungen,
  • 8:46 - 8:50
    die abgerufen werden, sobald wir mit Frust
    oder Rückschlägen konfrontiert werden.
  • 8:50 - 8:53
    Wissen Sie, wie Ihr Verstand
    auf Scheitern reagiert?
  • 8:53 - 8:55
    Das sollten Sie.
  • 8:55 - 8:57
    Denn wenn Ihr Verstand versucht
    Sie davon zu überzeugen,
  • 8:57 - 8:59
    dass Sie etwas nicht tun können
  • 8:59 - 9:01
    und Sie das glauben,
  • 9:01 - 9:04
    dann werden Sie sich,
    wie diese beiden Kinder, hilflos fühlen,
  • 9:04 - 9:08
    und Sie werden entweder zu früh aufgeben
    oder es gar nicht erst versuchen.
  • 9:08 - 9:11
    Dann sind Sie erst recht davon überzeugt,
    dass Sie es nicht können.
  • 9:11 - 9:13
    Genau das ist der Grund,
    warum so viele Menschen
  • 9:13 - 9:16
    ihr Potential niemals voll entfalten.
  • 9:16 - 9:19
    Denn irgendwann hat sie manchmal
    nur ein einziger Moment des Scheiterns
  • 9:19 - 9:23
    davon überzeugt, dass sie es
    nicht können und sie haben es geglaubt.
  • 9:23 - 9:26
    Wenn wir einmal von etwas überzeugt sind,
  • 9:26 - 9:29
    ist es sehr schwierig
    unsere Meinung zu ändern.
  • 9:29 - 9:31
    Ich habe das auf die harte Tour gelernt,
  • 9:31 - 9:33
    als ich und mein Bruder Teenager waren.
  • 9:33 - 9:36
    Wir fuhren nachts mit Freunden
    eine dunkle Straße entlang,
  • 9:36 - 9:38
    als uns eine Polizeistreife anhielt.
  • 9:38 - 9:41
    In der Nähe war eingebrochen worden
    und sie suchten nach Verdächtigen.
  • 9:41 - 9:43
    Der Polizist kam zum Auto
  • 9:43 - 9:46
    und leuchtete dem Fahrer
    mit einer Lampe ins Gesicht,
  • 9:46 - 9:49
    danach meinem Bruder
    auf dem Beifahrersitz und dann mir.
  • 9:49 - 9:52
    Seine Augen weiteten sich und er sagte:
  • 9:52 - 9:54
    "Wo habe ich dein Gesicht
    schon mal gesehen?"
  • 9:54 - 9:56
    (Gelächter)
  • 9:56 - 10:00
    Ich sagte: "Auf dem Beifahrersitz."
  • 10:00 - 10:03
    (Gelächter)
  • 10:03 - 10:05
    Aber das ergab für ihn keinen Sinn.
  • 10:05 - 10:07
    Jetzt dachte er,
    ich hätte Drogen genommen.
  • 10:07 - 10:09
    (Gelächter)
  • 10:09 - 10:11
    Er zerrte mich also aus dem Auto,
    durchsuchte mich,
  • 10:11 - 10:13
    führte mich ab zum Polizeiauto
  • 10:13 - 10:17
    und erst als er überprüft hatte,
    dass ich kein Strafregister besaß,
  • 10:17 - 10:21
    konnte ich ihm zeigen, dass mein
    Zwillingsbruder auf dem Beifahrersitz saß.
  • 10:21 - 10:25
    Aber selbst als wir weiterfuhren,
    sah man seinem Gesicht
  • 10:25 - 10:28
    die Überzeugung an, dass ich mit
    irgendetwas davongekommen war.
  • 10:29 - 10:33
    Es ist schwer, unseren Geist
    von einer Überzeugung abzubringen.
  • 10:33 - 10:36
    Deshalb scheint es so normal,
  • 10:36 - 10:39
    entmutigt und erledigt zu sein,
    wenn man scheitert.
  • 10:39 - 10:43
    Aber man darf sich nicht erlauben,
    an die eigene Erfolglosigkeit zu glauben.
  • 10:43 - 10:46
    Man muss gegen das Gefühl
    der Hilflosigkeit ankämpfen.
  • 10:46 - 10:49
    Man muss die Kontrolle über
    die Situation zurückgewinnen
  • 10:49 - 10:53
    und den Teufelskreislauf
    durchbrechen, bevor er beginnt.
  • 10:53 - 10:55
    [Emotionales Ausbluten verhindern]
  • 10:55 - 10:57
    Unser Geist und unsere Gefühle
  • 10:57 - 11:01
    sind nicht die verlässlichen Freunde,
    für die wir sie halten.
  • 11:01 - 11:04
    Sie sind eher wie sehr launische Freunde,
  • 11:04 - 11:06
    die manchmal unglaublich unterstützend
  • 11:06 - 11:09
    und dann wieder wirklich
    widerlich sein können.
  • 11:09 - 11:11
    Einmal habe ich mit einer Frau gearbeitet,
  • 11:11 - 11:15
    die nach 20 Jahren Ehe und
    einer extrem unangenehmen Scheidung
  • 11:15 - 11:17
    wieder ihre erste Verabredung hatte.
  • 11:17 - 11:22
    Sie hatte jemanden online kennengelernt,
    er schien nett und erfolgreich zu sein
  • 11:22 - 11:25
    und sie vor allem wirklich zu mögen.
  • 11:25 - 11:28
    Sie war ziemlich aufgeregt und
    kaufte sich extra ein neues Kleid
  • 11:28 - 11:32
    und sie trafen sich in einer teuren
    New Yorker Bar, um etwas zu trinken.
  • 11:32 - 11:36
    Nach zehn Minuten stand er auf und sagte:
  • 11:36 - 11:39
    "Ich bin nicht interessiert", und ging.
  • 11:39 - 11:41
    [Ablehnung]
  • 11:41 - 11:44
    Ablehnung ist extrem schmerzhaft.
  • 11:44 - 11:46
    Diese Frau war so verletzt,
    sie war wie erstarrt.
  • 11:46 - 11:49
    Sie schaffte es nur,
    einen Freund anzurufen.
  • 11:49 - 11:53
    Und der sagte ihr Folgendes:
    "Tja, was hast du erwartet,
  • 11:53 - 11:57
    du hast breite Hüften,
    du hast nichts Interessantes zu erzählen,
  • 11:57 - 12:00
    wieso sollte ein erfolgreicher,
    gut aussehender Mann wie er
  • 12:00 - 12:03
    jemals mit einer Versagerin
    wie dir ausgehen?"
  • 12:04 - 12:07
    Schockierend, nicht wahr,
    dass ein Freund so grausam sein kann.
  • 12:07 - 12:10
    Aber es wäre weniger schockierend,
  • 12:10 - 12:13
    wenn ich Ihnen sagte,
    dass ihr das kein Freund gesagt hat.
  • 12:13 - 12:16
    Es war die Frau,
    die sich das selbst sagte.
  • 12:16 - 12:18
    Und das tun wir alle.
  • 12:18 - 12:20
    Besonders nach einer Ablehnung.
  • 12:20 - 12:23
    Wir alle denken an unsere Fehler
    und unsere Unzulänglichkeiten,
  • 12:23 - 12:26
    was wir lieber wären,
    was wir lieber nicht wären,
  • 12:26 - 12:27
    wir beleidigen uns selbst.
  • 12:27 - 12:30
    Vielleicht nicht so harsch,
    aber wir tun es trotzdem.
  • 12:30 - 12:35
    Interessant, dass wir das tun, wenn unser
    Selbstbewusstsein schon verletzt ist.
  • 12:35 - 12:38
    Wieso sollten wir es
    noch weiter zerstören wollen?
  • 12:38 - 12:41
    Eine körperliche Wunde würden wir
    auch nicht bewusst verschlimmern.
  • 12:41 - 12:43
    Niemand würde sich
    am Arm verletzen und sagen:
  • 12:43 - 12:47
    "Ich hole mir ein Messer und schaue,
    wie tief ich noch schneiden kann."
  • 12:47 - 12:51
    Aber genau das tun wir immer wieder
    mit seelischen Wunden.
  • 12:51 - 12:54
    Wieso? Wegen schlechter
    emotionaler Hygiene.
  • 12:54 - 12:58
    Weil wir seelischer Gesundheit
    keinen Vorrang geben.
  • 12:58 - 12:59
    Wir wissen aus dutzenden Studien,
  • 12:59 - 13:01
    dass man mit niedrigem Selbstbewusstsein
  • 13:01 - 13:04
    anfälliger für Stress und Angst ist,
  • 13:04 - 13:07
    dass Scheitern und Ablehnung
    schwerer wiegen
  • 13:07 - 13:10
    und man länger braucht,
    um sich davon zu erholen.
  • 13:10 - 13:13
    Wenn man also abgelehnt wird,
    sollte man als Erstes
  • 13:13 - 13:16
    sein Selbstbewusstsein wieder aufbauen,
  • 13:16 - 13:19
    nicht einen Boxkampf beginnen
    und es zu Brei schlagen.
  • 13:20 - 13:22
    Wenn man emotionale Schmerzen hat,
  • 13:22 - 13:25
    muss man sich selbst
    mit demselben Mitgefühl behandeln,
  • 13:25 - 13:28
    das man von einem
    guten Freund erwarten würde.
  • 13:28 - 13:30
    [Schütze dein Selbstbewusstsein]
  • 13:30 - 13:34
    Wir müssen unsere ungesunden psychischen
    Gewohnheiten entdecken und ändern.
  • 13:34 - 13:39
    Eine der ungesündesten und
    verbreitetsten wird Grübeln genannt.
  • 13:39 - 13:41
    Grübeln heißt Wiederkäuen.
  • 13:41 - 13:44
    Das passiert, wenn Ihr Chef Sie anschreit
  • 13:44 - 13:46
    oder Ihr Professor Sie vorführt
  • 13:46 - 13:49
    oder Sie sich mit einem Freund
    gestritten haben
  • 13:49 - 13:51
    und Sie einfach nicht aufhören können,
  • 13:51 - 13:53
    diese Szene in Ihrem Kopf
    zu wiederholen, tagelang,
  • 13:53 - 13:55
    manchmal sogar wochenlang.
  • 13:55 - 13:58
    Dieses Widerkäuen von
    schlimmen Ereignissen
  • 13:58 - 14:02
    kann ganz leicht zur Gewohnheit
    werden, einer sehr teuren.
  • 14:02 - 14:04
    Wenn man so viel Zeit damit verbringt,
  • 14:04 - 14:07
    sich auf schlimme oder
    negative Gedanken zu konzentrieren,
  • 14:07 - 14:10
    setzt man sich der hohen Gefahr aus,
  • 14:10 - 14:14
    eine klinische Depression, Alkoholsucht,
  • 14:14 - 14:17
    Essstörungen und sogar
    Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu entwickeln.
  • 14:17 - 14:20
    Das Problem liegt darin,
    dass der Drang zum Grübeln
  • 14:20 - 14:25
    wirklich stark ist, sich wichtig anfühlt,
    deshalb ist es schwer damit aufzuhören.
  • 14:25 - 14:27
    Ich weiß das sehr genau.
  • 14:27 - 14:31
    Denn vor ungefähr einem Jahr habe ich
    diese Angewohnheit selbst entwickelt.
  • 14:31 - 14:33
    Mein Zwillingsbruder wurde
  • 14:33 - 14:37
    mit einem Lymphom
    im dritten Stadium diagnostiziert.
  • 14:37 - 14:40
    Sein Krebs war extrem aggressiv,
  • 14:40 - 14:43
    man konnte die Tumoren
    an seinem Körper sehen.
  • 14:44 - 14:47
    Er musste eine schwere
    Chemotherapie durchmachen.
  • 14:48 - 14:53
    Und ich konnte nicht aufhören,
    darüber nachzudenken, was er durchmachte.
  • 14:53 - 14:56
    Ich konnte nicht aufhören,
    darüber nachzudenken, wie sehr er litt.
  • 14:57 - 15:01
    Obwohl er sich nie beschwerte,
    kein einziges Mal.
  • 15:01 - 15:04
    Er hatte eine unglaublich
    positive Einstellung.
  • 15:04 - 15:07
    Seine psychische Gesundheit
    war fantastisch.
  • 15:07 - 15:11
    Ich war körperlich gesund,
    aber psychisch ein Desaster.
  • 15:12 - 15:14
    Aber ich wusste, was zu tun war.
  • 15:14 - 15:17
    Studien belegen, dass selbst eine
    zweiminütige Ablenkung reicht,
  • 15:17 - 15:21
    um den Drang zum Grübeln
    für den Moment zu unterbinden.
  • 15:21 - 15:22
    Ich zwang mich jedes Mal,
  • 15:22 - 15:24
    wenn ich bange, bittere,
    negative Gedanken hatte,
  • 15:24 - 15:29
    mich auf etwas anderes zu konzentrieren,
    bis der Drang vorüber war.
  • 15:29 - 15:33
    Innerhalb einer Woche
    änderte sich meine ganze Einstellung
  • 15:33 - 15:36
    und wurde positiver und hoffnungsvoller.
  • 15:37 - 15:39
    [Negatives Denken bekämpfen]
  • 15:39 - 15:41
    Neun Wochen nach dem Beginn
    der Chemotherapie
  • 15:41 - 15:43
    machte mein Bruder eine Computertomografie
  • 15:43 - 15:46
    und ich war an seiner Seite,
    als er die Ergebnisse bekam.
  • 15:46 - 15:48
    Alle Tumoren waren verschwunden.
  • 15:48 - 15:52
    Er hatte noch immer
    drei Chemotherapien vor sich.
  • 15:52 - 15:54
    Aber wir wussten,
    dass er sich erholen würde.
  • 15:54 - 15:58
    Dieses Bild wurde
    vor zwei Wochen aufgenommen.
  • 16:01 - 16:04
    Indem man Maßnahmen ergreift,
    wenn man einsam ist,
  • 16:04 - 16:07
    indem man seine Reaktionen
    auf Scheitern verändert,
  • 16:07 - 16:09
    indem man sein Selbstbewusstsein schützt,
  • 16:09 - 16:12
    indem man negatives Denken bekämpft,
  • 16:12 - 16:15
    heilt man nicht nur
    seine seelischen Wunden,
  • 16:15 - 16:18
    man baut auch emotionale
    Belastbarkeit auf, man blüht auf.
  • 16:19 - 16:24
    Vor hundert Jahren begannen Menschen
    mit der Körperhygiene.
  • 16:24 - 16:28
    Die Lebenserwartung stieg um mehr als 50 %
  • 16:28 - 16:31
    innerhalb weniger Jahrzehnte.
  • 16:31 - 16:34
    Ich glaube, dass sich unsere
    Lebensqualität drastisch verbessern würde,
  • 16:34 - 16:38
    wenn wir alle mit
    emotionaler Hygiene anfingen.
  • 16:39 - 16:42
    Können Sie sich vorstellen,
    wie unsere Welt aussehen würde,
  • 16:42 - 16:44
    wenn alle psychisch gesünder wären?
  • 16:44 - 16:48
    Wenn es weniger Einsamkeit
    und weniger Depressionen gäbe?
  • 16:48 - 16:51
    Wenn die Leute wüssten,
    wie sie Scheitern überwinden?
  • 16:51 - 16:54
    Wenn sie sich besser und
    selbstbestimmter fühlten?
  • 16:54 - 16:58
    Wenn sie glücklicher und erfüllter wären?
  • 16:58 - 17:01
    Ich kann das, weil das die Welt ist,
    in der ich leben möchte,
  • 17:02 - 17:06
    und die Welt, in der auch
    mein Bruder leben möchte.
  • 17:06 - 17:11
    Würden wir uns besser informieren und
    einige einfache Gewohnheiten ändern,
  • 17:11 - 17:14
    dann könnten wir alle
    in dieser Welt leben.
  • 17:15 - 17:17
    Vielen Dank.
  • 17:17 - 17:20
    (Applaus)
Title:
Warum wir uns alle in emotionaler Erster Hilfe üben sollten | Guy Winch | TEDxLinnaeusUniversity
Description:

Dieser Vortrag wurde bei einem nicht von den TED-Konferenzen ausgerichteten, örtlichen TEDx-Event gehalten.
Wir gehen zum Arzt, wenn wir uns fiebrig fühlen oder Schmerzen haben. Also wieso gehen wir dann nicht zu einem Spezialisten, wenn wir emotionalen Schmerz fühlen wie: Schuld, Verlust, Einsamkeit? Guy Winch erklärt, dass zu viele von uns weit verbreitete, psychische Gesundheitsprobleme allein behandeln. Aber das müssen wir nicht. Er legt überzeugend dar, dass wir uns in emotionaler Hygiene üben müssen – dass wir uns um unsere Emotionen und unseren Geist mit derselben Sorgfalt kümmern müssen, die wir auf unseren Körper verwenden.

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Video Language:
English
Team:
closed TED
Project:
TEDxTalks
Duration:
17:23

German subtitles

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