Return to Video

Meine gefährliche Reise mit einem Menschenschmuggler

  • 0:00 - 0:02
    Ich bin ein Hazara.
  • 0:03 - 0:06
    Unsere Heimat ist Afghanistan.
  • 0:07 - 0:10
    Wie Hunderttausende andere Hazara-Kinder
  • 0:10 - 0:13
    wurde ich im Exil geboren.
  • 0:13 - 0:18
    Aufgrund der ständigen Verfolgung
    und der Aktionen gegen die Hazara
  • 0:18 - 0:21
    mussten meine Eltern das Land verlassen.
  • 0:22 - 0:26
    Die lange Geschichte dieser Verfolgung
    beginnt bereits im späten 19. Jahrhundert
  • 0:26 - 0:29
    mit der Herrschaft von König Abdur Rahman.
  • 0:30 - 0:34
    Er tötete 63 % der Hazara-Bevölkerung.
  • 0:35 - 0:37
    Aus ihren Köpfen ließ er Minarette bauen.
  • 0:37 - 0:40
    Viele Hazara wurden als Sklaven verkauft
  • 0:40 - 0:45
    oder flohen in die Nachbarstaaten
    Iran und Pakistan.
  • 0:46 - 0:51
    Auch meine Eltern flohen nach Pakistan
    und ließen sich in Quetta nieder.
  • 0:51 - 0:52
    Dort wurde ich geboren.
  • 0:52 - 0:55
    Nach dem Anschlag auf
    die Zwillingstürme am 11. September
  • 0:55 - 0:58
    konnte ich erstmals mit
    ausländischen Journalisten
  • 0:58 - 0:59
    nach Afghanistan reisen.
  • 0:59 - 1:03
    Ich war erst 18 und hatte
    einen Dolmetschauftrag erhalten.
  • 1:03 - 1:05
    Vier Jahre später
  • 1:06 - 1:10
    schien es mir sicher genug,
    um endgültig nach Afghanistan zu ziehen.
  • 1:11 - 1:15
    Ich war dort als Dokumentarfotograf tätig
  • 1:15 - 1:19
    und arbeitete an zahlreichen Berichten.
  • 1:19 - 1:21
    Einer meiner bedeutendsten Berichte
  • 1:21 - 1:24
    handelt von den "Tanzknaben" Afghanistans.
  • 1:25 - 1:30
    Es ist ein tragischer Bericht
    über eine schreckliche Tradition,
  • 1:30 - 1:34
    bei der Kinder für Kriegsherren
  • 1:34 - 1:36
    und hochrangige Männer "tanzen".
  • 1:36 - 1:40
    Die Knaben werden meist entführt
    oder ihren armen Eltern abgekauft
  • 1:40 - 1:43
    und als Sexsklaven eingesetzt.
  • 1:44 - 1:45
    Das ist Shukur.
  • 1:46 - 1:48
    Er wurde von einem Kriegsherrn entführt
  • 1:48 - 1:51
    und aus Kabul in eine
    andere Provinz verschleppt,
  • 1:51 - 1:56
    um für den Kriegsherrn und seine Freunde
    als Sexsklave zu arbeiten.
  • 1:56 - 1:59
    Als der Bericht in der
    "Washington Post" erschien,
  • 1:59 - 2:01
    bekam ich Morddrohungen
  • 2:01 - 2:05
    und musste Afghanistan verlassen,
  • 2:05 - 2:07
    genau wie meine Eltern.
  • 2:07 - 2:11
    Zusammen mit meiner Familie
    kehrte ich nach Quetta zurück.
  • 2:11 - 2:15
    Seit ich Quetta 2005 verlassen hatte,
    hatte sich die Stadt radikal verändert.
  • 2:15 - 2:18
    Die ehemals friedliche Oase für die Hazara
  • 2:18 - 2:23
    war zur gefährlichsten Stadt
    Pakistans geworden.
  • 2:23 - 2:27
    Die Hazara waren in zwei
    kleine Gebiete eingepfercht
  • 2:27 - 2:32
    und gesellschaftlich, finanziell
    und in der Bildung ausgegrenzt.
  • 2:32 - 2:33
    Das ist Nadir.
  • 2:33 - 2:35
    Ich kannte ihn seit meiner Kindheit.
  • 2:35 - 2:39
    Er wurde verletzt, als Terroristen
    in Quetta seinen Wagen angriffen.
  • 2:40 - 2:43
    Er starb später an seinen Verletzungen.
  • 2:43 - 2:48
    Ungefähr 1 600 Hazara
  • 2:48 - 2:51
    wurden bei diversen Überfällen getötet,
  • 2:51 - 2:56
    etwa 3 000 weitere wurden verletzt
  • 2:56 - 2:58
    und viele sind für immer invalide.
  • 2:58 - 3:02
    Die Überfälle auf die Hazara-Gemeinde
    wurden immer schlimmer.
  • 3:02 - 3:05
    Verständlicherweise wollten viele fliehen.
  • 3:05 - 3:09
    Nach Afghanistan, dem Iran und Pakistan
  • 3:09 - 3:16
    beheimatet Australien weltweit
    die viertgrößte Gruppe von Hazara.
  • 3:16 - 3:19
    Als es Zeit war, Pakistan zu verlassen,
  • 3:19 - 3:21
    schien Australien die beste Wahl zu sein.
  • 3:21 - 3:23
    Das Geld reichte nur für einen von uns.
  • 3:23 - 3:25
    Die Entscheidung fiel auf mich,
  • 3:25 - 3:28
    in der Hoffnung, ich würde
    sicher ankommen,
  • 3:28 - 3:33
    Arbeit finden und
    meine Familie später nachholen.
  • 3:33 - 3:35
    Wir alle kannten die Risiken
  • 3:35 - 3:38
    und wussten, wie gefährlich die Reise ist.
  • 3:38 - 3:42
    Ich kenne viele, die Angehörige
    auf See verloren haben.
  • 3:42 - 3:47
    Es war ein verzweifelter Schritt,
    alles zurückzulassen.
  • 3:47 - 3:49
    Keiner beschließt so etwas leichtfertig.
  • 3:49 - 3:52
    Hätte ich nach Australien fliegen können,
  • 3:52 - 3:54
    hätte das weniger als 24 Stunden gedauert.
  • 3:55 - 3:58
    Aber ein Visum zu bekommen, war unmöglich.
  • 3:58 - 4:00
    Meine Reise war weit länger
  • 4:01 - 4:03
    und komplizierter.
  • 4:03 - 4:06
    Es war mit Sicherheit auch gefährlicher,
  • 4:06 - 4:09
    nach Thailand zu fliegen,
  • 4:09 - 4:13
    von dort auf dem Land- und Seeweg
    nach Malaysia und Indonesien zu reisen,
  • 4:13 - 4:16
    ständig Schlepper zu bezahlen,
  • 4:16 - 4:19
    sich die meiste Zeit zu verstecken
  • 4:19 - 4:22
    und Angst zu haben, erwischt zu werden.
  • 4:22 - 4:27
    In Indonesien schloss ich mich
    einer Gruppe von sieben Asylwerbern an.
  • 4:27 - 4:29
    Wir teilten uns ein Schlafzimmer in Bogor,
  • 4:29 - 4:33
    einer Stadt ganz in der Nähe von Jakarta.
  • 4:33 - 4:35
    Nach einer Woche in Bogor
  • 4:35 - 4:39
    traten drei Mitbewohner
    die gefährliche Reise an.
  • 4:39 - 4:43
    Zwei Tage später erfuhren wir,
  • 4:43 - 4:47
    dass ein Boot in Seenot auf dem Weg
    zur Weihnachtsinsel gesunken war.
  • 4:47 - 4:51
    Unsere drei Mitbewohner --
    Nawroz, Jaffar und Shabbir --
  • 4:51 - 4:53
    waren mit auf dem Boot gewesen.
  • 4:53 - 4:56
    Nur Jaffar wurde gerettet.
  • 4:56 - 4:59
    Shabbir und Nawroz
    wurden nie wieder gesehen.
  • 4:59 - 5:01
    Ich fragte mich,
  • 5:01 - 5:03
    ob ich hier das Richtige tue.
  • 5:03 - 5:07
    Doch ich hatte keine andere Wahl
    als weiterzureisen.
  • 5:08 - 5:11
    Einige Wochen später kam der Anruf
    von den Schleusern,
  • 5:11 - 5:16
    dass das Boot für
    die Überfahrt bereit stehe.
  • 5:16 - 5:19
    Nachts wurden wir mit einem Motorboot
  • 5:19 - 5:21
    zu dem Schlepperboot gebracht.
  • 5:21 - 5:25
    Wir stiegen in ein altes Fischerboot,
    das schon völlig überfüllt war.
  • 5:25 - 5:27
    Insgesamt waren wir 93
  • 5:27 - 5:29
    und befanden uns alle unter Deck.
  • 5:29 - 5:32
    Keiner durfte nach oben.
  • 5:32 - 5:35
    Jeder zahlte 6.000 Dollar
  • 5:35 - 5:37
    für diesen Teil der Reise.
  • 5:37 - 5:39
    Der erste Tag und
    die erste Nacht verliefen ruhig.
  • 5:39 - 5:42
    Aber vor der zweiten Nacht
    schlug das Wetter um.
  • 5:43 - 5:47
    Das Boot wurde von den Wellen
    umhergerissen, das Gebälk ächzte.
  • 5:47 - 5:52
    Die Menschen unter Deck weinten,
    beteten, dachten an ihre Angehörigen.
  • 5:52 - 5:54
    Sie schrien.
  • 5:54 - 5:55
    Es war schrecklich.
  • 5:57 - 6:00
    Es war wie eine Weltuntergangsszene
  • 6:00 - 6:05
    oder eine der Hollywood-Szenen,
  • 6:05 - 6:08
    in der alles auseinanderbricht
  • 6:08 - 6:10
    und die Welt untergeht.
  • 6:10 - 6:12
    Für uns wurde das Wirklichkeit.
  • 6:14 - 6:16
    Wir hatten keine Hoffnung.
  • 6:17 - 6:20
    Unser Boot trieb völlig
    steuerlos auf dem Wasser
  • 6:20 - 6:22
    wie eine Streichholzschachtel.
  • 6:24 - 6:27
    Die Wellen waren viel höher als unser Boot
  • 6:28 - 6:32
    und das einströmende Wasser
    war schneller als die Motorpumpen.
  • 6:33 - 6:35
    Wir hatten keine Hoffnung mehr.
  • 6:35 - 6:37
    Wir dachten: Das ist das Ende.
  • 6:37 - 6:39
    Wir sahen dem Tod ins Gesicht
  • 6:39 - 6:41
    und ich dokumentierte alles.
  • 6:42 - 6:45
    Der Kapitän sagte uns,
  • 6:45 - 6:47
    dass wir es nicht schaffen würden
  • 6:47 - 6:49
    und umkehren müssten.
  • 6:49 - 6:52
    Wir gingen an Deck
  • 6:52 - 6:54
    und blinkten mit unseren Taschenlampen,
  • 6:54 - 6:58
    um vorbeifahrende Boote
    auf uns aufmerksam zu machen.
  • 6:59 - 7:06
    Wir versuchten es unaufhörlich,
    winkten mit Rettungswesten und pfiffen.
  • 7:07 - 7:10
    Irgendwann erreichten wir
    eine kleine Insel.
  • 7:10 - 7:16
    Als unser Boot gegen die Felsen schlug,
    fiel ich ins Wasser
  • 7:16 - 7:18
    und meine Kamera ging kaputt.
  • 7:18 - 7:20
    Alle meine Aufzeichnungen waren weg.
  • 7:20 - 7:24
    Die Speicherkarte jedoch war unversehrt.
  • 7:25 - 7:27
    Auf der Insel war dichter Wald.
  • 7:27 - 7:33
    Beim Streit darüber, was wir tun sollten,
    spalteten wir uns in viele Gruppen auf.
  • 7:33 - 7:35
    Wir waren alle verängstigt und verwirrt.
  • 7:35 - 7:38
    Nach einer Nacht am Strand
  • 7:38 - 7:41
    fanden wir einen Steg und Kokosnüsse.
  • 7:41 - 7:44
    Wir riefen einem Boot aus einem
    nahegelegenen Badeort herbei.
  • 7:44 - 7:48
    Sofort wurden wir der indonesischen
    Küstenwache übergeben.
  • 7:51 - 7:52
    In der Untersuchungshaft in Serang
  • 7:52 - 7:56
    wurden wir einer verstohlenen
    Leibesvisitation unterzogen.
  • 7:57 - 8:01
    Der Beamte nahm
    unsere Handys, meine 300 Dollar
  • 8:01 - 8:03
    und unsere Schuhe,
    damit wir nicht fliehen konnten.
  • 8:03 - 8:10
    Aber wir beobachteten die Wachen genau.
  • 8:10 - 8:14
    Um etwa vier Uhr morgens,
    als sie am Feuer saßen,
  • 8:14 - 8:17
    entfernten wir zwei Glasscheiben
    eines Außenfensters
  • 8:17 - 8:19
    und schlüpften hindurch.
  • 8:19 - 8:22
    Wir kletterten auf einen Baum
    neben der Außenmauer,
  • 8:22 - 8:25
    auf der Glasscherben befestigt waren.
  • 8:25 - 8:30
    Wir legten ein Kissen darauf
    und wickelten Bettlaken um unsere Arme.
  • 8:30 - 8:32
    So kletterten wir über die Mauer
  • 8:32 - 8:34
    und liefen barfuß davon.
  • 8:35 - 8:37
    Ich war frei,
  • 8:38 - 8:40
    ohne jegliche Perspektive
  • 8:40 - 8:41
    und ohne Geld.
  • 8:43 - 8:48
    Die Speicherkarte mit Bildern und Videos
    war alles, was ich noch hatte.
  • 8:49 - 8:52
    Als meine Dokumentation im australischen
    Fernsehen ausgestrahlt wurde,
  • 8:52 - 8:55
    erfuhren viele meiner Freunde
    von meiner Lage
  • 8:55 - 8:57
    und versuchten, mir zu helfen.
  • 8:57 - 9:00
    Sie verboten mir eine weitere
    lebensgefährliche Überfahrt.
  • 9:00 - 9:05
    Ich blieb in Indonesien und wandte mich
    an das UN-Flüchtlingskommissariat.
  • 9:05 - 9:08
    Aber ich hatte Angst,
  • 9:08 - 9:12
    dort jahrelang untätig
    und arbeitslos festzusitzen
  • 9:12 - 9:15
    wie alle anderen Asylwerber.
  • 9:16 - 9:18
    Mir erging es jedoch anders.
  • 9:20 - 9:23
    Ich hatte Glück.
  • 9:23 - 9:28
    Dank meiner Kontakte wurde mein Fall
    beim UN-Kommissariat schnell bearbeitet
  • 9:28 - 9:32
    und ich wurde im Mai 2013
    nach Australien umgesiedelt.
  • 9:33 - 9:37
    Nicht jeder Asylwerber hat so viel Glück.
  • 9:37 - 9:44
    Es ist sehr schwer, im Ungewissen zu leben
    und in der Luft zu hängen.
  • 9:46 - 9:48
    Die Asylwerber-Frage
  • 9:48 - 9:51
    wird in Australien so stark politisiert,
  • 9:51 - 9:54
    dass sie ihre menschliche
    Seite verloren hat.
  • 9:54 - 10:00
    Die Asylwerber werden in der öffentlichen
    Berichterstattung als böse dargestellt.
  • 10:00 - 10:05
    Ich hoffe, meine Geschichte
    und die anderer Hazara
  • 10:05 - 10:09
    geben einen kleinen Einblick
  • 10:09 - 10:13
    in das Leid dieser Menschen
    in ihren Heimatländern,
  • 10:14 - 10:17
    in das Leid, das sie auf sich nehmen,
  • 10:17 - 10:21
    und die Gründe, warum sie
    als Asylwerber ihr Leben riskieren.
  • 10:21 - 10:22
    Danke.
  • 10:22 - 10:23
    (Applaus)
Title:
Meine gefährliche Reise mit einem Menschenschmuggler
Speaker:
Barat Ali Batoor
Description:

Der Fotojournalist Barat Ali Batoor lebte in Afghanistan – bis er wegen seiner gewagten Tätigkeit das Land verlassen musste. Für den Angehörigen der vertriebenen Volksgruppe der Hazara war die Rückkehr in seine Heimat Pakistan jedoch ebenso lebensbedrohlich. Die Suche nach einem sichereren Ort bestand für ihn nicht einfach im Kauf eines Flugtickets. Vielmehr musste er einen Menschenschmuggler bezahlen und sich der Masse an verzweifelten Bootsflüchtlingen anschließen. Er dokumentiert diese grauenvolle Reise auf dem Ozean mit eindringlichen Fotografien.

more » « less
Video Language:
English
Team:
closed TED
Project:
TEDTalks
Duration:
10:37

German subtitles

Revisions Compare revisions