Der erstaunliche Zusammenhang zwischen Hirnverletzungen und Kriminalität
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0:01 - 0:03Ein Schädel-Hirn-Trauma oder SHT,
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0:03 - 0:09ist eine Verletzung des Gehirns,
bedingt durch einen Schlag auf den Kopf. -
0:09 - 0:11Wenn man diese Definition hört,
-
0:11 - 0:15denkt man vermutlich
an Sport und Profisportler, -
0:15 - 0:19da wir solche Verletzungen
üblicherweise auf dem Spielfeld sehen. -
0:19 - 0:25Diese Bilder prägen
das allgemeine Verständnis von SHT. -
0:25 - 0:27Ich selbst forsche über SHT
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0:27 - 0:30unter ehemaligen Sportlern
und Sportstipendianten. -
0:30 - 0:33Ich stand 2010 auf einer TED-Bühne,
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0:33 - 0:37und erzählte über Gehirn-
erschütterung im Kindersport. -
0:37 - 0:40Als jemand, der diese Verletzungen
erforscht und behandelt, -
0:40 - 0:45freut mich das wachsende
Bewusstsein für SHT -
0:45 - 0:49und vor allem für die Kurz- und
Langzeitfolgen für Sportler wirklich. -
0:50 - 0:55Heute möchte ich Ihnen eine größere,
aber nicht weniger umstrittene -
0:55 - 0:59Menschengruppe vorstellen,
die durch ein SHT beeinträchtigt ist, -
0:59 - 1:02die nicht oft in den
Schlagzeilen erscheint. -
1:02 - 1:06Mittlerweile zähle ich
diese Häftlinge und Probanden -
1:06 - 1:12erstaunlicherweise zum
verletzlichsten Teil unserer Gesellschaft. -
1:12 - 1:13In den letzten sechs Jahren
-
1:13 - 1:16haben meine Kollegen und ich
Forschungen angestellt, -
1:16 - 1:19die unsere Sichtweise auf das
Strafrechtssystem und die Leute darin -
1:19 - 1:20komplett veränderten.
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1:20 - 1:23Es könnte Ihre Sichtweise darauf
ebenfalls verändern. -
1:23 - 1:25Ich beginne mit einer
schockierenden Statistik: -
1:27 - 1:3150 bis 80 Prozent der Menschen
innerhalb der Strafjustiz -
1:31 - 1:33haben ein Schädel-Hirn-Trauma.
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1:34 - 1:37Bis zu 80 Prozent.
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1:37 - 1:41In der allgemeinen Bevölkerung,
in diesem Raum beispielsweise, -
1:41 - 1:43ist die Zahl niedriger als fünf Prozent.
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1:44 - 1:47Ich spreche nicht
von Gehirnerschütterungen. -
1:47 - 1:51Dies sind Verletzungen,
die stationär behandelt werden müssen. -
1:52 - 1:55Sie sind meist das Ergebnis
von körperlichen Übergriffen, -
1:56 - 1:59zum Teil hat man sie aber auch
im Gefängnis erlitten. -
1:59 - 2:04Diese Zahlen sind sogar höher unter
den Frauen innerhalb der Strafjustiz. -
2:04 - 2:09Fast jede Frau im Strafrechtssystem
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2:09 - 2:13war bereits Opfer
von Gewalt und Missbrauch. -
2:14 - 2:20Mehr als die Hälfte dieser Frauen haben
wiederholt Gehirnverletzungen erlitten. -
2:21 - 2:27Daher gleicht das Gehirn dieser Frauen
dem ehemaliger NFL-Spieler, -
2:28 - 2:33und sie haben das gleiche erhöhte Risiko
für Demenzkrankheiten im Alter. -
2:34 - 2:36Die gleichen Risiken.
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2:38 - 2:42SHT, gepaart mit psychischer Erkrankung,
Drogenmissbrauch und Trauma, -
2:42 - 2:45erschwert das Denken der Menschen.
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2:45 - 2:47Sie haben kognitive Beeinträchtigungen
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2:47 - 2:50wie schlechtes Urteilsvermögen
und Selbstbeherrschung, -
2:50 - 2:53Probleme, die die Strafjustiz
zu einer Drehtür machen. -
2:54 - 2:56Menschen werden verhaftet
und ins Gefängnis gebracht. -
2:57 - 2:59Sie geraten oft in Schwierigkeiten,
wenn sie dort sind. -
2:59 - 3:02Sie geraten in Schlägereien,
fallen von ihren Pritschen. -
3:02 - 3:05Sie werden freigelassen
und machen Dummheiten, -
3:05 - 3:08vergessen z. B. Pflichttermine
und werden erneut verhaftet. -
3:09 - 3:10Statistisch gesehen,
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3:10 - 3:14werden sie eher verhaftet als nicht.
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3:15 - 3:17Ein Kollege nennt das:
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3:17 - 3:22"In jeweils 30 Tagen
eine lebenslange Haftstrafe absitzen". -
3:22 - 3:26Oft wissen diese Leute nicht,
warum es so schwer für sie ist. -
3:26 - 3:29Sie haben die Kontrolle verloren
und sind frustriert. -
3:29 - 3:36Mit dem Wissen, dass SHT die Ursache
vieler dieser Probleme ist, -
3:36 - 3:42war das Ziel unserer Gruppe in Colorado,
den Kreislauf zu durchbrechen; -
3:42 - 3:44die Drehtür zu blockieren.
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3:44 - 3:48In Zusammenarbeit mit
meinen nationalen und lokalen Partnern, -
3:48 - 3:51erstellten wir einen Plan,
um alle berücksichtigen zu können: -
3:51 - 3:54das System, die Häftlinge
und die Probanden, -
3:54 - 3:55meine Absolventen.
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3:55 - 4:00In diesem Programm untersuchen wir,
wie jedes Gehirn funktioniert, -
4:00 - 4:03sodass wir grundsätzliche
Veränderungen vorschlagen können, -
4:03 - 4:05um das System effektiver zu machen
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4:05 - 4:06und sicherer.
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4:07 - 4:13Wenn ich "sicherer" sage, meine ich
nicht nur sicherer für die Häftlinge, -
4:13 - 4:15sondern auch für
die Justizvollzugsbeamten. -
4:16 - 4:20In gewisser Weise ist das
eine so einfache Herangehensweise. -
4:20 - 4:23Wir behandeln nicht die Gehirnverletzung.
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4:23 - 4:27Wir behandeln in erster Linie
das zu Grunde liegende Problem, -
4:27 - 4:29das Menschen in diese
Schwierigkeiten bringt. -
4:29 - 4:32Wir führen neuropsychologische
Schnelltests durch, -
4:33 - 4:37um Stärken und Schwächen in der Denkweise
der Häftlinge zu identifizieren. -
4:37 - 4:41Mit dieser Information
schreiben wir zwei Berichte. -
4:41 - 4:43Einen für das System,
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4:43 - 4:47mit konkreten Empfehlungen bezüglich
des Umgangs mit diesem Häftling. -
4:48 - 4:51Der andere ist ein Brief an den Häftling,
-
4:51 - 4:55mit konkreten Vorschlägen,
sich selbst zu kontrollieren. -
4:55 - 5:00Zum Beispiel, wenn unser Test besagt,
dass der Proband Schwierigkeiten hat, -
5:00 - 5:02Gehörtes zu behalten,
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5:02 - 5:05wäre das ein auditives Gedächtnisproblem.
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5:05 - 5:08In diesem Fall könnte unser Brief
an das Gericht vorschlagen, -
5:08 - 5:12dass der Proband Handouts
mit wichtigen Informationen bekommt. -
5:12 - 5:16Und in unserem Brief
an den Probanden würde u. a. stehen, -
5:16 - 5:20dass er immer ein Notizheft dabei hat, um
Informationen selbst notieren zu können. -
5:21 - 5:24Zunächst mal halte ich hier inne,
-
5:24 - 5:28um einen Punkt
wirklich deutlich zu machen: -
5:28 - 5:31Dieses Programm entzieht
niemand der Verantwortung, -
5:32 - 5:35oder rechtfertigt jemandes Verhalten.
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5:35 - 5:39Es geht darum, fest verankerte
negative Sichtweisen zu verändern -
5:39 - 5:42und die eigene Handlungs-
fähigkeit aufzubauen. -
5:42 - 5:45Eigentlich geht es darum,
Verantwortung zu übernehmen. -
5:45 - 5:47Die Häftlinge gelangen von:
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5:47 - 5:50"Ich bin ein totaler Reinfall;
ich bin ein Versager" -
5:50 - 5:52zu "Das kann ich nicht gut,
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5:52 - 5:55und Folgendes muss ich dagegen tun".
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5:56 - 5:59(Applaus)
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6:04 - 6:08Das System sieht dadurch
das problematische Verhalten von Insassen -
6:08 - 6:11als Dinge, die sie nicht können,
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6:11 - 6:13im Gegensatz zu Dingen,
die sie nicht machen wollen. -
6:13 - 6:15Diese veränderte Sichtweise --
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6:15 - 6:16Verhalten eher als Defizit
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6:16 - 6:19und weniger als völlige
Auflehnung zu sehen -- -
6:19 - 6:22ist der entscheidende Punkt
in diesem Programm. -
6:24 - 6:27Wir hören landesweit von Häftlingen,
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6:27 - 6:31sie schreiben und wollen vor allem wissen,
wie sie sich selbst helfen können. -
6:31 - 6:35Dies ist ein Auszug aus einem Brief
von Troy in Virginia, -
6:35 - 6:38ein Auszug aus einem
50 Seiten langen Brief. -
6:38 - 6:40Er schreibt:
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6:40 - 6:41"Können Sie mir sagen,
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6:41 - 6:44was Sie von allen Kopftraumata halten,
die ich erlitten habe? -
6:44 - 6:48Was kann ich tun? Können Sie mir helfen?"
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6:48 - 6:51Vor unserer Tür gibt es
Tausende ähnlicher Geschichten, -
6:51 - 6:56und Erfolgsgeschichten
mit einem schönen Ausgang. -
6:56 - 6:58Das ist Vinny.
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6:58 - 7:01Vinny wurde mit 15
von einem Auto angefahren, -
7:01 - 7:06und verbrachte von da an
mehr Zeit im Gefängnis als in der Schule. -
7:06 - 7:08Durch das Erlernen
einiger Grundkompetenzen, -
7:08 - 7:10nachdem unser Test gezeigt hatte,
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7:10 - 7:13dass er erhebliche
Gedächtnisstörungen hatte, -
7:13 - 7:14lernte Vinny,
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7:14 - 7:17die Alarm- und Erinnerungsfunktion
seines iPhones zu benutzen, -
7:17 - 7:19um wichtige Termine im Auge zu behalten.
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7:20 - 7:23Und er hat eine Checkliste,
um größere Aufgaben -
7:23 - 7:26in kleinere, überschaubare zu unterteilen.
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7:26 - 7:28Mit Hilfe eines solchen Basistools
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7:28 - 7:31ist Vinny seit zwei Jahren
aus dem Gefängnis, -
7:31 - 7:32seit neun Monaten clean,
-
7:32 - 7:34und seit kurzem geht er wieder arbeiten.
-
7:35 - 7:38(Applaus)
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7:42 - 7:44Bei Vinny fällt besonders auf,
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7:44 - 7:48dass er zum ersten Mal nicht
unter richterlichen Aufsicht steht, -
7:48 - 7:51seit seiner Verletzung vor über 15 Jahren.
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7:52 - 7:55Er fand den Weg aus der Drehtür.
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7:56 - 7:59(Applaus)
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8:01 - 8:05Er sagt jetzt: "Ich kann alles erreichen.
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8:06 - 8:09Ich muss nur viel härter dafür arbeiten."
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8:09 - 8:10(Lacht)
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8:10 - 8:12Das ist Thomas.
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8:12 - 8:16Thomas leidet unter Aufmerksamkeits-
und Verhaltensstörungen, -
8:16 - 8:20nachdem er aufgrund einer Verletzung
über einen Monat im Koma lag. -
8:21 - 8:23Nachdem er wieder Gehen gelernt hatte,
-
8:23 - 8:24war sein erster Halt
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8:24 - 8:26ein Gericht.
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8:26 - 8:29Er konnte sich eine Zukunft
ohne Schwierigkeiten nicht vorstellen. -
8:29 - 8:31Er trägt nun einen Kalender bei sich,
-
8:31 - 8:34um keinen Gerichtstermin
mehr zu versäumen, -
8:34 - 8:37und er plant für jeden Tag eine Pause ein,
-
8:37 - 8:40um verschnaufen zu können,
bevor es zu viel wird. -
8:42 - 8:44Niemand kennt die Drehtür besser,
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8:44 - 8:47als die Person vorne im Gerichtssaal.
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8:47 - 8:50Das ist mein guter Freund und Kollege
Richter Brian Bowen. -
8:50 - 8:55Richter Bowen arbeitete schon daran,
dass das System für jeden arbeitet, -
8:55 - 8:59und als er von diesem Programm hörte,
sah er die optimale Lösung. -
8:59 - 9:02Er trifft sich mit
all seinen Staatsanwälten, -
9:02 - 9:06um ihnen die zwei Kategorien
von Angeklagten zu erklären, -
9:06 - 9:08die es im Gerichtssaal gibt:
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9:08 - 9:12Diejenigen, die wir fürchten --
oftmals begründet -- -
9:12 - 9:14und diejenigen, auf die wir wütend sind.
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9:15 - 9:18Das sind die, die all ihre
vereinbarten Termine versäumen, -
9:18 - 9:21und gegen festgesetzte
Bewährungsauflagen verstoßen. -
9:21 - 9:24Richter Bowen glaubt,
dass man mit etwas mehr Unterstützung -
9:24 - 9:26die Menschen aus der letzten Kategorie,
-
9:26 - 9:28der "Wütend machen"-Kategorie,
-
9:28 - 9:31durch und letztlich
aus dem System bewegen kann. -
9:32 - 9:36Er zeigte das mit Navy-Veteran Mike.
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9:36 - 9:39Richter Bowen sah den Zusammenhang
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9:39 - 9:42zwischen Mikes Sturz
aus über 20 Meter Höhe, -
9:42 - 9:47und seiner langjährigen
Schwierigkeit am richtigen Tag -
9:47 - 9:50zu Gerichtsterminen zu erscheinen,
-
9:50 - 9:52oder Pflichtauflagen nachzukommen.
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9:53 - 9:57Anstatt ihn zu immer mehr
Gefängnisstrafen zu verdonnern, -
9:57 - 10:02schickte ihn Richter Bowen mit Karten,
Checklisten und Handouts nach Hause, -
10:02 - 10:06und empfahl stattdessen
berufliche Wiedereingliederung, -
10:06 - 10:09und flexible Terminplanung für Therapien.
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10:09 - 10:13Dank dieser Hilfsmittel
kann Mike wieder arbeiten gehen, -
10:13 - 10:17erstmals seit seiner Verletzung
während seinem Wehrdienst. -
10:17 - 10:20Er pflegt wieder
Kontakt zu seiner Familie, -
10:20 - 10:22und erst letzten Monat
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10:22 - 10:25beendete er Richter Bodens
Veteranen-Programm. -
10:25 - 10:28(Applaus)
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10:33 - 10:38Dieses Programm zeigt
die eklatante Häufigkeit -
10:38 - 10:41von Schädel-Hirn-Traumata
gepaart mit kognitiven Störungen -
10:41 - 10:45und die sich daraus ergebenden Schwächen
des Strafrechtssystems. -
10:46 - 10:52Es unterstreicht die Bedeutung von
Anpassungsfähigkeit und Verantwortung. -
10:53 - 10:55In der Geschichte von Mike,
Thomas und Vinny, -
10:55 - 10:57und sogar in der von Richter Bowen,
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10:57 - 11:01konnte man die Verwandlung sehen,
bedingt durch eine andere Sichtweise -
11:01 - 11:04und einige einfache Maßnahmen.
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11:05 - 11:07In diesem Programm
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11:07 - 11:13sehen sich Häftlinge und Probanden
in einem anderen Licht. -
11:14 - 11:16Das System sieht sie mit anderen Augen,
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11:17 - 11:20und wenn Sie in der
Öffentlichkeit auf sie stoßen, -
11:20 - 11:23hoffe ich, Sie sehen sie
auch mit anderen Augen. -
11:23 - 11:25Vielen Dank.
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11:25 - 11:28(Applaus)
- Title:
- Der erstaunliche Zusammenhang zwischen Hirnverletzungen und Kriminalität
- Speaker:
- Kim Gorgens
- Description:
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So sieht die schockierende Statistik aus: 50 bis 80 Prozent der Menschen im Straftrechtssystem in den USA haben ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten. In der allgemeinen Bevölkerung liegt diese Zahl bei unter fünf Prozent. Neuropsychologin Kim Gorgens stellt ihre Forschungsergebnisse vor, über den Zusammenhang zwischen Hirntraumata und dem Verhalten von Menschen, das sie in der Drehtür der Strafjustiz gefangen hält -- und zeigt einige Wege, das System effektiver und sicherer für alle zu machen.
Dieser Vortrag wurde bei einem TEDx-Event gehalten, der dem Format für TED-Konferenzen entspricht, aber eigenständig von einem lokalen Veranstalter organisiert wurde. Erfahren Sie mehr unter http://ted.com/tedx.
- Video Language:
- English
- Team:
- closed TED
- Project:
- TEDTalks
- Duration:
- 11:42
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