Wie man ein Familienabendessen nutzt, um Politik zu lehren
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0:02 - 0:05Vor zwanzig Jahren führte
meine Familie ein System ein, -
0:05 - 0:09die sogenannte "Freitags-
Demokratie-Versammlung". -
0:10 - 0:15Jeden Freitag um 19 Uhr trafen wir uns
zu einem offiziellen Meeting, -
0:15 - 0:19um aktuelle Familienangelegenheiten
zu besprechen. -
0:20 - 0:23Einer meiner Eltern war der Moderator,
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0:23 - 0:26und wir hatten sogar
einen Protokollführer. -
0:26 - 0:28Diese Meetings hatten zwei Grundsätze.
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0:28 - 0:301. Du darfst frei sprechen.
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0:31 - 0:34Wir Kinder durften
unsere Eltern kritisieren -
0:34 - 0:37ohne dafür als respektlos
oder frech angesehen zu werden. -
0:37 - 0:40Die 2. Regel war die Chatham Haus-Regel:
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0:40 - 0:44Alles was im Meeting
besprochen wurde, bleibt unter uns. -
0:44 - 0:45(Lachen)
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0:45 - 0:47Die Themen, die wir
in den Meetings diskutierten -
0:47 - 0:50variierten von Woche zu Woche.
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0:50 - 0:53In der einen Woche sprachen wir darüber,
was wir zum Essen haben wollten, -
0:53 - 0:56um wie viel Uhr wir Kinder
zu Bett gehen sollten, -
0:56 - 0:58und wie wir Dinge als
Familie verbessern können, -
0:58 - 1:03während wir in anderen Meetings besprachen
was in der Schule passiert war, -
1:03 - 1:07und wie Streitigkeiten zwischen
Geschwistern gelöst werden konnten, -
1:07 - 1:09womit ich richtigen Zoff meine.
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1:09 - 1:13Gegen Ende jedes Treffens haben wir
Entscheidungen und Abmachungen getroffen, -
1:13 - 1:17die wir mindestens bis zur nächsten
Woche einhalten würden. -
1:17 - 1:21Man könnte also sagen, dass ich
zur Politikerin erzogen wurde. -
1:23 - 1:27Mit sechs oder sieben Jahren
war ich eine Expertin in Politik. -
1:27 - 1:30Ich habe verhandelt, bin
Kompromisse eingegangen, -
1:30 - 1:33habe Bündnisse mit anderen
Politikern gegründet. -
1:33 - 1:35(Lachen)
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1:35 - 1:39Und ich habe sogar einmal versucht,
den politischen Prozess zu sabotieren. -
1:39 - 1:40(Lachen)
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1:41 - 1:46Diese Treffen hören sich sehr friedlich,
gesittet und demokratisch an, nicht wahr? -
1:46 - 1:48Aber das war nicht immer so.
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1:48 - 1:53Aufgrund der Erlaubnis offen zu sprechen,
zu diskutieren und zu kritisieren, -
1:53 - 1:56gab es manchmal erhitzte Gemüter.
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1:57 - 1:59Eines der Meetings ging
wirklich übel für mich aus. -
1:59 - 2:01Ich war damals ungefähr zehn Jahre alt,
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2:01 - 2:04und hatte etwas böses
in der Schule angestellt, -
2:04 - 2:05was ich heute nicht verraten werde --
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2:05 - 2:06(Lachen)
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2:07 - 2:11aber mein Bruder entschied
es im Meeting anzusprechen. -
2:11 - 2:13Ich konnte mich nicht verteidigen,
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2:13 - 2:17also beschloss ich das Meeting zu
verlassen und das System zu boykottieren. -
2:17 - 2:20Ich gab meinem Vater einen
offiziellen Brief, in welchem stand, -
2:20 - 2:22dass ich die Meetings nun boykottiere.
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2:22 - 2:24(Lachen)
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2:24 - 2:28Ich dachte, wenn ich nicht mehr
an den Treffen teilnehme, -
2:28 - 2:30wird das System zusammenbrechen,
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2:30 - 2:32(Lachen)
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2:32 - 2:34aber meine Familie
fuhr mit den Meetings fort, -
2:34 - 2:38und sie trafen oft Entscheidungen,
die mir nicht gefielen. -
2:38 - 2:40Aber ich konnte mich nicht
gegen sie wehren, -
2:40 - 2:42denn ich war bei den Meetings nicht dabei
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2:42 - 2:45und hatte somit kein Recht,
Einspruch einzulegen. -
2:46 - 2:50Als ich dreizehn Jahre alt wurde,
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2:50 - 2:53nahm ich ironischerweise wieder
an einem der Meetings teil, -
2:53 - 2:56nachdem ich sie für eine lange Zeit
boykottiert hatte. -
2:56 - 3:00Der Grund dafür war, dass es ein
Problem gab, das nur mich betraf, -
3:00 - 3:04und das niemand aus meiner Familie
bisher angesprochen hatte. -
3:05 - 3:09Das Problem war, dass
ich immer die einzige war, -
3:09 - 3:13die nach dem Abendessen
das Geschirr spülen musste, -
3:13 - 3:16während meine Brüder nie einen
Finger krumm machen mussten. -
3:17 - 3:22Ich fand das Ganze ungerecht,
unfair und diskriminierend, -
3:22 - 3:24und wollte es deswegen in
einem Meeting ansprechen. -
3:24 - 3:30Die Ansicht, dass es die Aufgabe der Frau
ist, sich um den Haushalt zu kümmern, -
3:30 - 3:34ist eine alteingesessene Rollenverteilung
in vielen Gesellschaften, -
3:34 - 3:38und um diese als ein 13-jähriges Mädchen
zu ändern, brauchte ich eine Plattform. -
3:39 - 3:42Im Meeting beschwerten sich meine Brüder,
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3:42 - 3:45dass keiner der Jungen, die sie kannten,
Geschirr spülen musste, -
3:45 - 3:48und warum das also in unserer Familie
anders sein sollte? -
3:48 - 3:53Aber meine Eltern stimmten mir zu,
dass meine Brüder mir helfen sollten. -
3:53 - 3:57Sie konnten sie aber nicht dazu zwingen,
und so existierte das Problem weiter. -
3:57 - 4:02Weil ich also keinen Ausweg sah,
nahm ich an einem weiteren Meeting teil -
4:02 - 4:06und schlug ein neues System vor,
welches fair für alle sein würde. -
4:06 - 4:09Mein Vorschlag war, anstatt eine Person
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4:09 - 4:13das schmutzige Geschirr
von der ganzen Familie spülen zu lassen, -
4:13 - 4:17sollte jedes Familienmitglied
sein eigenes Geschirr spülen. -
4:17 - 4:19Und als eine Geste des guten Willens
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4:19 - 4:22erklärte ich mich dazu bereit,
auch die Töpfe zu spülen. -
4:22 - 4:25So konnten meine Brüder
sich nicht mehr beschweren, -
4:25 - 4:27dass es als Mann nicht ihre Aufgabe sei,
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4:27 - 4:31das Geschirr zu spülen
oder der Familie hinterher zu räumen, -
4:31 - 4:34denn in dem System
das ich vorgeschlagen hatte, -
4:34 - 4:40wäre jeder für sich und sein
eigenes Geschirr verantwortlich. -
4:40 - 4:42Alle stimmten meinem Vorschlag zu,
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4:42 - 4:46und jahrelang spülten wir
unser Geschirr nach diesem System. -
4:48 - 4:52Ich habe Ihnen gerade von einer
Familiengeschichte erzählt, -
4:52 - 4:54die aber eigentlich reine Politik ist.
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4:54 - 4:58In jeder Faser der Politik geht es darum
Entscheidungen zu treffen, -
4:58 - 5:01und idealerweise sollte der Prozess dafür
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5:01 - 5:04Menschen verschiedener Hintergründe,
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5:04 - 5:07Interessen, Meinungen, Geschlechter,
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5:07 - 5:11Glaubensrichtungen, Abstammungen,
Völker, Altersklassen usw. integrieren. -
5:11 - 5:14Und alle diese Menschen sollten eine
gleichwertige Chance haben, -
5:14 - 5:18am Entscheidungsprozess mitzuwirken
und die Entscheidungen zu beeinflussen, -
5:18 - 5:22die ihr Leben direkt oder
indirekt betreffen werden. -
5:23 - 5:29Deshalb kann ich es kaum nachvollziehen
wenn ich junge Leute sagen höre: -
5:29 - 5:33"Ich bin zu jung für Politik, und zu jung
um eine politische Meinung zu vertreten". -
5:34 - 5:36Ähnlich geht es mir wenn
ich Frauen sagen höre: -
5:36 - 5:40"Politik ist ein schmutziges Geschäft
mit dem ich nichts zu tun haben will", -
5:40 - 5:44und ich befürchte dass die Vorstellung
von Politik und politischem Engagement -
5:44 - 5:48in vielen Teilen der Welt
so polarisiert wurde, -
5:48 - 5:53dass gewöhnliche Menschen glauben,
um an Politik teilnehmen zu können, -
5:53 - 5:56müssten sie forsche Aktivisten sein,
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5:56 - 5:57und das stimmt einfach nicht.
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5:58 - 6:04Ich möchte diese jungen Menschen, Frauen,
und gewöhnliche Leute generell fragen: -
6:04 - 6:10Können Sie es sich leisten, an Politik
nicht interessiert oder beteiligt zu sein? -
6:10 - 6:12Politik ist nicht nur Aktivismus.
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6:12 - 6:13Politik bedeutet wach,
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6:13 - 6:16informiert, und an den Fakten
interessiert zu sein. -
6:16 - 6:18Wenn möglich, bedeutet es,
wählen zu gehen. -
6:19 - 6:22Politik ist das Werkzeug, durch
das wir uns zusammen finden, -
6:22 - 6:24als Gruppen und Gesellschaften.
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6:24 - 6:27Politik bestimmt jeden
Aspekt unseres Lebens -
6:27 - 6:29und wenn Sie sich nicht an ihr beteiligen,
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6:29 - 6:34erlauben Sie anderen Leuten zu entscheiden
was Sie essen, welche Kleidung Sie tragen, -
6:34 - 6:37ob Sie eine medizinische
Versorgung erhalten, -
6:37 - 6:38oder kostenfreie Bildung,
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6:38 - 6:40wie viele Steuern Sie zahlen müssen,
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6:40 - 6:41wann Sie in Rente gehen können,
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6:41 - 6:43wie hoch Ihre Pension sein wird.
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6:43 - 6:47Andere Leute entscheiden auch, ob Ihre
Abstammung oder ethnische Herkunft -
6:47 - 6:49Grund genug ist um Sie als
Verbrecher einzustufen -
6:49 - 6:54oder ob Ihre Religion und Nationalität
alleine Sie zum Terroristen machen. -
6:54 - 6:58Und wenn Sie immer noch glauben, ein
starker, unabhängiger Mensch zu sein, -
6:58 - 7:01den Politik nicht betrifft,
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7:01 - 7:03überlegen Sie es sich zweimal.
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7:04 - 7:07Ich spreche zu Ihnen als eine
junge Frau aus Libyen, -
7:07 - 7:10ein Land, das sich in Mitten eines
Bürgerkrieges befindet. -
7:10 - 7:13Nach über 40 Jahren autoritärer Herrschaft
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7:13 - 7:16ist es kein Ort wo politisches Engagement
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7:16 - 7:19von Frauen und jungen Menschen
ermöglicht oder ermutigt wird. -
7:19 - 7:23Bei fast allen politischen
Verhandlungen der letzten Jahre, -
7:23 - 7:25auch jene initiiert von
ausländischen Mächten, -
7:26 - 7:28waren nur Männer
mittleren Alters anwesend. -
7:29 - 7:33Aber in Gebieten mit einem defekten
politischen System wie in Libyen, -
7:33 - 7:38oder in scheinbar gut organisierten Orten,
auch in internationalen Organisationen, -
7:38 - 7:42sind die Systeme, die wir heutzutage für
politische Entscheidungsprozesse haben -
7:42 - 7:45nicht von dem Volk für das Volk gemacht,
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7:45 - 7:49sondern sie wurden von einigen wenigen
für einige wenige ins Leben gerufen. -
7:49 - 7:56Und diese wenigen sind historisch
gesehen fast immer nur Männer, -
7:56 - 7:59und sie haben Gesetze, Richtlinien
und Mechanismen erlassen, -
7:59 - 8:04die eine Beteiligung an Politik
an die Meinungen und Einstellungen, -
8:04 - 8:07Weltansichten, Träume und Ziele
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8:07 - 8:09dieser einen Gruppen bindet,
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8:09 - 8:12während alle anderen
ausgeschlossen wurden. -
8:13 - 8:17Denn wir haben alle schon diesen Satz
in den verschiedensten Varianten gehört: -
8:17 - 8:21"Was versteht eine Frau, auch noch
eine die jung und dunkelhäutig ist, -
8:21 - 8:23von Politik?"
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8:23 - 8:25Wenn du jung bist,
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8:25 - 8:27und, in vielen Orten der Welt, eine Frau,
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8:27 - 8:32hörst du erfahrene Politiker oft sagen:
"Dir fehlt politische Erfahrung." -
8:33 - 8:34Und wenn ich das höre,
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8:34 - 8:37frage ich mich, welche Art der
Erfahrung sie damit meinen? -
8:37 - 8:41Erfahren zu sein in
korrupten politischen Systemen? -
8:41 - 8:43Oder darin, Kriege zu führen?
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8:43 - 8:45Oder meinen sie damit erfahren zu sein,
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8:45 - 8:48das Interesse an wirtschaftlichen Gewinnen
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8:48 - 8:50den Interessen der Umwelt vorzuziehen?
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8:50 - 8:52Denn wenn das politische Erfahrung ist,
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8:52 - 8:53dann ja --
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8:53 - 9:00(Applaus)
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9:03 - 9:08Wir, als Frauen und junge Menschen, haben
überhaupt keine politische Erfahrung. -
9:09 - 9:15Aber Politiker tragen nicht
alleine die Schuld daran, -
9:15 - 9:21weil sich gewöhnliche Menschen, und
dazu gehören auch viele junge Menschen, -
9:21 - 9:23nicht für Politik interessieren.
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9:23 - 9:28Und sogar die, die sich interessieren,
wissen nicht wie sie teilnehmen können. -
9:28 - 9:31Das muss sich ändern,
und hier ist mein Vorschlag. -
9:31 - 9:34Wir müssen Menschen
von klein auf beibringen, -
9:34 - 9:38am Entscheidungsprozess teilzunehmen.
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9:38 - 9:41Jede Familie ist ihr eigenes
politisches Mini-System, -
9:41 - 9:44das normalerweise nicht
demokratisch ausgerichtet ist, -
9:44 - 9:48da die Eltern Entscheidungen fällen,
welche die ganze Familie betreffen, -
9:48 - 9:51während die Kinder wenig zu sagen haben.
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9:51 - 9:55Ähnlich treffen Politiker Entscheidungen,
die die ganze Nation betreffen, -
9:55 - 9:58während das Volk wenig mitzureden hat.
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9:59 - 10:01Wir müssen das ändern,
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10:01 - 10:04und um diese Veränderung
systematisch herbeizuführen, -
10:04 - 10:06müssen wir den Menschen beibringen,
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10:06 - 10:09dass politische, nationale
und globale Angelegenheiten -
10:09 - 10:15genauso von Bedeutung für sie sind,
wie Privat- und Familienangelegenheiten. -
10:15 - 10:20Wenn wir dies also erreichen wollen,
dann ist mein Vorschlag und mein Rat, -
10:20 - 10:23das System der Familien-
Demokratie auszuprobieren. -
10:23 - 10:27Denn das wird Ihren Kindern
Handlungsfähigkeit lehren, -
10:27 - 10:30und entscheidungsfreudig zu sein,
schon von klein auf. -
10:30 - 10:33In der Politik geht es darum,
Gespräche zu führen, -
10:33 - 10:36schwierige Gespräche mit inbegriffen,
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10:36 - 10:38die in Entscheidungen resultieren.
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10:38 - 10:42Und um ein Gespräch führen zu können,
müssen Sie dabei sein -
10:42 - 10:44und nicht das Handtuch werfen so wie ich,
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10:44 - 10:48um dann meine Lektion auf die harte Tour
zu lernen und zurückkommen zu müssen. -
10:48 - 10:50Beziehen Sie ihre Kinder
in Familiengespräche ein, -
10:50 - 10:51werden sie damit groß
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10:51 - 10:55und wissen wie man an politischen
Gesprächen teilnimmt. -
10:55 - 10:58Und das allerwichtigste ist,
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10:58 - 11:00dass sie so anderen helfen mitzumachen.
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11:00 - 11:01Vielen Dank.
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11:01 - 11:08(Applaus)
- Title:
- Wie man ein Familienabendessen nutzt, um Politik zu lehren
- Speaker:
- Hajer Shrief
- Description:
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Jeder sollte sich an Entscheidungsprozessen und Politik beteiligen -- und das fängt zu Hause an, sagt Aktivistin Hajer Sharief. Sie stellt eine einfache, aber transformative Idee vor: Eltern können ihren Kindern politische Handlugsfähigkeiten beibringen, indem sie ihnen ein Mitspracherecht bei der Haushaltsführung erlauben. Dies geschieht in Form aktiver Familientreffen, bei denen jeder seine Meinung äußern kann, verhandeln und Kompromisse eingehen kann. "Wir müssen den Menschen beibringen, dass politische, nationale und globale Angelegenheiten für sie genauso relevant sind wie persönliche und familiäre Angelegenheiten", sagt sie. "Können Sie es sich wirklich erlauben, nicht interessiert zu sein oder sich nicht an der Politik zu beteiligen?"
- Video Language:
- English
- Team:
- closed TED
- Project:
- TEDTalks
- Duration:
- 11:21
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