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Warum ich über das Leben mit Epilepsie spreche

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    Ich muss etwas gestehen.
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    Ich habe eine Affäre,
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    seit ich 17 bin.
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    Ich wünschte, ich könnte
    von Schmetterlingen im Bauch
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    oder auf den Boden
    gezeichneten Karten erzählen,
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    wenn ich an diese Affäre denke.
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    Kann ich aber nicht.
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    Ich wünschte, ich könnte
    von lieblichen Worten erzählen
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    oder von Geschenken
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    aus dieser Affäre.
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    Kann ich aber nicht.
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    Nur von den Nachwirkungen
    kann ich erzählen.
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    Von Tagen, an denen ich mich fragte:
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    Warum, warum ich?
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    Ich weiß noch, wie alles anfing.
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    Ich war mitten im Abschluss-Schuljahr
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    und meine Klasse hatte gerade
    in Sport gewonnen.
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    Wir sangen und tanzten
    und lagen uns in den Armen.
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    Ich ging duschen,
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    danach zum Essen.
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    Als ich mich zum Essen hinsetzte,
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    fingen meine Zähne an zu klappern.
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    Ich konnte den Löffel
    nicht an den Mund führen.
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    Ich eilte zur Schulschwester.
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    Weil ich nicht sprechen konnte,
    zeigte ich auf meinen Mund.
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    Sie wusste nicht, was los war
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    und befahl mir, mich hinzulegen.
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    Das half --
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    Nach einigen Minuten
    hörte das Klappern auf.
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    Als ich rausstürzen wollte,
    sagte sie --
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    nein, sie bestand darauf --
    dass ich schlafen gehe.
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    Mein Abschlussjahr im Gymnasium,
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    nur noch wenige Monate
    bis zu den Abschlussprüfungen,
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    wenige Tage vor einem Bündel Prüfungen,
    die in Kenia als "mocks" bekannt sind --
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    eine Art Maßstab für den Vorbereitungsgrad
    auf die Schlussprüfungen.
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    Auf keinen Fall würde ich schlafen
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    und die Prüfungen gefährden.
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    Ich ging zum Unterricht, setzte mich,
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    nahm meine Notizen
    zur Geschichte Kenias und legte los,
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    in die kenianische Küstenstadt
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    mit der großen Mekatilili wa Menza,
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    eine Frau der Giriama, die ihr Volk gegen
    die britische Kolonialmacht anführte.
  • 2:15 - 2:18
    Plötzlich, ganz ohne Vorwarnung,
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    fing meine linke Hand an zu zucken.
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    Es war, als ob ich imaginäre Blätter
    markieren würde.
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    Immer wieder,
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    ein Strich nach dem anderem.
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    Meine Klassenkameraden
    hörten auf zu lesen
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    und beobachteten mich.
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    Ich versuchte aufzuhören,
  • 2:41 - 2:43
    aber ich konnte nicht.
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    Meine Hand führte ein Eigenleben.
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    Als schließlich alle Blicke
    auf uns ruhten,
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    begann die Vorstellung,
    die offizielle Einführung --
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    mein erster richtiger Anfall.
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    Hiermit begann eine bereits 15 Jahre
    andauernde Beziehung.
  • 3:06 - 3:12
    Anfälle sind das bestimmende Merkmal
    für die meisten Formen der Epilepsie.
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    und jeder erstmals auftretende Anfall
    muss von einem Arzt
  • 3:15 - 3:19
    auf eine mögliche Epilepsie
    untersucht werden.
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    Oder ob es sich um ein Symptom
    für etwas anderes handelt.
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    In meinem Fall stand fest,
    dass ich Epilepsie hatte.
  • 3:26 - 3:31
    Ich verbrachte eine ganze Weile
    im Krankenhaus und zu Hause
  • 3:31 - 3:34
    und kehrte nur zur Schlussprüfung zurück.
  • 3:35 - 3:39
    Zwischen den Prüfungen hatte ich Anfälle,
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    aber meine Noten reichten,
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    um mir den Weg zu einem
    aktuarwissenschaftlichen Studium
  • 3:45 - 3:47
    an der Universität Nairobi zu eröffnen.
  • 3:47 - 3:50
    (Beifall)
  • 3:53 - 3:57
    Leider musste ich
    im zweiten Jahr abbrechen.
  • 3:57 - 4:00
    Ich kam nicht gut genug zurecht
  • 4:00 - 4:02
    und hatte kein Stütznetzwerk.
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    Zum Glück konnte ich Arbeit finden,
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    aber ich wurde gefeuert, als ich
    in der Arbeit einen Anfall bekam.
  • 4:11 - 4:14
    Ich befand mich in dieser Lage,
  • 4:15 - 4:18
    in der ich mich immer wieder fragte,
  • 4:18 - 4:21
    warum gerade ich betroffen war.
  • 4:22 - 4:24
    Ich leugnete lange die Tatsachen,
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    vielleicht wegen all dem,
    was passiert war:
  • 4:32 - 4:36
    der Schulabbruch, die Kündigung.
  • 4:36 - 4:39
    Oder vielleicht wegen der Dinge,
    die ich über Epilepsie
  • 4:40 - 4:42
    und das Leben der Betroffenen
    gehört hatte:
  • 4:42 - 4:44
    dass sie nie selbständig leben könnten,
  • 4:45 - 4:47
    nie allein reisen könnten,
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    geschweige denn Arbeit finden könnten,
  • 4:49 - 4:51
    dass sie Außenseiter seien,
  • 4:51 - 4:55
    die von einem Geist in ihrem Innern
    befreit werden sollten.
  • 4:57 - 5:00
    Je mehr ich an diese Dinge dachte,
  • 5:00 - 5:04
    desto öfter kamen die Anfälle.
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    Ich verbrachte mehrere Tage
    mit umschlungenen Beinen,
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    meine Sprache klang verschwommen.
  • 5:11 - 5:15
    Dies würde tagelang so weitergehen.
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    Zwei bis drei Tage nach einem Anfall
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    würden bei mir Kopf und Hände
    noch zucken.
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    Ich fühlte mich verloren,
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    als ob ich alles verloren hätte,
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    manchmal sogar
  • 5:31 - 5:34
    meinen Lebenswillen.
  • 5:42 - 5:44
    (Seufzen)
  • 5:49 - 5:51
    Ich war so frustriert.
  • 5:52 - 5:54
    Ich fing an zu schreiben,
  • 5:54 - 5:56
    weil die Leute um mich herum
    keine Antworten
  • 5:56 - 5:59
    auf meine Fragen hatten.
  • 5:59 - 6:02
    Also schrieb ich von meinen Ängsten,
  • 6:02 - 6:03
    meinen Zweifeln.
  • 6:04 - 6:08
    Ich schrieb über die guten, die schlechten
    und die wirklich schrecklichen Tage.
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    Diese teilte ich in einem Blog.
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    Und binnen kurzer Zeit
  • 6:13 - 6:17
    wurde ich gesehen und gehört
    von Menschen mit Epilepsie
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    und ihren Angehörigen.
  • 6:19 - 6:22
    Sogar von Menschen ohne Diagnose.
  • 6:22 - 6:26
    Aus mir, dem Mädchen, das sich
    ständig fragte: "Warum gerade ich?"
  • 6:26 - 6:29
    wurde jemand, die nicht
    nur für sich selbst spricht,
  • 6:29 - 6:33
    sondern auch für die,
    die noch keine Stimme haben.
  • 6:35 - 6:38
    (Beifall)
  • 6:43 - 6:48
    Die Zahl meiner Anfälle ist deutlich
    zurückgegangen, von zwei bis drei am Tag
  • 6:48 - 6:50
    auf zwei bis drei im Jahr.
  • 6:50 - 6:52
    Ich machte weiter --
  • 6:52 - 6:54
    (Beifall)
  • 6:57 - 7:00
    Ich stellte fünf Leute ein
  • 7:00 - 7:02
    bei Kenias erstem
    gebührenfreiem Hilfetelefon
  • 7:02 - 7:06
    für psychische Gesundheit und Epilepsie.
  • 7:06 - 7:07
    Und ich reise --
  • 7:07 - 7:09
    (Beifall)
  • 7:10 - 7:14
    Und ich reise, um über
    meine Affäre zu sprechen.
  • 7:14 - 7:17
    Es geht um all diese Dinge,
    von denen mir gesagt wurde,
  • 7:17 - 7:21
    dass Leute wie ich
    sie nie machen könnten.
  • 7:21 - 7:26
    Jedes Jahr wird weltweit
    bei einer Anzahl Menschen,
  • 7:26 - 7:29
    die etwa 80 % der Bevölkerung
    Nairobis entspricht,
  • 7:29 - 7:31
    Epilepsie diagnostiziert.
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    Sie werden, so wie ich,
  • 7:33 - 7:37
    mit dem Gefühl von Stigmatisierung
    und Exklusion konfrontiert.
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    Deshalb befinde ich mich
    auf einer lebenslangen Reise,
  • 7:42 - 7:45
    um dieses Gespräch in Gang zu halten
  • 7:45 - 7:47
    und über meine Affäre zu sprechen.
  • 7:48 - 7:51
    Damit Menschen ohne Diagnose
  • 7:51 - 7:55
    wissen und daran erinnert werden,
  • 7:55 - 7:58
    dass sie mit uns in Kontakt
    kommen können.
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    Wenn sie die Mauern aus Stigmatisierung
    und Exklusion abreißen,
  • 8:04 - 8:06
    können wir, genauso wie sie,
  • 8:06 - 8:10
    alle Hürden meistern,
    die das Leben uns stellt.
  • 8:10 - 8:11
    Danke.
  • 8:11 - 8:13
    (Beifall)
Title:
Warum ich über das Leben mit Epilepsie spreche
Speaker:
Sitawa Wafula
Description:

Sitawa Wafula, Beraterin für psychische Gesundheit, war einst durch Epilepsie ans Haus gefesselt und fand später ihre Stärke darin, darüber zu schreiben. Heute ermutigt sie Betroffene dazu, Stigma und Exklusion zu überwinden und offen über ihr Leben zu sprechen.

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Video Language:
English
Team:
closed TED
Project:
TEDTalks
Duration:
08:29

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