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Title:
Die Kraft der Verbindung: Hedy Schleifer bei TEDxTelAviv
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Description:
Hedy Schleifer, klinische Psychologin sowie Paar- und Beziehungstherapie-Expertin, "überquert die Brücke" gemeinsam mit dem Publikum der TEDxTelAviv. Mit Lachen und Leidenschaft führt sie ein in die Kunst des Zuhörens.
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Ich fühle mich wirklich geehrt,
hier zu sein.
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Ich habe geweint,
ich habe gelacht,
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ich bin zutiefst gerührt worden.
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Und ich fühle mich wirklich geehrt,
am Leben zu sein.
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Ich bin dankbar,
am Leben zu sein.
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Meine Eltern waren 1944
im Konzentrationslager
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in Vichy, Frankreich.
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Meine Mutter organisierte die Flucht.
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Sie holte tatsächlich
meinen Vater heraus.
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Und meine Eltern
durchquerten die Alpen.
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Meine Mutter war mit mir schwanger.
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Und als sie an die
Schweizer Grenze kamen,
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war die Grenze für Flüchtlinge geschlossen.
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Meine Mutter warf sich
regelrecht in die Schweiz.
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Alles war für sie besser,
als zurück zu gehen
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in die Hölle, aus der sie kam.
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Und meinem Vater gelang es wenige Tage
später, sich hinein zu schmuggeln.
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1944 wurde ich geboren.
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Jahrzehnte später sitze ich mit meiner Mutter
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in einem Altenheim in Israel.
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Und ich kann es nicht ertragen,
sie so zu sehen.
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(Tränen, Seufzer)
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Sie sitzt in einem Rollstuhl.
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Sie weiß nicht, wer ich bin.
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Ich fühle mich schuldig. Ich bin traurig.
Ich bin zerrissen. Ich bin wütend.
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Dies ist meine Heldin.
Warum sollte sie hier sein?
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Und ich merke,
dass ich nicht wirklich bei ihr bin.
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Ich bin gefangen in meinen eigenen Emotionen.
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Und dann treffe ich eine Entscheidung.
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Ich werde die Brücke überqueren
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in die Welt meiner Mutter.
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Ich werde die Welt verlassen,
in der ich mich abmühe.
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Und ich werde mich aufmachen
und sie treffen.
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Und ich werde neue Augen mitbringen.
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Und so habe ich es gemacht.
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Ich kam, ich setzte mich ihr gegenüber
und ich überquerte die Brücke.
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Und ich landete in ihrer Welt.
Und ich sah sie an.
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Und sie sah mich an.
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Und in Jiddisch sagte sie:
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"Du bist mein Tochter."
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Du bist meine Tochter.
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Und ich fing an zu weinen, und mit den Händen
wischte sie sanft meine Tränen.
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Sie hatte mich monatelang nicht erkannt.
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Natürlich,
denn ich war nicht da gewesen -- emotional.
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Dieses Wunder mit meiner Mutter zeigt
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die "drei unsichtbaren Verbinder",
über die ich mit Ihnen heute reden möchte.
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Es ist der relationale Raum
-- der Raum.
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Es ist die Brücke zwischen den Welten
-- die Brücke.
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Und es ist die Begegnung.
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Das menschliche Wesen begegnet
menschlichem Wesen. Die Begegnung.
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Diese "drei unsichtbaren Verbinder"
-- Sie kennen sie.
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Sie leben sie.
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Aber möglicherweise haben Sie
diese nie so bezeichnet.
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In der Arbeit mit Paaren
über viele, viele Jahre
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bin ich zu der Einsicht gekommen,
dass dies die "drei unsichtbaren Verbinder" sind.
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Lassen Sie mich über den Raum sprechen.
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Der jüdische Philosoph Martin Buber sagte:
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"Unsere Beziehung lebt
im Raum zwischen uns."
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Sie lebt nicht in mir oder in dir,
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und selbst nicht
im Dialog zwischen uns beiden.
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Sie lebt in dem Raum,
den wir gemeinsam leben.
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Und er sagte:
"Dieser Raum ist heiliger Raum."
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Nun, sofern wir nicht von diesem Raum wissen,
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sofern wir nicht wissen,
wie wir Verantwortung übernehmen können
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für den Raum,
den wir gemeinsam leben,
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solange werden wir diesen
tatsächlich kontaminieren.
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So wie ich den Raum
mit meiner Mutter kontaminierte.
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Ich kontaminierte
den Raum mit meiner Mutter
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nicht, weil ich meine Gefühle fühlte.
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Ich kontaminierte
den Raum mit meiner Mutter
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weil ich unbewusst all diese Emotionen
in die Mitte zwischen uns legte
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-- unbewusst.
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Wenn wir nicht von dem Raum wissen,
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dann kontaminieren wir ihn ganz automatisch.
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Ein Wort, ein Blick,
eine Reaktion, ein Zurückziehen,
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eine Kritik, ein Urteil.
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Wir legen dies dort ab, unbewusst.
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Und der Raum wird ungemütlich.
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Und wenn der Raum ungemütlich ist,
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reagieren wir auf das Unbehagen im Raum
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und der Raum wird noch ungemütlicher.
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Und langsam aber sicher, Unbehagen nach Unbehagen, wird der Raum gefährlich.
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Und dann reagieren wir
auf die Gefahr in dem Raum.
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Und wie reagieren wir?
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Einige von uns reagieren mit
dem Explodieren unserer Energie.
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Wir sprechen lauter, wir schreien,
wir sagen viele Wörter,
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wir springen dir förmlich ins Gesicht.
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Einige von uns reagieren
auf die Gefahr im Raum
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durch Zusammenziehen, Verstecken,
Entziehen unserer Energie.
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Und sobald diese zwei Reaktionen
zusammenkommen
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als Reaktion auf die Gefahr in dem Raum,
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wächst diese Gefahr
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und jetzt reagieren wir gemeinsam
auf die Kontaminierung und die Gefahr,
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die wir gemeinsam erschaffen haben
im relationalen Raum.
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Was sollen wir tun?
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Wie übernehmen wir Verantwortung
für den Raum zwischen uns?
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Der heilig ist,
wie Martin Buber sagt.
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Hier kommt die Metapher
der Brücke ins Spiel.
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Wir übernehmen Verantwortung
für den Raum zwischen uns
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indem wir die Brücke überqueren
in die Welt des Anderen
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und unsere volle Präsenz
auf die andere Seite bringen.
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Wie machen wir das?
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Als Erstes,
setz dich hin.
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Atme tief durch.
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Stell deine Füße auf den Boden.
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Erlaube dir,
den gegenwärtigen Moment wahrzunehmen.
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Richte dich aus
im Hier und Jetzt.
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Mach dir bewusst,
dass du lebst! Sei dankbar
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für diesen Moment deines Lebens.
Jetzt gerade!
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Das ist bereits ein sehr wichtiger Anfang
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für deine Reise über die Brücke.
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Und dann beginne,
bewusst und bedacht
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die Brücke zu überqueren.
Lass das Gummiband los,
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das dich zurückzieht zu deinen Vorurteilen,
deiner Geschichte, deiner Identität,
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wer du denkst zu sein, deine Gefühle,
deine Emotionen, was immer in deiner Welt ist.
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Alles, was du über die Brücke mitnimmst
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ist eine kleine Plastiktüte,
transparent,
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mit einem Reisepass
und einem Visum.
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Der Grund, warum sie transparent sein muss:
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Du kannst nichts von dir selbst mitbringen
auf die andere Seite der Brücke.
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Und wenn du angekommen bist
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auf der anderen Seite:
Was tust du?
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Du hörst zu.
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Du hörst zu
mit offenem Herzen.
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Du hörst zu
mit neuen Augen.
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Marcel Proust, der französische Schriftsteller,
hat gesagt:
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"Das Abenteuer des Lebens handelt nicht davon,
neue Landschaften zu entdecken.
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Das Abenteuer des Lebens ist,
die alten mit neuen Augen zu sehen."
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Und du bringst deine neuen Augen
und dein offenes Herz
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und deine Freizügigkeit des Geistes
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und du hörst zu,
als wenn du eine neue Sprache lernst,
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eine neue Musik,
einen neuen Rhythmus.
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Du hörst zu,
indem du die Worte wiederholst.
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"Ich höre dich sagen."
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"Habe ich dich richtig verstanden?"
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Und du lernst. Du lernst die Landschaft
in dieser anderen Welt kennen.
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Und was kann also geschehen,
auf der anderen Seite?
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Was auf der anderen Seite passiert,
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ist die Begegnung.
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Was ist nun die Begegnung?
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Auf biologischer Ebene
ist die Begegnung
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die Resonanz zwischen zwei Gehirnen.
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Die relationalen Neurobiologen
nennen diese Resonanz die Gehirn-Brücke.
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Zwei limbische Systeme,
die gemeinsam schwingen.
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Der Samen unserer Emotionen
beginnt gemeinsam zu schwingen.
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Und die relationalen Neurobiologen
haben herausgefunden, dass,
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wenn diese Resonanz
zwischen zwei Gehirnen besteht,
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unser zentrales Nervensystem beginnt,
sich zu beruhigen.
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Weil, was sie auch entdeckt haben,
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unser Gehirn das einzige Organ in uns ist,
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das sich nicht von innen reguliert.
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Es reguliert sich von außen
durch ein anderes Gehirn.
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Wir brauchen einander
zur Selbstregulation.
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Wir können uns nur
durch den Anderen regulieren.
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Durch die Augen des Anderen.
Durch die Resonanz.
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Und was dann passiert,
ist sehr interessant,
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weil vor ca. 10 Jahren
relationale Neurobiologen
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die Spiegelneuronen entdeckt haben,
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die wir in unserem Gehirn haben.
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Unsere Fähigkeit zum Mitgefühl,
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zur Empathie,
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zum tiefen Verständnis des Anderen.
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Und während der Begegnung werden
diese Spiegelneuronen sehr lebendig.
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Und was passiert dann?
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Neue Nervenbahnen beginnen
sich im Gehirn zu bilden.
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Neue Nervenbahnen, die uns
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die Fähigkeit geben,
in Beziehung zu sein.
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Man hat herausgefunden, dass das Gehirn
eine enorme Plastizität aufweist.
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Es kann sich jederzeit
während unserer Lebenszeit ändern.
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Und diese neuen Nervenbahnen,
die in unserem Gehirn gebildet werden,
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geben uns die Möglichkeit,
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"beziehungsintelligenter"
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und "beziehungsreifer" zu werden.
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Also, das ist die Begegnung
im biologischen Sinne.
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Doch auf einem anderen Gebiet
ist es schwieriger zu definieren,
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was die Begegnung ist.
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Es ist das Aufeinandertreffen
zweier voller menschlicher Präsenzen.
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Oder zweier menschlicher Essenzen.
Oder die Lebenskraft in jedem Menschen.
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Oder das Treffen zweier Seelen.
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Und was ist die Lebenskraft?
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Was ist das menschliche Wesen?
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Mein Vater hat dazu eine Geschichte.
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Mein Vater hatte die größte Sammlung
jiddischer Geschichten im Universum.
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Und er liebte es,
sie zu erzählen.
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Und er lachte heftiger als jeder Andere,
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wenn er seine Geschichten erzählte.
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Diese Geschichte handelt von
Mr. Goldberg, dem Schneider.
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Jemand kam, um einen Anzug
von Mr. Goldberg, dem Schneider, zu erwerben.
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Und er zog den Anzug an und sagte:
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"Mr. Goldberg, dieser Anzug
sieht sehr merkwürdig aus.
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Dieser Ärmel passt überhaupt nicht."
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Mr. Goldberg schaut sehr ernst und er sagt:
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"Sie haben Recht. Für diesen Ärmel
müssen Sie Ihre Hand so halten. OK?"
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Der Mann sagt: "Wissen Sie, der andere Ärmel
passt überhaupt nicht."
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"Sehen Sie hier!" -- Mr. Goldberg sagt:
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"Sie haben völlig Recht. Für diesen Ärmel
halten Sie Ihre Hand so
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und halten diese Schulter wie folgt. OK?"
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"Was ist mit dem rechten Bein? Das rechte Bein
sieht sehr merkwürdig aus. Was ist damit?"
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Und Mr. Goldberg sagt: "Sie haben Recht.
Sie müssen nur Ihren Fuß
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ein bisschen nach innen setzen."
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"Was ist hiermit?", sagt er.
"Nun, für dieses halten Sie Ihren Fuß so."
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Nun war der Anzug in Ordnung und
der Mann kommt aus dem Laden des Schneiders
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und als er auf der Straße ist,
kommt ein Paar vorbei
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und die Frau sagt zu ihrem Ehemann:
"Was ein erstaunlicher Schneider!
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Ein Mann in diesem Zustand
-- und der Anzug passt ihm perfekt!"
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(Applaus)
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Nun ... Das sind wir.
Wir sind in diesem Anzug.
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Wir gehen in diesem Anzug herum,
weil wir uns an unser Leben angepasst haben.
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Und wir wissen nicht einmal, dass dies
ein Anzug ist, ein Überlebens-Anzug.
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Wir wissen,
dass dies wir sind.
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Als Beispiel: Wenn ich mich angepasst habe,
indem ich zurückgezogen, kalt und distanziert bin,
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denke ich: Das bin ich.
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Innerhalb des Anzugs
ist unser menschliches Wesen -- intakt!
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Innerhalb unserer Überlebens-Anpassung
sind wir unser Wesen.
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Und über die Brücke zu kommen ermöglicht
unserem Geist, genährt zu werden.
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Und dies ermöglicht die Transformation
von diesem Überlebens-Anzug
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hin zu unserem wahren
menschlichen Wesen.
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Es ist im miteinander Sein,
dass unser Wesen offenbart wird.
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Und es erinnert mich
an diesen wunderbaren Spruch:
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"Früher war ich anders.
Und jetzt bin ich gleich."
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Ich begann mit einer Geschichte
über meine Mutter.
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Ich möchte Ihnen jetzt eine
über meinen Enkel Leo erzählen.
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Ich war in Istanbul mit Leo.
Und wir waren im Bett,
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wir kuschelten und
schauten einen Film.
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Und am Ende des Films
sah mich Leo an
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und er sagte:
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"Babbe, Oma, ich liebe dich."
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Und ich sagte:
"Ich liebe dich auch, Leo."
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Und er sagte:
"Nein. Ich liebe dich."
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Und ich sagte: "Klar, mein Schatz,
du liebst mich und ich liebe dich."
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Er sagte:
"Nein, Babbe. Ich liebe dich."
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Und dann verstand ich.
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Er wollte nicht,
dass ich seine Liebe umlenke.
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Er wollte,
dass ich über die Brücke zu ihm komme,
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um seine reine, essenzielle Liebe
aufzunehmen, die er mir gegeben hat.
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Und so tat ich es.
Ich sah ihn an. Ich nahm ihn auf.
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Ich habe das eindringen lassen,
was er mir in diesem Augenblick gab.
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Und ich sagte:
"Leo, ich höre dich sagen: Du liebst mich."
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Und sein Gesicht leuchtete.
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Er lehrte mich,
dass es Mut braucht, verbunden zu sein.
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Ich möchte mit Ihnen eines
meiner Lieblings-Zitate teilen,
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vom Sufi-Dichter Rumi,
aus dem 13. Jahrhundert,
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der gesagt hat:
"Jenseits von richtig
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und jenseits von falsch
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existiert ein Feld.
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Dort werde ich dich treffen."
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Ich habe einen Traum.
Ich stelle mir 90 Millionen Paare vor,
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welche die "drei unsichtbaren
Verbinder" ehren,
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welche den Raum zwischen sich ehren,
die Brücke zueinander überqueren
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und einander begegnen,
menschliches Wesen zu menschlichem Wesen.
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Es ist enorm wichtig für mich,
weil unsere Kinder wachsen,
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im Raum zwischen uns.
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Der Raum zwischen dem Paar
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ist der Spielplatz des Kindes.
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Und wenn wir wissen,
wie wir diesen Raum ehren
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und heilig machen,
können unsere Kinder erblühen
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im heiligen Raum.
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Und ich habe einen Termin im Auge.
11. November 2012.
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Internationaler Tag
der Überquerung der Brücke.
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Er ist nicht nur für Paare.
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Er ist für Menschen
und er ist für Nationen.
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Ich stelle mir eine Zeit vor,
in der Nationen
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wissen werden,
dass der Raum zwischen ihnen
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heiliger Raum ist.
Dass es eine Brücke
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zu überqueren gibt, um die Kultur
des Anderen kennen zu lernen.
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Und dass wir einander begegnen können.
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Menschliches Wesen
zu menschlichem Wesen.
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Jenseits von richtig und falsch
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existiert ein Feld.
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Dort werde ich Sie treffen.
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Vielen Dank.
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(Applaus)