Was ist am menschlichen Gehirn so besonders? Warum erforschen wir andere Tiere und nicht sie uns? Was hat oder kann ein menschliches Gehirn, was kein anderes Gehirn kann? Als ich mich vor zehn Jahren diesen Fragen widmete, dachte die Wissenschaft, sie wüsste, wie Gehirne beschaffen sind. Obwohl es nur wenige Anhaltspunkte gab, dachten viele Wissenschaftler, dass die Gehirne aller Säugetiere, einschließlich die der Menschen, gleich beschaffen seien: mit einer Anzahl von Neuronen, die immer proportional zur Größe des Gehirns war. Das bedeutete, dass zwei gleich große Gehirne wie diese beiden, mit respektablen 400 Gramm, eine ähnliche Anzahl Neuronen haben sollten. Wenn Neuronen also die funktionellen Einheiten der Informationsverarbeitung im Gehirn sind, müssten die Besitzer dieser Gehirne ähnliche kognitive Fähigkeiten vorweisen. Und doch ist eins das eines Schimpansen und das andere das einer Kuh. Aber vielleicht haben Kühe wirklich ein reiches mentales Innenleben und sind so schlau, sich nichts anmerken zu lassen. Aber wir essen sie. Ich glaube, die Mehrheit kann dem zustimmen, dass Schimpansen zu viel komplexeren, komplizierteren und flexibleren Verhaltensweisen fähig sind als Kühe. Dies ist also der erste Hinweis dafür, dass das Szenario "alle Gehirne sind gleich beschaffen" nicht ganz stimmen kann. Aber spielen wir mal mit. Wenn alle Gehirne gleich beschaffen wären und man bei Tieren die Größe ihrer Gehirne vergleichen würde, sollten größere Gehirne stets mehr Neuronen aufweisen als kleinere Gehirne, und umso größer das Gehirn, desto begabter sollte sein Besitzer sein. Die größten Gehirne der Welt sollten auch die kognitiv fähigsten sein. Jetzt die schlechte Nachricht: Unser Gehirn ist nicht das größte auf der Welt. Das ist ziemlich verwirrend. Unser Gehirn wiegt zwischen 1,2 und 1,5 Kilo, aber das der Elefanten wiegt zwischen vier und fünf Kilo und das Gehirn von Walen kann bis zu neun Kilo wiegen, weshalb Wissenschaftler zu sagen pflegten, dass unser Gehirn speziell sein muss, wenn wir unsere kognitiven Fähigkeiten erklären wollen. Es muss richtig außergewöhnlich sein, eine Ausnahme der Regel. Ihres mag größer sein, aber unseres ist besser und es könnte z. B. besser darin sein, größer auszusehen, als es sollte, mit einem -- im Vergleich zu unserem Körper -- viel größeren Kortex. Wir haben also extra viel Kortex, um Interessanteres zu tun, als nur den Körper zu bewegen. Die Größe des Gehirns passt sich nämlich oft der Körpergröße an. Der Hauptgrund dieser Behauptung, unser Gehirn wäre größer, als es sein sollte, liegt wohl darin, dass wir uns selber mit Menschenaffen vergleichen. Gorillas können zwei- oder dreimal größer sein als wir, ihre Gehirne sollten also auch größer als unsere sein, aber es ist genau umgekehrt. Unser Gehirn ist dreimal größer als das eines Gorillas. Das menschliche Gehirn ist auch speziell in seinem Energieverbrauch. Obwohl es nur 2 Prozent des Körpergewichts ausmacht, verbraucht es ganze 25 Prozent der ganzen Energie, die Ihr Körper täglich braucht, um zu funktionieren. Das sind 500 Kalorien von insgesamt 2000, um Ihr Gehirn am Funktionieren zu halten. Das menschliche Gehirn ist also größer, als es sein sollte, es verbraucht viel mehr Energie, als es sollte, es ist also etwas Besonderes. Aber hier begann mich das Ganze zu stören. In Biologie suchen wir Regeln, für alle Tiere und das Leben im Allgemeinen, warum sollten also die Regeln der Evolution auf alle anwendbar sein außer auf uns? Wahrscheinlich lag das Problem in unserer Grundannahme, dass alle Gehirne gleich beschaffen seien. Vielleicht können zwei ähnlich große Gehirne tatsächlich eine ganz verschiedene Anzahl an Neuronen haben. Vielleicht hat ein größeres Gehirn gar nicht unbedingt mehr Neuronen als ein Gehirn von bescheidener Größe. Vielleicht hat das menschliche Gehirn im Vergleich zu jedem Gehirn die meisten Neuronen und die Größe ist dabei egal, gerade in Bezug auf die Großhirnrinde. Dies wurde also für mich die zu eruierende Zentralfrage: Wie viele Neuronen hat das menschliche Gehirn und das im Vergleich zu anderen Tieren? Sie haben sicherlich irgendwo schon mal gelesen oder gehört, dass wir 100 Milliarden Neuronen haben. Vor 10 Jahren fragte ich meine Kollegen, woher diese Zahl denn eigentlich stamme. Aber keiner wusste es. Ich durchforstete die Fachliteratur nach der Herkunft dieser Zahl, aber finden konnte ich sie nie. Scheinbar hatte noch nie jemand die Anzahl der Neuronen im menschlichen Gehirn gezählt oder überhaupt in einem Gehirn zu diesem Zweck nachgezählt. Deshalb dachte ich mir selber was aus, um im Gehirn Zellen zu zählen. Im Wesentlichen geht es darum, das Gehirn in eine Suppe zu verwandeln. Und so geht's: Sie nehmen ein Gehirn oder nur einen Teil davon und lösen es in einem Reinigungsmittel auf, das die Zellmembranen zerstört aber den Zellkern intakt lässt, so dass eine Suspension freier Kerne herauskommt, die so aussieht wie eine klare Suppe. Diese Suppe enthält alle Zellkerne, die einmal das Gehirn einer Maus ausmachten. Das Schöne an einer Suppe ist, dass man sie schütteln und so man die Zellkerne homogen in der Flüssigkeit verteilen kann, so dass man unter dem Mikroskop mit nur vier oder fünf Beispielen dieser homogenen Lösung die Zellkerne zählen kann und darin erkennt, wie viele Zellen das Gehirn hatte. Es ist einfach und unkompliziert und richtig schnell. Wir haben diese Methode des Neuronenzählens bis jetzt bei Dutzenden von Spezies angewendet und es hat sich herausgestellt, dass nicht alle Gehirne gleich beschaffen sind. Nehmen wir z. B. Nagetiere und Primaten: Bei den größeren Nagetiergehirnen nimmt die Durchschnittsgröße der Neuronen zu und bläht das Gehirn sehr rasch auf und es wächst schneller, als Neuronen hinzu gewonnen werden. Aber Primatengehirne gewinnen Neuronen hinzu, ohne dass das Durchschnittsneuron größer wird und das ist eine sehr sparsame Art, dem Gehirn Neuronen hinzuzufügen. Ein Primatengehirn hat also stets mehr Neuronen als das eines gleich großen Nagetiers, und je größer das Gehirn, umso größer dieser Unterschied. Wie viele Neuronen hat nun unser Gehirn? Im Durchschnitt haben wir 86 Milliarden Neuronen, 16 Milliarden von ihnen liegen im Kortex und wenn Sie bedenken, dass die Großhirnrinde der Sitz von Funktionen wie das Bewusstsein und das logische und abstrakte Denken ist und dass 16 Milliarden überhaupt die höchste Anzahl ist, die ein Kortex haben kann, ist dies die einfachste Erklärung für unsere bemerkenswerten kognitiven Fähigkeiten. Ebenso wichtig ist die Bedeutung dieser 86 Milliarden Neuronen. Als wir herausfanden, dass die Beziehung zwischen der Größe des Gehirns und der Neuronenanzahl mathematisch ausgedrückt werden konnte, konnten wir auch ausrechnen, wie ein menschliches Gehirn aussehen würde, wenn es wie das Gehirn eines Nagetieres beschaffen wäre. Ein Gehirn eines Nagetieres mit 86 Milliarden Neuronen würde 36 Kilo wiegen. Das wäre unmöglich. So ein Gehirn würde vom eigenen Gewicht zerquetscht, und dieses unmögliche Gehirn entspräche einem Körper von neun Tonnen. Das sieht nicht aus wie wir. Dies führt uns bereits zu einem wichtigen Ergebnis: Wir sind keine Nagetiere. Das menschliche Gehirn ist kein großes Rattengehirn. Verglichen mit einer Ratte mögen wir besonders sein, aber das ist kein fairer Vergleich, denn wir wissen ja, dass wir keine Nagetiere sind. Wir sind Primaten, also müssen wir uns auch mit ihnen vergleichen. Und wenn Sie da rechnen, finden Sie heraus, dass ein arttypischer Primat mit 86 Milliarden Neuronen ein Gehirn von etwa 1,2 kg haben würde, was ganz angemessen ist, wenn man einen Körper hat, der 66 Kilo schwer ist, was in meinem Fall exakt stimmt und uns zu einem wenig überraschenden und doch zu einem extrem wichtigen Ergebnis führt: Ich bin ein Primat. Und Sie alle sind Primaten. Auch Darwin. Mir ist wohl dabei, dass Darwin dies wirklich gewürdigt hätte. Sein Gehirn, wie unseres auch, ist so beschaffen wie das Gehirn anderer Primaten. Das menschliche Gehirn mag also außergewöhnlich sein, ja, aber nicht aufgrund seiner Neuronen-Anzahl. Da ist es einfach nur ein großes Primatengehirn. Dies ist ein sehr demütigender und ernüchternder Gedanke, der uns unseren Platz in der Natur klar macht. Warum benutzt es also so viel Energie? Andere haben herausgefunden, wie viel Energie das menschliche Gehirn und das anderer Spezies verbraucht und jetzt, wo wir wissen, wie viele Neuronen jedes Gehirn hat, können wir diese berechnen. Heraus kam, dass das menschliche als auch andere Gehirne fast dasselbe verbrauchen: nämlich ungefähr 6 Kalorien pro Milliarde Neuronen pro Tag. Der gesamte Energieverbrauch eines Gehirns ist eine simple, lineare Funktion seiner Anzahl an Neuronen und es stellte sich heraus, dass das menschliche Gehirn so viel Energie verbraucht, wie anzunehmen war. Der Grund dafür, dass das menschliche Gehirn so viel Energie verbraucht, ist einfach der, dass es eine hohe Anzahl an Neuronen hat und da wir Primaten sind, die gemessen an unserer Größe viel mehr Neuronen haben als irgendein anderes Tier, ist der relative Verbrauch unseres Gehirns hoch, aber weil wir Primaten sind, nicht weil wir besonders sind. Letzte Frage: Wie kommen wir zu dieser bemerkenswerten Anzahl Neuronen und in Anbetracht der Tatsache, dass Menschenaffen größer sind als wir, warum haben sie nicht das größere Gehirn mit mehr Neuronen? Als wir merkten, wie viel mehr Energie viele Neuronen im Gehirn kosten, dachte ich, vielleicht ist die Erklärung ganz einfach. Sie können sich den Energieaufwand nicht leisten für den großen Körper und die vielen Neuronen. Wir rechneten erneut. Wir rechneten aus, wie viel Energie ein Primat am Tag braucht, wenn er Rohkost frisst. und andererseits, wie viel Energie ein Körper einer bestimmten Größe braucht. und wie viel Energie ein Gehirn mit einer bestimmten Anzahl Neuronen braucht. und schauten uns die Relation von Körpergröße und Anzahl Gehirnzellen an, die ein Primat haben könnte, wenn er eine gewisse Stundenanzahl pro Tag fräße. Es wurde deutlich, da die Neuronen so viel Energie verbrauchen, gibt es einen Kompromiss zwischen Körpergröße und Neuronen-Anzahl. Ein Primat, der 8 Stunden pro Tag frisst, kann sich höchstens 53 Milliarden Neuronen leisten, aber dann kann sein Körper nicht größer als 25 Kilo sein. Würde er mehr wiegen, müsste er Neuronen einbüßen. Es geht also entweder um einen großen Körper oder um eine hohe Anzahl Neuronen. Wenn man wie ein Primat frisst, kann man sich beides nicht leisten. Ein Weg aus dieser Stoffwechsellimitation wäre, noch mehr als 8 Stunden zu fressen, aber das wäre gefährlich und ab einem bestimmten Punkt unmöglich. Gorillas und Orang Utans zum Beispiel verfügen etwa über 30 Milliarden Neuronen, und bringen 8,5 Stunden pro Tag mit Fressen zu. Dies ist die Höchstzahl, die sie scheinbar erreichen können. Neun Stunden, um Nahrung aufzunehmen scheint für einen Primaten die praktikable Grenze zu sein. Und bei uns? Mit 86 Milliarden Neuronen und Körpergewicht von 60-70 kg müssten wir über 9 Stunden am Tag damit verbringen, uns zu ernähren, aber das wäre nicht machbar. Wenn wir wie ein Primat essen würden, könnten wir gar nicht hier sein. Wie kam es dennoch dazu? Wenn unser Gehirn so viel Energie verbraucht wie angenommen und wir nicht jede wache Minute darauf verwenden können, uns zu ernähren, ist die einzige Alternative, in der Tat, irgendwie mehr Energie von derselben Kost zu erhalten. Und erstaunlicherweise passt das genau zu dem, was unsere Vorfahren wohl vor 1,5 Millionen Jahren erfunden haben, als sie das Kochen entdeckten. Kochen bedeutet Feuer zu nutzen und das Essen außerhalb unseres Körpers vorzuverdauen. Gekochte Nahrung ist weicher, demnach einfacher zu kauen und im Mund in Brei zu verwandeln so dass sie vollkommen im Magen verdaut und absorbiert werden kann, was ihnen in viel geringerer Zeit viel mehr Energie einbrachte. Das Kochen ermöglicht uns also, viel interessantere Dinge mit unserem Tag und unseren Neuronen anzufangen, als nur über Nahrung nachzudenken, sie zu suchen und zu verschlingen, den ganzen Tag über. Dank des Kochens wurde aus einem einst schwerem Bestandteil, diesem großen, gefährlich kostspieligem Gehirn mit einer Menge Neuronen nun ein Gehirn mit einem großen Pluspunkt. Jetzt konnten wir uns beides leisten, die Energie für viele Neuronen und die Zeit, mit ihnen interessante Dinge zu tun. Dies erklärt, glaube ich, warum das menschliche Gehirn wuchs, um so schnell in der Evolution so groß zu werden und trotzdem bloß das Gehirn eines Primaten blieb. Mit dem großen Gehirn, das wir uns dank des Kochens nun leisten konnten, gingen wir schnell von der Rohkost zum Kultivieren über: Agrikultur, Zivilisation, Lebensmittelgeschäfte, Elektrizität, Kühlschränke, all diese Dinge, die uns nun erlauben, all die Energie, die wir für einen Tag brauchen, an einem Tag zu tanken, indem wir nur einmal in unserem Lieblings- Fastfood-Restaurant essen. Was einst eine Lösung gewesen war, wurde jetzt zum Problem und ironischerweise suchen wir die Lösung jetzt bei der Rohkost. Welcher ist also der Vorteil von uns Menschen? Was haben wir, was kein anderes Tier hat? Meine Antwort ist die größte Anzahl an Neuronen auf der Gehirnrinde. Die einfachste Erklärung dafür, dass wir kognitiv so fähig sind. Was machen wir, was kein anderes Tier macht und was ausschlaggebend war, um diese größte Anzahl an Neuronen im Kortex zu entwickeln? Mit zwei Worten: Wir kochen. Kein anderes Tier kocht sein Essen. Nur Menschen machen das. Ich glaube, so wurden wir zu Menschen. Seitdem ich das menschliche Gehirn erforsche, denke ich anders über Essen ... Jetzt sehe ich meine Küche an und verneige mich vor ihr, und ich danke meinen Vorfahren, die diese Erfindung machten, die uns wahrscheinlich zu Menschen werden ließ. Vielen Dank. (Applaus)