-
Ein gemütlicher Fernsehabend
auf der Couch zu zweit geht zu Ende.
-
Der Film war wirklich kein Höhepunkt.
-
Die Frau verabschiedet sich ins Bett:
-
"Du Schatz, ich glaub,
ich werde heute nicht mehr alt.
-
Mit mir brauchst du nicht rechnen."
-
Er ergreift die Chance
und verabschiedet sich ins Arbeitszimmer:
-
"Liebling, macht nichts,
ich muss eh noch ein bisschen arbeiten."
-
Sobald beide ungestört sind,
widmen sie sich
-
dem eigentlichen Höhepunkt des Abends.
-
Er checkt die ein
oder andere Business-E-Mail
-
und switcht dann relativ schnell
auf seine favorisierten --
-
genau -- Porno- und Sex-Seiten.
-
Was er nicht weiß, ist,
dass sie zeitsynchron
-
sich mit dem Sex-Toy ihrer Wahl verwöhnt
-
und das sie innerhalb von Minuten
orgastisch dahinschmelzen lässt.
-
Beide schlafen tiefenentspannt
nebeneinander vor Mitternacht ein.
-
Wenn ihr denkt, dass dieses Ritual
selten ist in unserem Lande,
-
dann muss ich euch leider enttäuschen --
das ist vielerorts Alltag.
-
Und wer kennt das nicht?
-
Da hat man einen Partner, den man liebt
-
und den man auch noch
irgendwie halbwegs attraktiv findet,
-
und dann kommt der Alltag
und der legt sich so über die Lust.
-
Und dann gibt es so viele Möglichkeiten,
sich alternativ zu vergnügen.
-
Nur ist auch ein bisschen peinlich,
darüber zu sprechen,
-
und man möchte ja auch den Partner
nicht kränken oder nachhaltig irritieren.
-
Eins ist Gewiss:
-
Die Anzahl von Orgasmen ohne Partner,
-
zumindest ohne verbindlichen Partner,
-
die hat in den letzten Jahren
massiv zugenommen.
-
Lustlosigkeit ist eines der Themen
-
in meiner Praxis
für Paar- und Sexualtherapie.
-
Aber sind wir wirklich
so "overworked" and "underfucked",
-
wie wir immer vorgeben?
-
Oder sind wir nicht vielleicht
schon ein wenig "oversexed"
-
und dadurch bedingt "underworked"?
-
Wenn man sich die Lustlosigkeit
einmal näher anschaut,
-
stellt man schnell fest,
-
es ist nämlich
keine generelle Lustlosigkeit,
-
sondern eine partnerbezogene.
-
Und das liegt unter anderem
an dem sogenannten Coolidge-Effekt.
-
Dazu eine kleine Geschichte:
-
Calvin Coolidge war
ein US-amerikanischer Präsident,
-
der vor 100 Jahren
mit seiner Gattin Grace
-
eine Hühnerfarm besuchte.
-
Nach einer getrennten Führung
-
kam seine Frau ganz aufgeregt
auf ihn zu und sagte:
-
„Calvin, stell dir vor,
der Hahn treibt es 12 Mal am Tag.“
-
Daraufhin er: "Grace, mein Schatz,
aber nicht immer mit derselben Henne."
-
Sexueller Überdruss,
nachlassende sexuelle Funktionen,
-
dieser Effekt tritt leider
nicht nur bei Tieren
-
bei fortwährend demselben Partner auf,
sondern auch bei uns Menschen.
-
Und das ist ja auch irgendwie ein Dilemma:
-
Liebe braucht Nähe,
aber Erotik braucht Abstand.
-
Wir sehnen uns nach Verbindlichkeit,
nach Gut-aufgehoben-Sein, nach Nähe.
-
Und dann sehnen wir uns
noch nach Neuigkeit,
-
Abenteuer und Aufregung.
-
Wie kann denn das
überhaupt zusammenpassen?
-
Der Alltag ist keine gute Leinwand
für unsere sexuellen Fantasien.
-
Wir machen jetzt ein kleines Experiment.
-
Schließt dazu bitte einmal kurz die Augen
-
und denkt an die schönste
Nebensache der Welt, an Sex.
-
Genau.
-
Und sei einmal neugierig,
-
was für Bilder da
vor deinem inneren Auge kommen
-
und was für Gefühle.
-
Und was diese Bilder
und diese Gefühle mit dir machen.
-
Vielen Dank.
-
Ich gehe mal davon aus, dass die Wenigsten
-
an den Akt der Fortpflanzung
gedacht haben,
-
an die Zeugung eines Kindes.
-
Nun ja, ich gehe jetzt davon aus...
-
Vielleicht schon ein paar mehr
ans Liebe machen,
-
so dem Sex in der Partnerschaft.
-
Die meisten werden jedoch
-
an die triebhafte Seite
der Sexualität gedacht haben,
-
die mit Abenteuer, Leidenschaft
und Aufregung einhergeht
-
und diesem unwahrscheinlich
guten Gefühl im Bauch.
-
Fortpflanzung, Liebe und Triebe,
das sind die drei Dimensionen von Sex.
-
In der sexuellen Revolution,
-
da hat sich die Fortpflanzung
von der Sexualität entkoppelt
-
durch die Pille, die eingeführt wurde,
und die Straffreiheit von Abtreibung.
-
Sex konnte frei genossen werden,
Kinder waren planbar
-
und der Slogan damals war:
"Make love, not war."
-
Was heute passiert, ist eine wesentlich
brisantere gesellschaftliche Entwicklung.
-
Heute spalten sich
die Triebe aus der Liebe ab,
-
und zwar durch einen
enormen Sog nach draußen.
-
Wir haben heute Pornos,
die laufen 24 Stunden am Tag
-
in den abenteuerlichsten Genres,
-
in 3D-Welten,
-
mittlerweile auch in 4D-Welten,
in virtuellen Welten,
-
und mit einem entsprechenden
Ganzkörperanzug.
-
Wir haben Sex-Toys,
die werden immer interaktiver.
-
Wir können heute in Timbuktu sitzen
und mit jemanden am Nordpol Sex haben.
-
Hinzu kommen Millionen an Menschen,
-
die über diese zahlreichen
Apps und Portale
-
unverbindliche und käufliche
sexuelle Angebote suchen.
-
Viele in verbindlichen Partnerschaften,
nebenbei gesagt,
-
und alles aus der heimischen Komfortzone
anbahnbar.
-
Wir haben heute die Qual der Wahl.
-
Sex-Traffic hat sich heute
-
in die High-Speed-Datenautobahnen
des Internets verschoben
-
und sorgt für eine weitere
Verkehrsberuhigung
-
innerhalb der Partnerschaft.
-
Wenn wir uns den Slogan anschauen
"Make love, not war",
-
verändert der sich nicht heute
in ein "Make sex, not love"?
-
Und was ist eigentlich mit der Liebe?
-
Ganz schön einsam.
-
Hat die Liebe
in diesen turbulenten Zeiten
-
überhaupt noch eine Chance?
-
Wir alle nutzen diese Freiheiten
und experimentieren damit.
-
Und diese Freiheiten betreffen uns alle,
früher oder später, direkt oder indirekt,
-
in unserer Partnerschaft,
in unserer Familie
-
oder in unserem Freundeskreis.
-
Und diese Freiheiten verändern sukzessive
-
unsere sexuellen Fantasien,
unsere Skripte,
-
das, was wir wollen,
-
und das, was wir überhaupt noch
in der Lage sind zu können.
-
Die Messlatte ist sehr hoch.
-
Ich arbeite seit 25 Jahren
als Neurologin und Psychotherapeutin
-
und natürlich sehe ich mehr
die Kehrseite der Medaille.
-
Und dabei beobachte ich
in den letzten 10 Jahren
-
deutliche Veränderungen von den Themen,
-
mit denen Klienten zu mir
in meine Praxis kommen.
-
Es gibt vier große Themenfelder.
-
Erstens: Alte sexuelle Funktionsstörungen
im neuen Gewand.
-
Zu mir kommen junge Männer
mit Potenzstörungen
-
und Viagra in der Tasche.
-
Zu Pornos geht alles prima,
beim Partner gar nichts mehr.
-
Orgasmusverzögerung und Orgasmushemmung
ist paradoxerweise im Kommen.
-
Und die Männer emanzipieren sich
in Lustlosigkeit,
-
aber ihr wisst schon:
keine generelle Lustlosigkeit,
-
nur eine partnerbezogene.
-
Zweitens: Es gibt
quantitative Veränderungen.
-
Die Schere geht immer weiter auseinander
zwischen den Unberührten,
-
die sich hervorragend
im Internet versorgen
-
und schon alles theoretisch wissen,
-
aber überhaupt keine
praktische Erfahrung haben,
-
und denen, die sich so
durch die Betten tindern,
-
ruh- und rastlos.
-
Die WHO hat zwanghafte sexuelle Störung
-
mittlerweile
als psychische Erkrankung anerkannt.
-
Wir haben allein in Deutschland
-
nach konservativen Schätzungen
eine halbe Million Porno- und Sexsüchtige.
-
Dazu kommt ungefähr
die gleiche Anzahl noch mal
-
von indirekt betroffenen
Partnern und Kindern.
-
Das ist eine ernstzunehmende Entwicklung.
-
Drittens: Wir haben
qualitative Veränderungen.
-
Was früher Hardcore war,
ist heute Blümchensex.
-
Spezielle außergewöhnliche Praktiken
-
wie Voyeurismus, Exhibitionismus,
Fetischismus und BDSM
-
sind heute Kulturgut;
-
mittig angekommen,
nichts Außergewöhnliches mehr.
-
Und die Themen, mit denen Paare kommen,
drehen sich sehr stark ums Smartphone
-
und dem Begriff der Treue,
der unklarer ist als je zuvor.
-
Wir können heute Sex
mit anderen haben und treu sein.
-
Wir müssen es halt
vorher abgesprochen haben.
-
Wir können aber auch mit dem Partner
zusammen im Bett liegen
-
und ihn Online betrügen.
-
Dabei sehe ich, dass
der Treubegriff sich verschiebt
-
von dem "Ich bin dir treu"
hin zu "Ich bin mir treu".
-
Probleme sind da durchaus vorprogrammiert.
-
Und nun die Frage aller Fragen:
-
Wie können wir diese neuen Freiheiten
-
so in unser Leben
integrieren und genießen,
-
dass wir gesund bleiben und dass
unsere Partnerschaft gesund bleibt.
-
Und was machen Sexgourmets
anders als Sexaholics,
-
die den Ausschalter nicht mehr finden?
-
Ein saftiges Tiramisu
und ein feuchter Orgasmus
-
sind gar nicht so unterschiedlich.
-
Ernährung und Sexualität
haben ganz viele Ähnlichkeiten.
-
Und ihr wisst wahrscheinlich
ganz viel über Ernährung,
-
lest darüber und das
könnt ihr transferieren.
-
Und ich möchte euch gerne
an diese Analogie
-
ein bisschen was mitgeben heute,
-
was ihr direkt umsetzen könnt,
nach dem Motto "Act, Change, Now".
-
Erstens: Wissen ist die Basis,
um sein Verhalten zu verändern.
-
Wenn wir wissen, welche Nahrungsmittel
uns gesund halten, auch langfristig,
-
dann können wir den vielen Versuchungen
der Nahrungsmittelindustrie,
-
die uns krank und dick machen,
eher mal ein Nein erteilen.
-
Genauso ist das
mit den sexuellen Superreizen.
-
Wenn ich weiß und mich informiere...
-
Und wir wissen mittlerweile ganz viel,
es gibt viele Forschungsstudien dazu,
-
coole Bücher
und viele Informationen im Internet.
-
Schaut hin und nehmt
dieses Wissen mit auf,
-
weil das wird eine Key-Ressource sein,
um sich entsprechend zu positionieren.
-
Viele sind in diesem Graubereich unterwegs
-
und ich würde mir wünschen von euch,
-
dass ihr nicht erst aufwacht,
wenn ihr krank werdet dadurch.
-
Zweitens: Erhaltet euch rezeptiv
für natürliche Reize.
-
Wenn ihr Schokolade, Cola, Junk-Food esst,
-
dann schmeckt irgendwann
kein Apfel und Gemüse mehr.
-
So ist es auch bei der Sexualität.
-
Irgendwann stumpft man ab.
-
Schon mal was von Sex-Fasten gehört,
-
dem freiwilligen Verzicht
auf sexuellen Superreize,
-
mal so wenigstens probeweise
für eine gewisse Zeit?
-
Zugegebenerweise macht das nicht schlank,
-
aber wieder sensitiver
für natürliche Reize.
-
Es ist überhaupt nicht schlimm,
dieses Ganze, was es heute gibt,
-
Pornografie, Sex-Toys,
-
aber das sind Genussmittel
ähnlich wie Süßigkeiten.
-
Und wir kriegen, wenn wir es
zu viel konsumieren, Nebeneffekte.
-
Auch in der Sexualität
geht Qualität vor Quantität.
-
Und heute ist manchmal weniger mehr.
-
Drum, wenn ihr
das nächste Mal Mails checkt,
-
einfach mal die Pornos auslassen,
Sex-Toy in der Schublade lassen
-
und beim nächsten One-Night-Stand
einfach mal fragen:
-
Bringt mich das jetzt wirklich
persönlich weiter?
-
Und last but not least: Unterhaltet euch.
-
Geht in einen Dialog, in einen echten
differenzierten Dialog mit eurem Partner.
-
Das ist wichtig und das kostet
Überwindung und Mut.
-
Unterhaltet euch über eure Bedürfnisse,
aber auch über eure Ängste.
-
Partnerschaften brauchen Grenzen,
-
damit sie sich unterscheiden
von dem, was da draußen ist.
-
Und wenn man Verträge ausmacht,
-
sollte man sich auch
an diese Verträge halten.
-
Und heute kommt dem Nein
eine ganz besondere Bedeutung zu.
-
Denn was ist ein Ja
eigentlich wert ohne ein Nein?
-
Liebe gibt der Sexualität
Bedeutung und Tiefe
-
und unsere Beziehung ist ganz maßgeblich
für unsere Lebensqualität zuständig.
-
Eine sanfte Berührung von einem Partner,
der einem wirklich am Herzen liegt,
-
kann sehr viel intimer sein
als der 3286. Orgasmus aus der Konserve.
-
Bei all dem, was heute passiert,
bei all den Freiheiten, die wir haben:
-
Denkt auch an die Liebe.
-
Vielen Dank.
-
(Applaus)