Vor 24 Jahren stellte mich
der New Yorker als Layouter ein.
Ich sollte die etwas gesetzte Institution
des Magazins verjüngen.
Ich sollte neue Künstler finden
und die weltfremde Sichtweise des Magazins
zeitgemäßer gestalten.
Das war genau das Richtige für mich,
weil mich schon immer beeindruckt hatte,
wie ein Bild oder eine einfache Zeichnung
aus den vielen Bildern,
die wir jeden Tag sehen,
herausstechen kann.
Wie es einen Moment einfangen kann,
wie es einen sozialen Trend
und komplexe Ereignisse deutlich macht --
Wörter können das meist nicht so gut --,
wie es die Essenz herausfiltert
und das dann in eine Karikatur verwandelt.
Ich ging also zur Bibliothek
und sah mir das erste Cover an,
das Rea Irvin 1925 gezeichnet hatte:
ein Dandy, der sich einen Schmetterling
durch sein Monokel ansieht.
Wir nennen ihn Eustace Tilley.
Während das Magazin immer bekannter
für seine detaillierte Recherche
und langen Reportagen wurde,
fiel mir auf, dass ein Teil des Humors
auf der Strecke geblieben war,
denn heute wird Eustace Tilley
als stolzer Dandy angesehen.
Aber 1925,
als Rea Irvin dieses Bild
zum ersten Mal gezeichnet hatte,
war es Teil eines Humormagazins,
das die Jugend der Zeit amüsieren sollte,
nämlich die hippen Flapper
der Goldenen Zwanziger.
In der Bibliothek
habe ich auch Bilder gefunden,
die sehr gut den Zeitgeist
der Großen Depression einfangen.
Sie zeigen uns nicht nur die Mode der Zeit
oder die damaligen Automodelle,
sondern auch, was als lustig galt
und welche Vorurteile es gab.
Sie geben uns ein Gefühl dafür,
wie das Leben in den 30er Jahren
gewesen sein muss.
Ich habe mich also
an heutige Künstler gewendet,
wie zum Beispiel Adrian Tomine hier.
Ich wende mich oft
an narrative Künstler --
Karikaturisten, Kinderbuchautoren --
und gebe ihnen ein Thema, zum Beispiel:
"Wie ist es in der U-Bahn?"
oder "Valentinstag",
und sie schicken mir ihre Entwürfe.
Sobald der Redakteur, David Remnick,
die Entwürfe genehmigt,
legen wir los.
Ich persönlich liebe es,
dass diese Bilder uns nicht vorschreiben,
was wir über sie denken sollen.
Aber sie bringen uns zum Nachdenken.
Es ist fast wie ein Puzzle:
Der Künstler zeichnet die Punkte,
die der Betrachter verbinden soll.
Um das linke Bild von Anita Kurz
oder das rechte
von Tomer Hanuka zu verstehen,
müssen wir die Unterschiede erkennen.
Es ist wirklich sehr spannend zu sehen,
wie die Bilder den Betrachter einbeziehen
und wie sie mit Stereotypen spielen.
Aber wenn wir das Bild verstehen,
werden die Stereotypen
in unserem Kopf umgeformt.
Die Bilder zeigen aber nicht nur Menschen.
Manchmal zeigen sie ein Gefühl.
Nach dem 11. September
wusste ich wie viele andere nicht,
wie ich mit dem Geschehenen
umgehen sollte.
Ich dachte, dass kein Bild
diesen Moment einfangen könne.
Ich wollte ein komplett schwarzes Cover --
im Prinzip gar kein Cover.
Ich sprach mit meinem Mann,
dem Karikaturisten Art Spiegelmann,
und sagte ihm, dass ich
das vorschlagen würde.
Er sagte: "Wenn du
ein schwarzes Cover willst,
kannst du doch die Silhouette
der Zwillingstürme darauf abbilden,
schwarz auf schwarz."
Ich zeichnete einen Entwurf
und mir lief sofort ein Schauer
über den Rücken.
Mir wurde klar:
Indem wir uns weigerten,
ein Bild für das Cover zu entwerfen,
hatten wir einen Weg gefunden,
den Verlust,
die Trauer
und Abwesenheit einzufangen.
Ich habe etwas sehr Tiefgründiges
durch dieses Projekt gelernt --
nämlich, dass manchmal die Bilder
mit den wenigsten Mitteln
das Meiste ausdrücken.
Ein einfaches Bild kann Bände sprechen.
Dieses Bild von Bob Staake
haben wir veröffentlicht,
als Barack Obama
zum Präsidenten gewählt wurde.
Es hat diesen historischen Moment
wunderbar eingefangen.
Wir können das allerdings nicht planen.
Um so etwas zu ermöglichen,
müssen wir den Künstler fühlen lassen,
was wir alle fühlen, wenn es passiert.
Im November 2016 zum Beispiel,
während der Wahl im letzten Jahr,
war dieses Bild hier das einzige,
das wir veröffentlichen konnten.
Und es war in der Woche der Wahl
an den Zeitungsständen erhältlich.
(Zuschauer lachen)
Wir wussten, dass das
die Reaktion sein würde,
(Lachen)
wenn die Wahlergebnisse
bekannt gegeben werden würden.
Als wir dann die Ergebnisse
wirklich erfuhren,
wussten wir nicht mehr weiter.
Dieses Bild wurde wieder
von Bob Staake eingesendet.
Das hat es wirklich gut getroffen.
Am Ende wissen wir nie wirklich,
was als nächstes passieren wird.
Hier wussten wir nicht,
wie wir weitermachen sollten,
aber wir fanden einen Weg
und veröffentlichten dieses Bild hier,
nachdem Donald Trump gewählt wurde
und während der Woman's March
in den ganzen USA gehalten wurde.
Während dieser 24 Jahre
habe ich mehr als 1 000 Bilder
Woche für Woche entstehen sehen
und werde oft gefragt,
welches mein Favorit ist,
aber ich kann mich für keins entscheiden,
denn am stolzesten bin ich darauf,
wie unterschiedlich alle Bilder sind.
Das liegt an dem Talent
und der Vielfältigkeit der Künstler,
die dazu beitragen.
Jetzt gehören wir Russland
und somit --
(Lachen)
verwandelte Barry Blitt
in seiner Darstellung hier
Eustace in Eustace Vladimirovich Tilley.
Der Schmetterling ist nun
ein verblüffter Donald Trump,
der wild mit den Flügeln
schlägt und versucht,
den Schmetterlingseffekt
unter Kontrolle zu bringen
und der berühmte Schriftzug
von Rae Irvin von 1925
ist jetzt auf kyrillisch.
Was mich an diesem Moment
wirklich beeindruckt, ist,
wie wichtig die freie Presse
für unsere Demokratie ist.
Und wir sehen vom Erhabenen
bis zum Lächerlichen,
wie gut Künstler einen Moment
einfangen können --
auf dieselbe Weise, auf die ein Künstler,
bewaffnet allein mit Tusche
und Aquarellfarben,
den kulturellen Dialog darstellen
und daran teilnehmen kann.
Es stellt die Künstler
in den Mittelpunkt dieser Kultur
und dort gehören sie
meiner Meinung auch hin,
denn was wir gerade am meisten brauchen,
ist eine gute Karikatur.
Vielen Dank.
(Applaus)