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Kunst in Frage gestellt Folge 1 - VAN GOGH : Sternennacht

  • 0:05 - 0:07
    Tatort...
  • 0:07 - 0:11
    ... Kunst
  • 0:11 - 0:13
    Der Mond,
  • 0:13 - 0:16
    eine Kirche,
  • 0:16 - 0:21
    eine Zypresse.
  • 0:21 - 0:24
    Ein Gemälde von
    Vincent van Gogh.
  • 0:24 - 0:29
    Eine stille ländliche Nacht?
  • 0:29 - 0:30
    Aber
  • 0:30 - 0:38
    dieser entfesselte Himmel mit seinen
    verzerrten Sternen lässt keine Stille zu.
  • 0:38 - 0:42
    Van Gogh hat diese Nacht gemalt während seiner
    Internierung in einer psychiatrischen Anstalt,
  • 0:42 - 0:46
    ein Jahr vor
    seinem Selbstmord.
  • 0:46 - 0:50
    Aufschrei eines verfrühten Genies,
    das seiner Zeit zu weit voraus war?
  • 0:50 - 0:54
    Während seine Zeitgenossen sich für
    die Lichter der Stadt begeistern,
  • 0:54 - 0:59
    flieht Van Gogh aus Paris und gibt uns
    gestressten Städtern ein ideales Bild:
  • 0:59 - 1:02
    Entfliehen wir auf den Schwingen
    der künstlerischen Fantasie! (ironisch)
  • 1:02 - 1:07
    Und lasst uns das friedliche Glück des
    Landlebens wiederentdecken! (ironisch)
  • 1:07 - 1:16
    Dient der entfesselte Himmel nur als
    Maske für eine reaktionäre Vision?
  • 1:20 - 1:27
    Van Gogh: Sternennacht – die verklärte Nacht
  • 1:27 - 1:30
    Teil 1: eine kalkulierte Verrücktheit
  • 1:30 - 1:33
    Ist dieses Bild vielleicht eine
    spontane Äußerung von Demenz?
  • 1:33 - 1:36
    Hüten wir uns lieber vor
    voreiligen Schlüssen:
  • 1:36 - 1:43
    Van Gogh malt seine Nacht im Jahre 1889, zu einer
    Zeit als die Amateurastronomie durch eine neue
    Technik beliebt wurde,
  • 1:43 - 1:49
    da es nun erste
    Fotoaufnahmen vom Himmel gab.
  • 1:49 - 1:52
    Diese Spirale ist also durch
    echte Verschleierungen inspiriert:
  • 1:52 - 1:57
    Die Venus vollendete gerade ihren Zyklus
    und schien besonders hell in jenem Jahr
  • 1:57 - 2:00
    und der Mond entspricht genau dem, den der
    Maler von seiner Zelle aus beobachten konnte,
  • 2:00 - 2:05
    im Morgengrauen des 25. Mai 1889.
  • 2:05 - 2:09
    Wobei Van Gogh von seinem Fenster aus aber
    lediglich ein eingezäuntes Grundstück sah.
  • 2:09 - 2:12
    Also komponiert er
    eine Fantasielandschaft,
  • 2:12 - 2:15
    in der er eine Zypresse und
    den Turm der Dorfkirche hinzufügt,
  • 2:15 - 2:18
    um Räumlichkeit herzustellen
  • 2:18 - 2:22
    und dem Bildaufbau
    Struktur zu verleihen.
  • 2:22 - 2:27
    Und sogar die turbulente Spirale trägt dazu
    bei, den Fluchtpunkt im Lot zu lokalisieren.
  • 2:27 - 2:30
    Wenn die Verrücktheit nicht
    in der Komposition liegt,
  • 2:30 - 2:36
    liegt sie dann etwa im
    so brutalen, so wirren Strich?
  • 2:36 - 2:42
    In seiner Eile nimmt sich Van Gogh nicht einmal
    die Zeit, die ganze Leinwand zu bemalen.
  • 2:42 - 2:47
    Eigentlich verstärkt der Strich die Gegensätzlichkeit
    zwischen den beiden Teilen des Gemäldes.
  • 2:47 - 2:54
    Unten wird jedes Haus von einem schwarzen
    Strich umringt, wie ein Kirchenfenster,
  • 2:54 - 2:59
    und die Bäume werden wie
    dicke Wollknäuel behandelt.
  • 2:59 - 3:03
    Die Erde ist so fest wie
    das Produkt eines Handwerkers.
  • 3:03 - 3:09
    Der Himmel hingegen ist so
    flüssig wie ein Fischschwarm.
  • 3:09 - 3:15
    Das Licht der Sterne verbreitet
    sich wellenförmig, konzentrisch.
  • 3:15 - 3:20
    Die Unruhe des Bildes ist eher kalkuliert als spontan,
    mit der Gegenüberstellung der beiden Kräfte:
  • 3:20 - 3:23
    die Kraft der festen
    und greifbaren Erde
  • 3:23 - 3:27
    und die Kraft des dynamischen
    und wiegenden Himmels.
  • 3:27 - 3:34
    Diese Zypresse, hart wie Asphalt und flink wie eine
    Flamme, stellt eine Brücke zwischen den beiden dar.
  • 3:34 - 3:38
    Warum bringt Van Gogh eine
    stille Nacht völlig durcheinander?
  • 3:44 - 3:45
    Teil 2 : Gefährliche Nacht oder religiöse Nacht ?
  • 3:45 - 3:45
    Bevor er die Nacht als
  • 3:45 - 3:47
    einen Sternenhimmel betrachtet,
  • 3:47 - 3:52
    interessiert sich Van Gogh für sie als diesen Moment
    der Ruhe, in dem die Menschen von der Arbeit befreit sind.
  • 3:52 - 4:01
    Welch ein Kontrast zu den Avant-Garde-Malern, die die Bewegung und Lichter der städtischen Freizeit verherrlichen!
  • 4:01 - 4:04
    Bei Van Gogh kehren
    sich die Verhältnisse um:
  • 4:04 - 4:07
    Das düstere Essen der Bauern
    wird würdevoll dargestellt,
  • 4:07 - 4:11
    während die funkelnde Stadt
    Benommenheit verursacht.
  • 4:11 - 4:14
    Diese Mahlzeit, die auf den ersten
    Blick traurig und brutal erscheint,
  • 4:14 - 4:18
    bei der sich angeschaut
    und kommuniziert wird,
  • 4:18 - 4:23
    unter einem einzigen tröstenden Licht, verherrlicht
    die nach der Anstrengung verdiente Ruhe.
  • 4:23 - 4:30
    Die Familie ist zusammen geschweißt, wie diese Häuschen um einen einzigen Kirchturm, Sinnbild des christlichen Glaubens, versammelt sind.
  • 4:30 - 4:34
    Diese Verehrung der bäuerlichen
    Würde erfindet Van Gogh nicht:
  • 4:34 - 4:38
    Er übernimmt sie von Jean-François
    Millet, den er bewundert.
  • 4:38 - 4:44
    Im „Angelusgebet“ war der Abend schon ein Moment
    des Eifers und der Kommunion mit der Erde.
  • 4:44 - 4:48
    Im Gegensatz dazu erfindet Van Gogh eine
    Darstellung der Stadt, die fast teuflisch wirkt.
  • 4:48 - 4:57
    Im Ballsaal in Arles hat eine Vielzahl von trüben
    Lichtern das gemeinsame Licht ersetzt.
  • 4:57 - 5:05
    Jeder Tänzer scheint verwirrt, mitten in
    einer chaotischen und hysterischen Menge.
  • 5:05 - 5:10
    In diesem die ganze Nacht offenen
    Kaffeehaus herrscht eine Katerstimmung.
  • 5:10 - 5:16
    Die Komplementärfarben rot und grün
    schaffen eine säuerliche Stimmung,
  • 5:16 - 5:19
    ein Billardtisch hat den
    tugendhaften Familientisch ersetzt.
  • 5:19 - 5:23
    Die brennende Spielleidenschaft hat die Kräfte
    und die menschlischen Bindungen zerstört.
  • 5:23 - 5:30
    In die vier Ecken des Billardtisches verstoßen, landen die Alkoholiker hier, wie Nachtfalter gefangen
  • 5:30 - 5:34
    von drei falschen brennenden
    und explosiven Sonnen.
  • 5:34 - 5:41
    In seinen Bildern scheint Van Gogh die Technik der japanischen Grafik einzusetzen, um die Verlogenheit
    des modernen Lebens zu zeigen:
  • 5:41 - 5:45
    Emotionale Gewalt
    der schwarzen Ringe,
  • 5:45 - 5:49
    brutale Zusammenstellungen
    verschiedener Ebenen,
  • 5:49 - 5:54
    lodernder Kontrast
    der Komplementärfarben
  • 5:54 - 6:05
    zum hellen Schein und zur verlogenen Helligkeit der Stadt. Es ist Zeit für Van Gogh, sich der Ordnung
    und der Ewigkeit des Sternenhimmels
    entgegenzustellen.
  • 6:05 - 6:08
    Das Spiel ist aber
    bei weitem nicht gewonnen.
  • 6:08 - 6:10
    Trotz eines stark
    gemalten Himmels
  • 6:10 - 6:13
    sind die Sterne schließlich
    recht blass und farblos
  • 6:13 - 6:18
    im Gegensatz zum säuerlichen Glanz
    der im Wasser spiegelnden Straßenlaterne.
  • 6:18 - 6:22
    Van Gogh entdeckt das Phänomen
    der „Lichtverschmutzung“:
  • 6:22 - 6:25
    Die künstlichen Lichter hindern
    uns daran, die Sterne zu sehen,
  • 6:25 - 6:33
    und strömen sogar in die Umgebung der Städte, so
    wie die Straßenlaterne, die ankündigt, dass ein Stück
    Land noch geschluckt wird,
  • 6:33 - 6:42
    so wie die Installierung dieses Satelliten der NASA,
    was über ein Jahrhundert später geschieht,
    setzt die Erde eine Sternenhimmelmiene auf.
  • 6:42 - 6:47
    Für seinen zweiten Versuch verlässt Van Gogh
    Arles, um sich in ein Dorf zu flüchten,
  • 6:47 - 6:51
    und ändert völlig
    seine Strichtechnik.
  • 6:51 - 6:55
    Die Erde nimmt die solide
    unveränderbare Art des Himmels an,
  • 6:55 - 6:59
    während der Sternenhimmel
  • 6:59 - 7:05
    die sauere Explosivität und wellenartige Dynamik
    der modernen künstlichen Lichter übernimmt.
  • 7:05 - 7:11
    Das Resultat ist spektakulär, aber sehr übertrieben:
    Wir tauchen wieder in die ausufernde Verrücktheit
    ein!
  • 7:11 - 7:15
    Wieso hat Van Gogh den Himmel
    so exaltiert dargestellt?
  • 7:15 - 7:19
    Und ist es sehr schlimm,
    die Sterne zu vergessen?
  • 7:23 - 7:26
    Teil 3: Die Nacht schlägt zurück
  • 7:26 - 7:29
    Abgesehen von Van Gogh ist der Sternenhimmel
    schon in zweierlei Hinsicht faszinierend:
  • 7:29 - 7:31
    Schönheit und Größe.
  • 7:31 - 7:39
    Das allgemeine Erleben des Himmels entspricht dem
    einer großen Kuppel, schön, weil sie mit Ordnung
    und Perfektion gleichbedeutend ist.
  • 7:39 - 7:42
    Aus der Distanz scheinen die
    leuchtenden, ewigen Sterne fern
  • 7:42 - 7:47
    von unserer hektischen Erde zu sein,
    wo sich alles ändert und wandelt!
  • 7:47 - 7:55
    Auch wenn dieser weltfremde Eindruck keiner
    physikalischen Erkenntnis mehr entspricht, als
    dichterisches Streben nach Perfektion
    bleibt er dennoch bestehen.
  • 7:55 - 8:02
    Van Gogh sieht im Sternenhimmel eine
    geographische Karte und im Tod ein Raumschiff.
  • 8:02 - 8:09
    Die Sterne lassen mich genauso träumen wie die schwarzen Punkte auf der Karte, die Städte und Dörfer symbolisieren.
  • 8:09 - 8:15
    Mir scheint es nicht unmöglich, dass Cholera und
    Krebs Formen eines himmlischen Gefährts sind,
  • 8:15 - 8:22
    wie die Dampfschiffe, Busse und
    Eisenbahnen jene Gefährte der Erde sind.
  • 8:22 - 8:25
    Seine beiden Nächte
    entspringen dieser Vision:
  • 8:25 - 8:36
    Die erste, wo der Himmel einem stabilen götllichen
    Mauerwerk ähnlich ist, und die Sterne ihrer antiken Schematisierung.
  • 8:36 - 8:45
    Und die zweite, wo die Zypresse, der Friedhofsbaum,
    diesen Tod heraufbeschwört, der uns erlaubt, von
    der Erde bis zum himmlischen Licht zu reisen.
  • 8:45 - 8:52
    Aber sie entspringt auch einer moderneren Kenntnis
    des Himmels, diesmal an das Gefühl des Unendlichen
    und der Maßlosigkeit gebunden.
  • 8:52 - 8:59
    In der Musik knüpft diese Kulisse für die „Zauberflöte“ von Mozart immer an das
    Himmelszelt an.
  • 8:59 - 9:05
    Aber das Crescendo der Nachtkönigin erzeugt das
    Zittern des Erhabenen, das nicht mehr von der
    Ordnung ausgeht, sondern
  • 9:05 - 9:12
    vom Gefühl unserer Kleinheit
    gegenüber maßlosen Phänomenen.
  • 9:12 - 9:25
    Und in der Architektur konzipiert Etienne-Louis Boullée ein gigantisches, durchlöchertes Grabmal,
  • 9:25 - 9:28
    um das Licht der Sterne nachzuahmen und die
    Menschen auf die Größe von Ameisen zu
    schrumpfen.
  • 9:28 - 9:31
    Mit der zweiten Nacht sucht auch
    Van Gogh nach dem Weg der Maßlosigkeit.
  • 9:31 - 9:35
    Er führt in seinem Himmel etwas ein,
    was die Maler gut begreifen können:
  • 9:35 - 9:38
    Die Kraft der Eruptionen,
  • 9:38 - 9:41
    der Lawinen,
  • 9:41 - 9:44
    und der Fluten.
  • 9:44 - 9:50
    Aber diesmal geht es nicht darum, die Wissenschaft gegenüber der Vorstellungskraft zu preisen, sondern
    die Fähigkeiten unseres Willens.
  • 9:50 - 9:56
    Denn unser Wille kann auch standhaft dem
    gegenüber bleiben, was ihn zerstören kann.
  • 9:56 - 10:05
    Das ist das Prinzip des „dynamischen Erhabenseins“:
    Um zu funktionieren, braucht man kleine eigensinnige Persönlichkeiten, die sich der Kraft der Elemente entgegenstellen.
  • 10:05 - 10:13
    Im 17. Jahrhundert spielt die stabile Kathedrale von
    Toledo unter einem gewittrigen Himmel diese Orientierungsrolle.
  • 10:13 - 10:21
    Van Gogh transponiert diese Kräfte direkt in den
    Himmel über dem stolzen Kirchturm von Saint-Rémy.
  • 10:21 - 10:29
    Die angebliche Verrückteit der Sternennacht ist also
    genau kalkuliert! Das banale Dorf in der Provence
    wird zum Mythos:
  • 10:29 - 10:33
    der eines erhabenen Orientierungspunktes
    gegenüber den Erschütterungen der Modernität.
  • Not Synced
    Danksagung: Deutsche Untertitel
    Martin Peter, Electra und Nadine Hennig
Title:
Kunst in Frage gestellt Folge 1 - VAN GOGH : Sternennacht
Description:

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Video Language:
French
Duration:
11:14

German subtitles

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